gastkommentar: Ein historischer Rückblick zu Wirtschaftskrisen und unfähiger Politik

„Es wäre kontraproduktiv, Milliarden in Großbanken zu pumpen statt in Aufträge für Klein- und Mittelbetriebe.“

Amerikanische Sexualtherapeuten nennen es „Cuddle Party“, den Deutschsprachigen ist nichts Besseres als „kuscheln“ eingefallen: Man umarmt einander und findet sich anheimelnd sympathisch, bevor es ab ins warme Bettchen geht.
Seit nun in dieser Woche die Arbeitslosenzahlen des Monats Februar veröffentlicht wurden – und die Wählerstromanalysen der Kärnten- und der Salzburg-Wahl ergeben haben, dass die „Arbeiter“ angeblich nach rechts marschieren –, haben einige SP-Funktionäre Alarmstufe Eins ausgerufen: Der „Kuschelkurs“ mit der ÖVP sei an den Stimmverlusten schuld – Faymann, Hundstorfer & Co hätten sich zu wenig profiliert und einen Teil der linken Klientel ins Dritte Lager abmarschieren lassen … was schon deshalb nicht logisch ist, weil es weiland Jörg Haider war, der vor dem Jahr 2000 den größten Zustrom von links hatte – obwohl damals de facto Vollbeschäftigung herrschte. Aber auch der Kuschelpartner ÖVP ist gut beraten, die Arbeitslosigkeitsdaten genau zu analysieren. Zum Beispiel wäre es kontraproduktiv, Milliarden in Großbanken und hochautomatisierte Industrien zu pumpen statt in beschäftigungsintensive Aufträge für Klein- und Mittelbetriebe.

In jedem Fall ist anzuraten, sich Fakten aus der Wirtschaftsgeschichte Österreichs abzurufen – zwecks Zukunftsschau. Denn eines wird deutlich: Die Politik hat leider durchwegs versagt und Weichen falsch gestellt -– wodurch aus ökonomischen Störungen nationale Dramen wurden; schon 1873, als die Wiener Weltausstellung die Kulisse für einen „schwarzen Freitag“ abgab; oder 1922, als über Nacht 30 von 66 Aktienbanken zusperren mussten. Ganz besonders düster aber waren die Folgen des 24. Oktober 1929, als die Wall Street kollabierte. In Österreich brachen ganze Unternehmensketten zusammen, die Arbeitslosenzahl stieg und stieg nach oben – während die Politik step by step nach unten rutschte. Statt sich nämlich auf die Sanierung der Wirtschaft zu konzentrieren, lieferten einander in diesen dramatischen Tagen die politischen Lager gefährliche Machtkämpfe:
Die bürgerliche Heimwehr marschierte von rechts, der Arbeiter-Schutzbund von links. In der Mitte wurde geschossen; wobei auch noch der „Landbund“ sogenannte „Bauernwehren“ aufstellte und die Nazis ihre SA zum Einsatz brachten. 1931 bedurfte es dann einer langen Schrecksekunde, bis die Politiker endlich begriffen, was der Zusammenbruch der Credit-Anstalt bedeutete – nämlich den Totalkollaps der österreichischen Wirtschaft.

In dieser Phase übernahm der christlichsoziale Prälat Ignaz Seipel das Ruder, ein Moraltheologe zwar, aber immerhin einer mit wirtschaftspolitischem Hausverstand. Er bot den Sozialdemokraten eine Allparteienregierung an – mit drei sozialdemokratischen Ministern. Tatsächlich wäre dies die einmalige Chance gewesen, viel Unglück von Österreich abzuwenden, hätte man damals zuerst an das Land – und erst in zweiter Linie an das Parteiwohl gedacht. Aber die Parteilinken unter Otto Bauer fürchteten die Mitverantwortung für die Kürzung von Sozialleistungen und den Personalabbau beim öffentlichen Dienst; man wolle sich nicht an der Rettung des Kapitalismus beteiligen. So war der Weg in die Katastrophe vorgezeichnet. Step by step ging es mit Österreich bergab: illegale Auflösung des Parlaments (März 1933), blutiger Bürgerkrieg (Februar 1934), Ermordung des autoritären Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß (Juli 1934). Immer mehr politische Power konzentrierte sich bei den Antidemokraten; und mittlerweile wurden auch die Schuldigen an der Wirtschaftskrise – sowie am Elend der Arbeitslosen – dingfest gemacht: Für die Sozialdemokraten waren es die „Kapitalisten“ und die politisierende katholische Kirche, für die Bürgerlichen das „Proletariat“, für die Nationalsozialisten die Juden. Ein Plakat der jungen Nazis bestand z. B. in einer Rechnung und dem Text: „500.000 Arbeitslose, 400.000 Juden – Ausweg sehr einfach …“
Mittlerweile war rund um Österreich ein Ring von Staaten entstanden, die mit ähnlichen Problemen kämpften wie Österreich. Aber man kooperierte im Donauraum kaum freundschaftlich miteinander, weil jedes Land aus der Habsburger-Zeit offene Rechnungen mit seinen Nachbarn hatte. Auch waren diskrete Waffengeschäfte für die Politiker wichtiger als der Abbau der Zölle oder eine gemeinsame Währungspolitik. In Italien waren die Faschisten schon in den 20er-Jahren an die Macht gekommen, Ungarn war ein semiautoritäres Regime des k. u. k. Admirals Nikolaus Horthy, in Jugoslawien regierte eine serbische Königsdynastie, von der sich die anderen Nationalitäten verfolgt fühlten, in Polen putschte sich Jozef Pilsudski an die Macht. Und im Deutschen Reich hatte sich der Österreicher Adolf Hitler 1933 mit Terrormethoden die Straße ebenso erobert wie die Wahllokale …

Nun kann heute jedermann die schlimme Historie nachlesen und für sich selbst die Lehren ziehen. Die heute Verantwortlichen in Regierung und Nationalrat, in den Bundesländern und bei den Sozialpartnern müssen jedoch dringend darum ersucht werden, so schnell wie möglich unter die Tuchent zu rutschen und zum Kuschelkurs zurückzukehren. Es verliert auch niemand sein Gesicht, wenn er zur Bewältigung der schwersten Wirtschaftskrise seit 1945 mit seinen Partnern pfleglich und konkordant umgeht. Ein Glück somit, dass es die große Koalition gibt. Sie ist die seriöse Übersetzung des Wortes „Kuschelei“. Und daher bitte auch keine Experimente mit FPÖ und BZÖ!