So sieht „Neu regieren“ aus: alt

Bericht über das multiple Organversagen bei den Regierungsverhandlungen. Selbst wenn die Wiederbelebung wirklich gelingt, bleiben Dauerschäden.

So sieht „Neu regieren“ aus: alt

Prolog: „Ich bin fassungslos“, sagt einer, der viele Jahre der Regierung angehörte, „so etwas habe ich noch nie erlebt“. Der Mann verfügt über ein gutes Nervenkostüm und hat viele Krisen durchgestanden. „Dieses Chaos richtet echten Schaden fürs Land an.“ Er meint, no na, die Koalitionsverhandlungen.

Das Drama begann eigentlich am 29. September. Historisch die Niederlage von SPÖ und ÖVP, doch die absolute Mehrheit mit satten 0,8 Punkten gehalten. Die Ohrfeige der Wählers fiel kräftig aus, aber eben nicht kräftig genug, um einen der beiden Parteichefs vom Thron zu stoßen und Neuem Platz zu machen.

Was also tun? Andere Koalitionen als rot-schwarz sind nicht machbar, daher war rasch das Schlagwort vom „Neu regieren“ geboren. Der inzwischen entsorgte SP-Klubchef Josef Cap gibt die Losung aus: Ein „neuer Stil des Regierens“ sei notwendig. Aufgabe beider Parteien sei es, das auch öffentlich darzustellen. O-Ton Cap: „Kommunikation ist daher eine hoch politische Frage.“

Als er diese Zeilen in der „Wiener Zeitung“ veröffentlicht, beschließen Faymann und Spindelegger wirklich alles neu zu machen. Und dekretieren die absolute Geheimhaltung. Weil, schlag nach bei Cap, Kommunikation ja eine hoch politische Frage ist.

Das Motiv ist nachvollziehbar. Nichts hat SPÖ und ÖVP seit 2006 mehr geschadet, als die öffentliche Streitkakophonie. Daher: psst bis zum Schluss. Kein schlechter Plan, unter zwei Voraussetzungen: Man sollte einen ebensolchen für den Wurf haben, der dem Schlagwort vom „Neu regieren“ gerecht wird. Und den zügig präsentieren, um der Erwartungshaltung, die man geweckt hat, gerecht zu werden.

Wie sich jetzt – sieben Wochen nach der Wahl – herausstellt, gibt es vor allem eines: Löcher. Aber keinen Masterplan. Eines im Budget und ein fast noch größeres, was die Geheimhaltung betrifft. Die jeweiligen journalistischen Gefolgsleute werden von den Spitzen höchstselbst mit Informationen gefüttert. Das führt, je nach Medium, dazu, dass das Budgetloch astronomische Größen annimmt oder das schwarz-blaue Gespenst aus der Kiste hüpft.

Mit seriöser Verhandlungsarbeit hat das nichts zu tun, es regieren die alten Rituale der Profilierung auf Kosten des anderen. Die ewigen Dramatisierungen und Drohungen sind aber genau das, wofür die Menschen ihre Watschen verteilt haben.

Diese Vorgehensweise mag auch darin begründet sein, dass beide Parteichefs intern doch so geschwächt sein dürften, dass sie zuvorderst eines im Blick haben: das eigene Überleben. Der Rote zittert, dass ihm nach der EU-Wahl im Mai – der SPÖ droht Rang drei – der Wiener Bürgermeister, der 2015 Wahlen zu schlagen hat, die seidene Schnur reicht – wie er das schon bei zwei Vorgängern getan hat.

Was also macht ein in die Enge getriebener Kanzler? Er greift nach dem ORF, der ihn seiner Meinung nach mit den vielen Konfrontationen und unfairen Fragen die Wahl gekostet hat. Auf Hochdruck wird im Kanzleramt ein neues ORF-Gesetz gebastelt, das mit der Regierungserklärung auch gleich beschlossen werden soll. Zumindest da weiß er sich eines Sinnes mit seinem Vize. Auch der hält sich für ein ORF-Opfer.

Doch Spindelegger hat ein noch größeres Problem. Durch die Art, wie er sein Verhandlungsteam zusammenstellte, zerstörte er das letzte verbliebene Asset der ÖVP: die Wirtschaftskompetenz. Indem er einen Landeshauptmann und nicht die bei ihm in Ungnade gefallene Maria Fekter zum Chefverhandler Finanzen bestellte, wurde das Chaos erst ausgelöst.

Der Landeschef hat nämlich keinen direkten Zugang zu Budgetdaten. Und Spindeleggers Leute bliesen das Budgetloch Tag für Tag auf, um erstens Fekter ein für allemal darin verschwinden zu lassen und zweites die SPÖ unter Reformdruck zu setzen. Nicht mitgedachter Nebeneffekt: Die gesamte ÖVP als Hüterin der Finanzen seit einem Jahrzehnt steht jetzt belämmert da. Nicht bloß Fekter allein.

So ergibt eines das andere. Von der Parteichef-Entourage gestreute Ablösegerüchte beschädigen Spindeleggers letzten Konkurrenten, Reinhold Mitterlehner. Das Wirtschaftskammerpräsidium droht mit Aufstand gegen den Präsidenten, weil der zu oft als neuer Minister in der Zeitung steht und der Demontage der Wirtschaftsbündler Fekter und Mitterlehner tatenlos zugesehen hat. Jetzt bleibt Christoph Leitl, was er ist. Dass ein Landeshauptmann das Finanzkapitel chefverhandelt, zeigt, dass die Schwarzen nicht gewillt sind, dort zu reformieren, wo es wirklich notwendig wäre - bei den veralteten föderalen Strukturen, die ein Drittel aller Steuereinahmen auffressen.

Inmitten dieser Intrigenwirtschaft wurde von beiden Parteispitzen offenbar vergessen, den Verhandlungsprozess straff zu orchestrieren. Die Untergruppen sammeln angeblich nur marketingtaugliche Überschriften. Keine weiß, wo sie hin soll. Und was kommt jetzt wirklich? Steuererhöhungen zuallererst. So sieht „Neu regieren“ aus: alt.

- Andreas Weber

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