Mamma mia wer rettet das Fernsehen?
Wer dachte, die Schmerzgrenze in der Fernsehunterhaltung ist längst erreicht, wird täglich eines Besseren belehrt. Zum Beispiel wenn Mutti für ihren Sohn eine Frau sucht.

Vom Fernsehen an sich ist man ja Einiges gewöhnt, vor allem hinsichtlich der Horizonterweiterung in Richtung des angeblichen echten Lebens, das sich da draußen abspielt. So genannte Real-Life-Sendungen gibt es ja in Hülle und Fülle, bei denen beispielsweise Frauen beim Tauschen der Familie und Auswanderern bei der verzweifelten Suche nach Jobs zugesehen werden darf. Dennoch ist es immer wieder erstaunlich, welche Sendungen sich die TV-Sender in ihrer verzweifelten Quotenjagd so einfallen lassen. Gestern zum Beispiel hat der deutsche Privatsender RTL seine deutschen und österreichischen Zuseher mit einem neuen Format beglückt, das Rückschlüsse zulässt auf die Zukunft der Fernsehunterhaltung: Die Sendung heißt Mamma Mia und trägt den bezeichnenden Untertitel: Wer heiratet meinen Sohn?. Richtig geraten: Verzweifelte Mütter versuchen, ihren Sohn an die Frau zu bringen. Eine ähnliche Sendung hat auch ATV, die Fernsehen gewordene U-Bahn-Zeitung, im Portfolio: Dort heißt das Ganze Mama sucht mir eine Frau .
In beiden Fällen spielen die Mütter der heiratswilligen Männer die Vertreterinnen der Anklage; die Anklagepunkte lauten unter anderem mangelnde Bügelkenntnisse, unausstehliche Körpermaße oder unterentwickeltes Familiengefühl. Dieser Auswahlprozess ist schmerzhafter als jede Bawag- oder KHG-Verhandlung und mindestens so undurchsichtig. Schwierig fällt aber auch den Zuschauern die Entscheidung, wer bemitleidenswerter ist: Die Söhne, die sich nicht nur als Mama-Hörige outen, sondern in den meisten Fällen auch als verklemmte Burscherln mit einer gehörigen Portion Notgeilheit. Oder doch die verkupplungswilligen Frauen, die entweder aus dem Rotlichtmilieu stammen, unter ausgeprägter Unterwürfigkeit leiden oder einfach nur das Geld brauchen? Oder die Mütter, die sich als resolute Teilzeitdrachen mit Sprachproblemen und sonderbarer Garderobe gerieren?
Beinahe zwei Sendungen dieser Art habe ich mir jetzt angesehen, was alleine schon preiswürdig wäre. Rechnet man dann noch die XXXLutz-Werbung hinzu, die speziell in den Österreich-Werbefenstern eine Art virtuelle Blasenschwäche auslöst, wird das ganze endgültig zur Tortur. Weshalb um Himmels willen sehen sich TV-Zuseher also ich so etwas an? Ist es Mitleid? Oder Schadenfreude? Oder Zufall, weil man beim Zappen hängengeblieben ist?
Es wird sicher Psychologen geben, die das Phänomen erklären können: Was veranlasst erwachsene Männliche, sich von der Mama die Sonnencreme an den Strand bringen zu lassen? Oder sich vor Millionen Zusehern bei Mama auszuweinen? Und andererseits: Weshalb lassen sich mit diesen Hobby-Darstellern gute Quoten erzielen? Vermutlich ist es doch vor allem Schadenfreude: Kein Drehbuchautor könnte eine Figur wie einen gewissen Kai-Uwe aus der erwähnten Mamma Mia-Sendung erfinden, der mit behutsam angeklebter Schmalzlocke von seinen Kontakten mit Semi-Promis erzählt, mit lasziven Verrenkungen an Körper und Mimik den wilden Partytiger mimt, sich von Mama bei der Auswahl der Abendgarderobe (Glitzer-T-Shirt mit Brustbetonung oder weißes Unterleiberl?) beraten lässt und seine Intelligenz bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit aus der Hose hängen lässt. Die dümmsten Szenen aus den dümmsten US-Komödien sind ein schwacher Abklatsch dessen, was sich da abspielt.
Dem Erfindungsgeist eines Drehbuchschreibers sind Grenzen gesetzt, der Realität offenbar nicht. Daher ist mit dem Schlimmsten zu rechnen: Tanzende Muttersöhnchen, die auf der Suche nach der Traumpartnerin zwielichtige Etablissements durchstreifen? Minderjährige Rabeneltern, die ihre halbseitig gelähmten Tierbabys zur Adoption freigeben? Unsympathische Manager, die sich als Teilzeitbauern verkleiden und inkognito einen Imbiss-Stand in Simmering eröffnen? Oder gar Politiker, die in einer Showküche mit rohem Fleisch, Kochlöffel und Plattitüden aus ihrem Privatleben hantieren? Jetzt höre ich aber lieber auf, sonst kommen die TV-Verantwortlichen noch auf dumme Gedanken
Dem Autor auf Twitter folgen: