Margarete Schramböck: "Jeder digitale Arbeitsplatz schafft drei weitere"
Die für Digitalisierung und den Wirtschaftsstandort zuständige Ministerin Margarete Schramböck über Lektionen aus der Corona-Krise für den Wirtschaftsstandort - und warum ältere Österreicher im Europavergleich noch immer Internetmuffel sind.
Margarete Schramböck, Ministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort
"Fundamentals" ist das Generalthema beim diesjährigen Forum Alpbach. Haben die Corona-Erfahrungen das Zeug, die Fundamente unseres Wirtschaftssystems zu erschüttern?
Margarete Schramböck:
Nicht grundlegend. Die Digitalisierung war schon vorher da, und jetzt wird sie noch wichtiger. Es ist vielen bewusst geworden, dass die Unabhängigkeit und die Resilienz des Wirtschaftsstandorts massiv davon abhängig sind.
Nun haben bisher vor allem Amazon & Co vom Digitalisierungsschub profitiert. Wie kann auch Österreichs Digitalwirtschaft mitnaschen?
Von dem Schub wird die Wirtschaft generell profitieren, unabhängig davon, ob es eine reine Digitalfirma, ein Leitunternehmen oder ein Handwerksbetrieb ist. E-Commerce im Handel legt jetzt deutlich zu, viele Firmen entwickeln erstmals hybride Modelle, und wir wollen sie dabei unterstützen.
Sie propagieren ein digitales "Kaufhaus Österreich", um österreichischen Händlern eine Onlinepräsenz zu ermöglichen, ohne sich den großen Plattformen aus den USA oder China ausliefern zu müssen. Wann wird das kommen?
Wir müssen Konsumenten informieren, dass sie bewusster im Internet bei österreichischen Händlern einkaufen. Hierfür ist es notwendig, dass mehr österreichische Händler ihre Produkte auch im Internet anbieten. Aktuell sind derzeit ja erst 20 Prozent der Händler im E-Commerce tätig. Das "Kaufhaus Österreich" zielt einerseits auf die Sensibilisierung der Konsumenten und andererseits auf die Unterstützung der Händler im E-Commerce-Bereich. Somit braucht es eine Optimierung des rechtlichen Rahmens und eine Metaplattform, die viele Stakeholder im E-Commerce zusammenbringen soll. Sie können sich das so vorstellen wie früher: Da gab es eine Straße der Schneider, eine Straße der Schuster etc. In "Kaufhaus Österreich" sollen Webshops digital gebündelt und somit leichter auffindbar werden. Auf diese Weise soll es vor allem für unsere KMU leichter werden, einzusteigen und auf diesem Weg Kunden zu erreichen. Wir sind aber hierbei vor allem der Katalysator.
Die Corona-Erfahrung im Homeoffice und das Homeschooling haben vielfach zum Vorschein gebracht, dass es Nachrüstbedarf in der Infrastruktur, aber auch bei digitalen Kompetenzen gibt. Wo würden Sie ansetzen?
Das Wichtigste ist, niemanden zurückzulassen. Im Bereich der Bildung ist sicher der Acht-Punkte-Plan von Bildungsminister Heinz Faßmann zu nennen. Dieser Plan ist ja auch in den Aktionsplan "Digitales Österreich" aufgenommen worden. Dabei geht es um digitale Bildung in der Schulzeit, während des Arbeitsprozesses, aber auch nach dem Erwerbsleben. Für die Schule ist klar: So wie ich selbst in den Siebzigerjahren das Schulbuch bekommen habe, müssen Schüler von heute digitale Endgeräte erhalten. Und auch die Lehrer brauchen natürlich die entsprechende Infrastruktur. Um die Erwachsenen fit zu machen, gibt es bereits die Plattform fit4internet. Meine Vision ist, dort zum Beispiel Gratisausbildungen zur Verfügung zu stellen, etwa für Cybersicherheit.
Wird der digitale Fachkräftemangel durch diesen Schub jetzt eigentlich noch einmal größer?
Das werden wir wahrscheinlich erst im Nachhinein genauer wissen. Wir sehen aber, dass sich immer mehr junge Leute für diese Ausbildungen interessieren. Wir haben ja auch rein digitale Lehrberufe geschaffen, die extrem gut angenommen werden. Der E-Commerce-Lehrling etwa ist durch die Decke gegangen. Es gibt dabei erfreulicherweise auch einen hohen Frauenanteil.
Was ist aus dem Start-up-Lehrling geworden, also einer Lehre in einem Start-up-Ausbildungsverbund?
Hier sind leider Ibiza-und Corona-Krise dazwischengekommen. Wir werden das aber sicher wieder aufgreifen. Fähigkeiten in Bereichen wie Data Science oder künstliche Intelligenz werden in der Wirtschaft ja stärker nachgefragt denn je.
Was ist denn Ihr Orientierungspunkt, wenn es darum geht, Österreich in der Digitalisierung international zu positionieren, der Digital Economy and Society Index (Desi) der EU?
