Markus Brunnermeier: "Man muss nun schnell lernen"

Eine Gesellschaft kann lernen, Schocks gut zu meistern, aber sie muss dafür ziemlich agil und offen sein. Der Ökonom Markus Brunnermeier, von dem das Wirtschaftsbuch des Jahres stammt, im trend-Interview von Martina Bachler.

Markus Konrad Brunnermeier

Markus Konrad Brunnermeier

trend: In Österreich ist die vierte Welle im Gang, das Land befindet sich wieder im Lockdown. An welchem Punkt dieser Krise sind wir gerade?
Markus Brunnermeier: Die Krise könnte sich auf den letzten Metern befinden, weil es die Impfung und auch bald Medikamente gibt. Aber die Einstellung zur Krise hat sich stark geändert. Weil viele glaubten, dass wir auf den letzten Metern sind, hat man die Gefahren nicht mehr so deutlich gesehen. Es wird mittlerweile von vielen unterschätzt, wie gefährlich die Pandemie noch ist.

Auch von der Politik?
Für die Politik ist es sehr schwierig, sich gegen die Mehrheit der Menschen aufzurichten. Es wäre ja politisch unklug.

Und deshalb wartet sie so lange damit, strengere Maßnahmen zu setzen?
Es ist enorm schwierig, die Notwendigkeit von Maßnahmen überzeugend zu kommunizieren, bevor die echte Gefahr nicht sichtbar ist. Wenn die Gefahr schon real sichtbar ist, ist das einfacher. Wenn die Übersterblichkeit schon raufgeht, lassen sich Einschränkungen leichter kommunizieren. Weil in der Pandemie aber alles exponentiell ansteigt, hat die Politik nicht viel Zeit, zu reagieren. Natürlich sollte sie eigentlich präventiv agieren, aber es ist sehr schwierig, wenn man im politischen Wettbewerb steht.

Warum? In Österreich stehen wir ja nicht unmittelbar vor Wahlen.
Es ist schwierig, weil ein gewisses Grundvertrauen in die politische Klasse häufig fehlt. Länder, in denen mehr Grundvertrauen in die Institutionen da ist, konnten schon früher reagieren.


Es hat mich überrascht, wie groß die Distanz zur Politik geworden ist.

Das sieht man vor allem in Skandinavien. Aber auch im deutschsprachigen Raum ist das Grundvertrauen in Institutionen eigentlich hoch.
Auch mich hat es überrascht, wie groß die Distanz zur Politik nun geworden ist. In den USA ist dieses Grundvertrauen übrigens erschüttert. Da ist man in Europa noch sehr viel besser dran.

Ihr neues Buch befasst sich mit dem Thema Resilienz, also der Fähigkeit, auch große Schocks gut zu überwinden. Können wir jetzt, in der Krise, schon für künftige Krisen vorbauen?
Man muss es sogar! Man kann nicht alle Schocks abwehren, aber man sollte die Fähigkeit haben, nach dem Schock wieder zurückzufedern. Es kommt in jeder Krise darauf an, schnell zu lernen. Man wusste am Anfang nicht, ob das Virus über die Hände oder über die Luft übertragen wird, also mussten wir das erst lernen und dann die Maßnahmen an die Erkenntnisse anpassen.


Wirtschaftsbuch des Jahres 2021

Markus Brunnermeier - Die resiliente Gesellschaft

Resilienz ist ein Begriff aus der Psychologie und beschreibt die Eigenschaft, sich auch nach einer Krise wieder erholen zu können. Seit ein paar Jahren wird er auch für Wirtschaft und Gesellschaft verwendet. Ausgehend von der Coronakrise ist Markus Brunnermeier ein leicht verständliches Buch gelungen, das die Zukunft in den Blick nimmt und zu einer klaren These kommt: Wir müssen kleinere Krisen zulassen, um uns auf größere vorzubereiten. Und wir müssen agil und flexibel werden, vom Einzelnen bis zu den Institutionen, um jeweils angemessen zu reagieren.

Die resiliente Gesellschaft: Wie wir künftige Krisen besser meistern können 336 Seiten, Aufbau Verlag, 24,70 Euro.Das Buch hier beziehen

Bei manchen Menschen hat es auch für Verunsicherung gesorgt, dass Maßnahmen sich änderten.
Man hat den Eindruck erzeugt, die Wissenschaft würde immer alles schon wissen. Das tut sie aber nicht. Deshalb ist die richtige Kommunikation so wichtig: Man muss für Maßnahmen werben, aber dazusagen, dass sich diese auch ändern können. Sonst wird man eben unglaubwürdig.

Was könnte da helfen?
Ein etwas bescheidenerer Zugang. Wenn man klar sagt, dass man nach dem aktuellen Wissensstand agiert, sich dieser aber auch ändern kann und man die Maßnahmen deshalb auch anpassen könnte. Das ist eine Kommunikationsstrategie, die leider nicht gewählt wurde. Es ist aber auch eine große Herausforderung, denn bei Corona muss man die Allgemeinheit erreichen und breit kommunizieren.

Im deutschsprachigen Raum verläuft die vierte Welle sehr viel heftiger als in anderen Ländern. Trotz der niedrigen Impfquote glaubte man, es werde nur überschaubare Probleme geben, sobald es wieder kälter wird. Hätte man da etwas aus dem Vorjahr lernen können?
Man ist seinem Wunschdenken gefolgt. Die Bevölkerung wünscht sich das ganze Problem weg. Leider kommt dann wieder die Enttäuschung.

In Österreich hieß es sogar, die Pandemie sei vorbei, zumindest für die geimpften Menschen.
Hier sieht man wieder das Wunschdenken. Es sind zwei Extreme, die das Meistern von Krisen erschweren: die totale Angst und das totale Verdrängen. Beides hilft nicht dabei, resilient zu werden und sich gut auf neue Schocks vorzubereiten und frühzeitig richtig zu reagieren.


Es werden noch viele Schocks kommen, die von uns verlangen, uns agil anzupassen.

Was könnte das Lernen in Krisen erleichtern?
Wir im deutschsprachigen Raum haben es sehr gerne ordentlich. Alles muss klar sein und sich gut einordnen lassen, das gibt uns ein Gefühl der Sicherheit. Chaos und Veränderung verunsichern uns. Das führt dann auch dazu, dass man unterschätzt, wie ein Virus mutiert und dann die Impfung zum Beispiel gegen die Delta-Variante offenbar weniger wirksam ist. Wir müssten viel anpassungsfähiger sein, so, wie es der Ökonom John Maynard Keynes ausdrückte:"Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung, Sie nicht?"

Gerade in einer nie gekannten Situation sucht man jedoch nach Sicherheit.
Deshalb muss sich unsere Grundeinstellung ändern. Rigidität ist sehr schlecht für Stabilität, wenn sich alles verändert. Wenn sich die Welt ändert, sollte man nicht stillstehen. Es werden noch viele Schocks kommen, die von uns verlangen, uns agil anzupassen, um sie zu überstehen.

Mit welchen Schocks rechnen Sie?
Sehr sicher kommt es auf uns zu, dass Bakterien resistent gegenüber Medikamenten sein werden. Darauf müssen wir uns genauso vorbereiten wie auf eine Zunahme von Cyberattacken, weil unser Leben sehr viel digitaler wird. Wir können auch noch nicht alle Folgen des Klimawandels gut abschätzen, da können auch noch Schocks lauern. Und das ist nicht alles.


Geld ist nicht das Problem, das lässt sich drucken.

Was droht uns denn noch?
Wir werden in Zukunft als Menschen sehr viel mehr mit Technologie verwachsen sein. Wenn aber Chips ins Gehirn bekommen oder wenn wir die Gene von Kindern manipulieren können, werden sich viele ethische Fragen stellen, aber eben auch neue Schocks drohen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können. Als einzelne Nationen werden wir uns diesen Änderungen nicht verschließen können, selbst wenn wir uns das wünschen.

Wie bereiten wir uns darauf vor?
Wir brauchen gute, flexible Institutionen und gewisse Reserven in der Hinterhand.

Reserven im Sinn von Geld?
Geld ist gar nicht unbedingt das Problem, denn das lässt sich drucken. Es ist aber schon wichtig, dass der Schuldenstand nicht zu hoch ist, um in Notsituationen noch einen Spielraum zu haben. Viel mehr als ums Geld geht es um eine gute Grundversorgung, um Know-how und Humankapital, um die richtige Infrastruktur und um Einrichtungen, die gut und flexibel reagieren können. Und natürlich geht es um das richtige Mindset.

Es geht darum, weniger ängstlich auf Veränderungen zu reagieren?
Es geht um eine gewisse Agilität, und die zeigt sich auch in der Aufgeschlossenheit gegenüber Andersdenkenden. Je heterogener eine Gesellschaft ist, desto besser kann sie Schocks abfangen, weil nie jeder im gleichen Ausmaß davon betroffen ist. Umgekehrt gilt aber, dass homogene Gesellschaften eher dazu bereit sind, einander in solchen Situationen zu helfen. Es gibt also immer eine gewisse Spannung.


Wir ignorieren kleine Krisen so lange, bis daraus große Krisen werden.

Und es gibt gerade sehr viel Veränderung: die Klimakrise, der technologische Wandel, die demografische Entwicklung. Das kann auch überfordern.
Die Welt ist im Wandel, aber das war sie auch früher. Jetzt sind die Schocks jedoch vielfältiger und sie sind schwerer vorherzusagen. Deshalb ist die Flexibilität heute auch wichtiger, als sie es früher war, vor allem, weil vieles an diesem Wandel sehr global ist. Man müsste deshalb daran arbeiten, die internationalen Institutionen zu verbessern.

