"Klimaschutz wird uns noch viel mehr beschäftigen als Corona"

Siemens-Österreich-CEO Wolfgang Hesoun zieht Bilanz über das Jahr der Pandemie. Er ruft zum Impfen auf und sieht den Klimawandel als noch größere Herausforderung als Corona.

Wolfgang Hesoun, Vorstandsvorsitzender Siemens AG Österreich

Wolfgang Hesoun, Vorstandsvorsitzender Siemens AG Österreich

trend: Herr Hesoun, in diesen Tagen kann man kaum ein Interview führen, ohne die nahezu obligatorische Frage zu stellen: Wie geht es Ihnen? Wie sind Sie und Siemens Österreich durch die Corona-Krise gekommen?
Wolfgang Hesoun: Am Beginn des Jahres hätte es niemand für möglich gehalten, dass eine Pandemie Österreich und die Welt in Atem hält. Wir leben derzeit in herausfordernden Zeiten, in denen Budgetdiskussionen und Maßnahmen zur Virusbekämpfung alltäglich geworden sind. Siemens ist bis dato gut durch die Krise gekommen. Es ist uns glücklicherweise gelungen alle Werke am Laufen zu halten und Lieferantenausfälle auszugleichen. Wir hatten im letzten Geschäftsjahr kaum Produktivitätsverluste zu verzeichnen. Summa summarum konnten wir in Österreich und im CEE Raum beachtliche Auftragseingänge und Erfolge erzielen.

Sie hatten wiederholt und eindringlich vor einem zweiten Lockdown und dessen Folgen gewarnt. Am Ende war der dennoch unvermeidlich. Wie schwerwiegend schätzen Sie die Folgen nun ein? Und wie lange wird es dauern, bis wir die Krise wirtschaftlich abhaken können?
Wirkliche Planbarkeit wird erst mit einer Impfung eintreten können. Je nach Branche wird es unterschiedliche und länger andauernde Erholungsphasen geben. Die Industrie in Österreich ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor mit rund 1 Million Arbeitsplätzen. In turbulenten Zeiten ist sie das Rückgrat des Wirtschaftsstandorts. Gerade Corona hat gezeigt, wie wichtig es ist, Abhängigkeiten zu reduzieren und bestimmte Produktionen, die früher aus Kostengründen in andere Länder ausgelagert wurden, wieder nach Österreich zurückzuholen. Wie lange wir alle die Auswirkungen der Pandemie spüren werden, ist schwer zu sagen. Ich bin allerdings sehr zuversichtlich, dass mit einem Impfstoff die für Unternehmen so wichtige Planbarkeit wieder zurückkehren wird. Ich werde daher die erstmögliche Chance ergreifen mich impfen zu lassen und hoffe auch viele Personen in meinem Umfeld dazu motivieren zu können.


Die Wirtschaftskrise zeigt, wie verwundbar Unternehmen sind und wie schnell sich das Blatt wenden kann.

Siemens war – wenn man das so sagen darf, in der Corona-Krise eher auf der Butterseite. Das Unternehmen konnte seinen Mitarbeiterstand halten und ist ohne Produktionsausfälle und praktisch ohne Kurzarbeit durch das Jahr 2020 gekommen. Zudem sind die Auftragsbücher– besonders im Mobility-Bereich voll. Die ÖBB haben Zugmaterial um weitere 300 Millionen Euro bestellt. Stimmt Sie das zuversichtlich?
Jeder erfolgreich gewonnene Auftrag stimmt mich zuversichtlich. Nur so schaffen wir es Arbeitsplätze zu erhalten und weiter in Forschung und Entwicklung zu investieren. Technologisch gesehen sind wir breit aufgestellt, um die richtige Technologie für den richtigen Anwendungszweck anbieten zu können: Für die ÖBB einen batterie-hybriden Zug, der exakt auf die Anforderungen des Österreichischen Streckennetzes passt. Für die Wiener Linien Wasserstoffbusse. Das sind zukunftsweisende Projekte, die den Wirtschaftsstandort Österreich stärken und die auch beim Thema Klimawandel einen positiven CO2-Footprint hinterlassen. Wir haben uns als erstes großes Industrieunternehmen zum Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu sein. Hierzu trägt auch die notwendige Digitalisierung in der Industrie bei. Die Relevanz der Digitalisierung wurde durch die Pandemie nur noch verstärkt, da sie ein elementarer Hebel ist, um die Produktivität zu Steigern und den Einsatz von Primärressourcen zu reduzieren.

