Christoph Leitl: "Josef Pröll hat keine Anhänger mehr? Das ist lächerlich!"

In der FORMAT-Ausgabe 30/2010 bezog Chefredakteur Andreas Weber in seinen Kommentar einen Witz ein: Josef Pröll habe seine Traktoren verkauft, weil er keine Anhänger mehr hat. WKO-Präsident Christoph Leitl reagiert nun darauf und stellt sich demonstrativ hinter den Vizekanzler.

Josef Pröll soll seinen Traktor verkaufen, weil er keine Anhänger mehr hat?

Bekanntlich ist der Traktor eine Zugmaschine. Von ihm geht Dynamik und Steuerungsfunktion aus. Und mit den Anhängern sollen die Dinge bewegt werden. Josef Pröll hat keine Anhänger mehr? Lächerlich! Wissenschaftler wie Aiginger, Felderer oder Achatz, Rechnungshofpräsidenten wie Moser und Fiedler, Wirtschaftler wie Androsch, Sorger oder auch ich sind Anhänger, die stellvertretend für die Mehrheit der Bevölkerung stehen, wenn es darum geht, dass der Traktor den jetzt richtigen und notwendigen Kurs einschlägt. Es ist zwar mühevoll, die eingefahrenen Spurrillen zu verlassen, aber es geht. Wenn man es will!

Mut und Handlungsfähigkeit sind jetzt gefragt wie nie zuvor im letzten halben Jahrhundert

Wir müssen vieles verändern, damit wir vorne dabei bleiben. Klar: Wir sind in Schieflage. Die demografischen Veränderungen machen Österreich von der Alpenrepublik zur Altenrepublik. Wir haben uns in unserem Verhalten zwar nicht zum Aussterben, aber doch zum Schrumpfen entschlossen. Das ist eine gewaltige Anforderung an unsere sozialen Netze und an lieb gewordene Standards. Das Dickicht der Bürokratie und fast liebevoll kultivierte Unsinnigkeiten verhindern ein optimales Aus- und Weiterbildungssystem, ein effizientes Krankenanstaltenwesen und Einbremsen des Pfuschertums – und behindern unsere Entwicklung massiv.

Eine Hacklerregelung soll fortgesetzt werden, die vielen nützt, nur nicht den wirklichen Hacklern. Und uns alle Hunderte Millionen kostet! Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderungen ist durchaus gegeben, aber die praktischen Konsequenzen sind praktisch null. Es ist zum Verzweifeln.

Gerät ein Betrieb in eine Schieflage und tut nichts dagegen, macht er Pleite. Der Staat in Schieflage, der nichts tut, macht nicht Pleite. Er hat ja seine Bürger, die er zur Kasse bitten kann. Klingt ja so einfach: Lieber Bürger, öffne dein Geldbörsel, wir müssen deine Kaufkraft abschöpfen, weil wir selbst nicht imstande sind, das zu bewerkstelligen, was jeder Betrieb und jeder Haushalt in dieser Situation machen würde.

Und dann noch die scheinheilig-rührselige Geschichte von den paar Reichen, die man nur schröpfen müsste – und die Welt wäre wieder in Ordnung. Klingt ja gut, die Sache hat nur einen Haken: Sie stimmt nicht. Selbst die Erfinder dieser netten Story wissen, dass die Reichen-Diskussion das ideologische Feigenblatt für eine allgemeine Belastungswelle sein wird.

Drankommen wird vor allem der Mittelstand. Einer von vier Österreichern zahlt schon heute mehr in das System ein, als er herausbekommt, drei bekommen mehr heraus, als sie einzahlen. Statt den einen, der mehr einzahlt, pfleglich zu behandeln, will man ihm ans Leder.

Nein, wir sind nicht Griechenland, aber wir sind am griechischen Weg! Und wenn wir jetzt nichts ändern, werden wir auch dort enden. Eine tolle Perspektive für die Jungen und ihre Zukunftserwartungen, ein Armutszeugnis der Sonderklasse für die politischen Modernisierungs-Verweigerer.

Europa und Österreich sind heute schon Schlusslicht im weltweiten Wachstum

Dabei hätten wir mit unserem kreativen Potenzial, unseren Talenten und Begabungen alle Chancen, wenn, ja wenn die Rahmenbedingungen dazu stimmen würden! Daher die entscheidende Frage: Bringen wir jetzt entweder den Mut auf für einen Neustart, oder bleiben wir beim Weiterwursteln?

Wer jetzt, wie der Vogel Strauß, den Kopf in den Sand steckt, hat offensichtlich Sand im Kopf. Mein Appell an die Realitätsverweigerer und Veränderungsbehinderer: Bitte zieht euch zurück! Es ist der beste Dienst, den ihr unserem Land und seinen Menschen erweisen könnt! Und an Traktorfahrer Sepp Pröll: Bitte weiterfahren! Die Zahl seiner Anhänger ist größer, als er selbst vermutet. Schafft er es, schaffen wir es alle!