In den vergangenen Jahren ging es ja eher in die Gegenrichtung.
Das müsste sich wieder ändern, denn es gilt auch: Eine Krise kommt selten allein. Man müsste sich eigentlich immer auf zwei Krisen simultan vorbereiten. Es hilft dabei übrigens, kleinere Krisen auch wirklich zuzulassen.

Inwiefern?
Wir tendieren dazu, kleine Krisen zu ignorieren und sie so lange aufzuschieben, bis daraus eine große Krise wird. Dabei lässt sich aus den kleinen Krisen für die gesamte Bevölkerung viel lernen. Die Länder, die unter Sars-1 litten, waren auf Covid-19 besser vorbereitet. Und weil wir in der Finanzkrise Hilfsinstrumente erprobten, hatten wir sie jetzt schon schnell einsatzbereit. Auch Kinder muss man ja kleinen Gefahren aussetzen, damit sie lernen, was zu tun ist, wenn es ernst wird. Alle Krisen zu verhindern, und zwar um jeden Preis, ist eigentlich das Schlimmste, das man tun kann.


Unternehmen werden ihre Lieferketten global neu aufstellen.

In Europa haben wir die Masken der Asiaten ziemlich lang ignoriert.
Es herrschen bei uns aber auch andere soziale Normen, und diese Normen sollte man nicht unterschätzen. Sie sind viel effektiver als alles, was die Politik vorgibt. Bei den Politikern ist die Versuchung jedenfalls sehr groß, kleine Krisen aufzuschieben.

In der Krise sind momentan auch noch die Lieferketten, die unter Corona und seinen Folgen leiden. Was lässt sich hier gerade lernen?
Dass es so wie für Banken auch für Lieferketten Stresstests braucht. Man muss die Risiken und ihre Folgen kennen. Ich glaube daher auch, dass Unternehmen ihre Lieferketten global neu aufstellen werden, was aber nicht heißt, dass dadurch die Produktion nach Europa zurückkommt. Die Schwellenländer werden übrigens auch davon profitieren, dass wir nun eine Globalisierung der Dienstleistungen erleben werden. Covid hat gezeigt, dass Aufgaben wie etwa das Marketing in Zukunft auch in anderen Ländern erledigt werden können. Man ist ja digital bestens vernetzt.


Das Wichtigste ist, ganz offen und pragmatisch an Probleme heranzugehen.

Ein anderer Schock, den manche Experten recht unmittelbar befürchten, ist die hohe Inflation. Ist ihre Angst berechtigt?
Ich würde nicht von Angst sprechen, sondern von Besorgnis, und das ist gut, weil es die Gefahr von hoher Inflation einbremsen kann. In den USA wird die Inflationsgefahr gerade unterschätzt und politisch in Kauf genommen. Die USA sind Europa in der Erholung um ein paar Monate voraus, die Europäische Zentralbank kann also noch reagieren. Sie muss nicht der US-Fed folgen. Es ist wichtig, dass sie richtig kommuniziert, bei welchen Werten sie welche Schritte setzt. Das fehlt mir, denn es bringt die Gefahr mit sich, dass sich die Erwartungen ändern und die Inflation dann tatsächlich nicht nur temporär ist.

Wenn die Zukunft mehr Agilität erfordert und viele Krisen mit sich bringt, ändert das auch die Anforderungen, die wir an Politiker stellen müssen?
Das Wichtigste ist die Einstellung, ganz offen und pragmatisch an Probleme heranzugehen. Zudem braucht es eine breite Grundausbildung, ein Grundwissen zu vielen verschiedenen Bereichen. Was nicht mehr geht, ist das Denken in Schubladen und Rastern, aus denen immer die gleichen Vorschläge kommen. Die zweite wichtige Eigenschaft ist es, Vertrauen zu schaffen, indem man klar sagt, dass man immer auch bereit ist, Maßnahmen wieder zurückzunehmen, wenn sich der Informationsstand ändert. Man muss nicht zum Alten zurückkehren, denn Krisen können ja auch Innovationen mit sich bringen.

Kann Corona eine Generalprobe für das sein, was noch kommen könnte?
Es kann auch zu Krisen kommen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können. In der aktuellen Situation können wir aber für später lernen, das Vertraute für eine gewisse Zeit aufzugeben. Das wird noch oft nötig sein. Auch dass es nicht sinnvoll ist, sofort an nationale Interessen zu denken, statt das globale Problem zu sehen, sollten wir uns merken.


Zur Person

Markus K. Brunnermeier

Markus K. Brunnermeier

Markus K. Brunnermeier, 52, ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Princeton. Der gebürtige Deutsche forscht vor allem zu Finanzmärkten und Liquiditätsspiralen. Er war wissenschaftlicher Berater u. a. des IWF, der Federal Reserve und der Deutschen Bundesbank und zählt aktuell zu den renommiertesten Finanzökonomen.


Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 26. November 2021 entnommen.

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