Siemens Österreich ist auch ein wichtiger Auftraggeber für zahlreiche Klein- und Mittelbetriebe. Inwiefern bereiten Ihnen die Covid-bedingten Probleme von Zulieferbetrieben – die ja allesamt Spezialisten auf ihrem Gebiet sind – Sorge?
Die Wirtschaftskrise zeigt leider auch wie verwundbar Unternehmen sind und wie schnell sich das Blatt wenden kann. Firmen haben in Österreich traditionell eine geringe Ausstattung mit Eigenkapital. Dies ist jedoch wichtig, um gegenüber den Banken und Kunden liquide sein zu können. Im Zuge der Bilanzerstellung kann es durch Impairments und anderen Faktoren zu einer Belastung des Eigenkapitals kommen; mit dem Ergebnis, dass Unternehmen weniger als acht Prozent Eigenkapitalquote aufweisen. Dies kann bei den Banken zu einer Kürzung der benötigten Linien führen und für Unternehmen existenzbedrohend sein. Eine steuerliche Besserstellung, wie immer wieder angedacht wird, wird da nur partiell helfen. Der Staat muss sich also überlegen, wie er jenen Unternehmen unter die Arme greifen kann, die in diese Situation kommen. Deshalb braucht es ein neues Regulativ, um diesen, an sich gesunden Unternehmen, eine Restrukturierung zu ersparen. Aus Sicht von Siemens könnte das auch Teile unserer Zulieferer betreffen und so in der Folge zu Produktionsproblemen führen.


Klimaschutz darf nicht heißen, dass Industrie und Wirtschaft gezwungen sind, ins Ausland abzuwandern.

Und wie stellt sich die Lage der Lieferketten nun für Sie dar? Besonders während des ersten Lockdowns im Frühjahr hatte sich gezeigt, wie fragil und verletzlich das System von globalen Wertschöpfungsketten sein kann. Müssen hier neue Lösungen gefunden werden?
Österreich und Europa durchlaufen gerade eine harte Prüfung, die durch die Pandemie ausgelöst wurde. Sie zeigt sehr deutlich, welche Vor- und Nachteile die Globalisierung mit sich bringt. Zum einen muss es uns gelingen das Branchen Know-how und F&E im eigenen Land zu halten und zum anderen gilt es auf Lieferketten und zukunftsgerichtete Investitionen zu achten. Die von der Regierung beschlossene Investitionsprämie in der Höhe von ursprünglich zwei Milliarden Euro führte in kurzer Zeit zu einem zehnfach höherem Investitionsvolumen.

Dreht man das Rad der Zeit nur ein wenig zurück, an den Jahresanfang 2020, dann dominierte damals ein ganz anderes Thema: Der Klimawandel und die „Friday-for-Future“-Bewegung, die zum sofortigen Handeln mahnte.
Corona hat sicherlich den Fokus derzeit etwas verändert. Gegen Corona wird uns bald eine Impfung schützen. Gegen den Klimawandel gibt es allerdings keine Impfung. Wünschenswert wäre es, wenn die Wissenschaft, Politik und Wirtschaft hier das gleiche Engagement, so rasch wie möglich eine gangbare Lösung zu finden, an den Tag legen würden. Ich gehe davon aus, dass der Kampf gegen den Klimawandel uns künftig noch viel mehr beschäftigen wird als Corona das jemals getan hat. Europa und auch Österreich haben ein ambitioniertes Programm auf den Tisch gelegt. Auch wir werden unseren Beitrag leisten, nur eins sei klargestellt: Klimaschutz darf nicht heißen, dass Industrie und Wirtschaft mangels Wirtschaftlichkeit künftig gezwungen sind ins, Ausland abzuwandern. Damit wäre niemandem geholfen – weder den Mitarbeitern noch der Umwelt. Nirgendwo auf der Welt wird so wenig klimaschädlich produziert wie in Österreich und Europa.

Kann die Pandemie – bei all ihrer Tragik – am Ende vielleicht dazu beitragen, dass die wichtigen Herausforderungen wie Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und Digitalisierung entschlossener angegangen werden?
Klimaschutz und effizienter Einsatz von Energie werden – wie vorhin schon angesprochen – die öffentliche Agenda in den nächsten Jahren stark prägen. Wir können uns im Bereich der Energietechnik zum absoluten Vorreiter zählen. Wir haben in Österreich europaweit, und darüber hinaus, beachtete Projekte: die Smart City Aspern mit einem der innovativsten Energieeffizienzprojekte und der neu in Betrieb genommene Siemens Campus Microgrid. Sie beide vereinen Forschung und Anwendung und reduzieren den CO2-Footprint deutlich.


Zur Person

Wolfgang Hesoun, 60, ist seit 2010 Vorstandsvorsitzender der Siemens AG Österreich mit Verantwortung für weitere 20 Länder in CEE. Hesoun ist zudem Präsident des Fachverbands der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI). Vor seiner Zeit bei Siemens war er Vorstand und Generaldirektor der Porr AG und der Porr Umwelttechnik AG.


Eine gekürzte Version des Interviews ist in der trend-Ausgabe 51+52/2020 vom 18. Dezember 2020 erschienen.

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