Wir liegen beim Desi insgesamt im Mittelfeld, und das ist für mich natürlich nicht gut genug. Wir haben vor allem in der digitalen Verwaltung stark aufgeholt, von Platz sechs auf Platz drei. Das ist vor allem unserem digitalen Amt zu verdanken. Wo wir aber weit hinten liegen, ist die Nutzung des Internets. Das liegt auch an der Altersstruktur Österreichs.
Die Älteren sind noch immer Internetmuffel?
Das hängt mit technischen Faktoren zusammen, aber auch mit Anreizsystemen. In Dänemark etwa wurden bestimmte Amtswege analog bereits abgeschafft. Deshalb gibt es dort auch eine 85-prozentige Internetnutzung bei den Älteren. So etwas würden wir jedoch nie tun. Es ist doch nicht fair, einem 80-Jährigen zu sagen, dass er jetzt nicht mehr aufs Amt gehen darf! Deshalb nehmen wir in Kauf, in dieser Disziplin nicht ganz vorn zu liegen.
Wo wollen Sie noch stark aufholen?
Sicher bei den digitalen Kompetenzen, von der einfachen Internetnutzung bis zur aktiven Gestaltung des digitalen Lebens. Dazu ist ja fit4internet da.
Ich entnehme Ihren jüngsten Präsentationen zu Betriebsansiedlungen auch, dass Sie in Zukunft sogar verstärkt auf die digitalen Skills der anzusiedelnden Firmen in Österreich schauen wollen. Wie geht das?
Jeder digitale Arbeitsplatz kreiert drei weitere, das ist der Ansatzpunkt. Mit Hilfe der langjährigen Erfahrung der Experten der Austrian Business Agency (ABA) sollen wir vermehrt Unternehmen aus den Bereichen Digitalisierung, Medtech und Life Sciences nach Österreich holen. Qualität wird hier in nächster Zeit vor Quantität gehen. Und es geht auch darum, Betriebe mit Hilfe der Digitalisierung vom Abwandern abzuhalten. Daher bin ich besonders stolz, dass es gelungen ist, die letzte europäische Penicillin-Produktion im Tiroler Kundl zu halten. Die Bundesregierung wird für dieses Gemeinschaftsprojekt mit Novartis 50 Millionen Euro an Fördermitteln bereitstellen bzw. koordinieren. Österreich steht mit dieser letzten voll integrierten Produktionsbastion in Tirol in der gesamten westlichen Welt nicht nackt da. Die Produktion in Kundl muss und wird daher aufrecht bleiben - und damit Arbeitsplätze für 5.000 Menschen an vier Standorten. Darauf bin ich sehr stolz.
Seit März ist die Regierung stark mit Corona-Hilfsmanagement beschäftigt. Erst ging es darum, Akuthilfe zu leisten, nun wird es gezielter in Richtung Stärkung des Organismus gehen. Werden Sie diese vielen Milliarden auch dafür nutzen, um die Struktur der österreichischen Wirtschaft zu verändern?
Das machen wir beispielsweise durch die Investitionsprämie, die helfen soll, den Konjunkturmotor wieder zu starten, indem Projekte nicht verschoben oder jedenfalls nicht zur Gänze gecancelt werden. Es gibt dabei einen klaren Schwerpunkt auf Digitalisierung, Life Sciences und Nachhaltigkeit. In diesen Bereichen beträgt die Prämie 14 Prozent, während die Basisprämie bei sieben Prozent liegt. Das ist unabhängig von der Branche und der Unternehmensgröße. Das Besondere und Wichtige ist, dass es für Hard-und Software gilt. Dazu kommt eine degressive Abschreibung, die ebenfalls für unkörperliche Wirtschaftsgüter, also etwa Software, gilt.
Das heißt, Digitalisierung und Klimaschutz gehen für Sie Hand in Hand?
Auf jeden Fall, und zwar direkt und indirekt. Ich sage immer: Jede Tonne Stahl, die in Europa produziert wird, ist ein Beitrag zum Umweltschutz, weil wir mit ganz anderen Standards produzieren -das gilt für Papier, Zement und andere Erzeugnisse gleichermaßen. Die voestalpine baut das digitalste Stahlwerk der Welt in Kapfenberg und überlegt, ihre Produktion mittelfristig auf Wasserstoff umzustellen. Indem wir generell durch Digitalisierung und Automatisierung wieder näher am Kunden produzieren können, helfen wir mit, die CO2-Herausforderungen zu lösen.
Zur Person
Margarete Schramböck, 50, ist seit 2018 Ministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort. Davor war die Tirolerin CEO der A1 Telekom Austria. Im Juni hat Schramböck ihren "Digitalen Aktionsplan Austria" gestartet, ein strategisches Maßnahmenprogramm zur Digitalisierung.
Margarete Schramböck ist einer von über 200 Speakerinnen am European Forum Alpbach 2020. Mehr zum #EFA2020 finden Sie im trend-Thema EFA2020
