KfW-Vorständin Hengster: „Wir fördern nicht am Markt vorbei“
Die gebürtige Linzerin Ingrid Hengster, als Vorständin der staatlichen Förderbank KfW im Zentrum der deutschen Corona-Hilfen, über den Kraftakt am Beginn der Krise, Gewinner und Verlierer, Maßnahmen gegen Förderbetrug, Österreichs Corona-Performance und die Gefahr einer „Zombiewirtschaft“.
KfW Vorständin Ingrid Hengster
trend:
Die KfW erfüllt in der Corona-Zeit Aufgaben, die in Österreich dezentral von AWS, Kontrollbank etc. erfüllt werden. War das in der Corona-Zeit von Vorteil?
Ingrid Hengster:
Wir haben die KfW-Corona-Hilfen innerhalb kürzester Zeit auf die Beine gestellt. Dabei waren zwei Faktoren von Vorteil: Erstens konnten wir auf etablierte Kreditprogramme zurückgreifen, zweitens konnten wir uns auf die über Jahrzehnte gewachsene Zusammenarbeit mit der deutschen Kreditwirtschaft stützen. In den ersten Wochen hatten wir pro Woche bis zu 10.500 Kreditanträge im Haus, und unsere IT-Systeme haben den Anforderungen Stand gehalten. Per 15. September haben wir rund 88.000 Anträge mit einem beantragten Volumen von 56,3 Milliarden Euro erhalten, zugesagt sind bereits 83.000 Anträge mit einem Volumen von 44 Milliarden Euro. Es war also ein außergewöhnlicher Kraftakt von allen Beteiligten, von Politik bis zur Finanzwirtschaft, der gezeigt hat, was man gemeinsam erreichen kann.
Sie sind ja nicht Zahlstelle für die Unternehmen, das erledigen deren Hausbanken und Finanzierungspartner. Wie viel des zugesagten Geldes ist schon in der Wirtschaft gelandet?:
Das lässt sich nicht konkret beziffern, denn für viele Unternehmen ist unsere Zusage eine Art Liquiditätsversicherung. Sie rufen die Mittel nicht sofort komplett ab, sondern in jeweils benötigtem Umfang. Die Zahl und das Volumen der eingehenden Kreditanträge geht aktuell zurück, weil sich im Sommer heraus gestellt hat, dass die Liquiditätssituation vielfach besser ist als erwartet. Am Anfang der Krise haben wir Anträge im Volumen von in Summe einer Milliarde Euro pro Tag gesehen, jetzt sind es nur noch etwa 100 Millionen.
Bei derart großen Fördervolumina, die jetzt binnen kurzer Zeit bewegt werden: Wie minimieren Sie Förderbetrug?
Das Betrugsrisiko ist bisher in erster Linie bei den Zuschussprogrammen aufgetreten, die wir als KfW aber im Rahmen des Sonderprogramms nicht anbieten. Bei unseren Kreditprogrammen gibt es die klassische „Know-Your-Costumer-Prüfung“ durch die Banken, die auch dokumentiert wird und das Betrugsrisiko minimiert. Alle Kreditnehmer werden darüber belehrt, dass Subventionsbetrug strafbar ist. Dazu gibt es regelmäßige Überprüfungen unserer Finanzierungspartner. Uns sind bisher keine betrügerischen Vorkommnisse aufgefallen.
Es zeigen sich Gewinner und Verlierer als Folge der Krise.
Sie haben zum Halbjahr beträchtliche pauschale Risikovorsorgen für „kritische Branchen und Länder“ gebildet. Können Sie das konkretisieren?
Die Corona-Pandemie hat die gesamte Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession gestürzt und belastet auch unser Geschäft. Ein Großteil unserer aktuellen Riskovorsorge ist auf die Pandemie zurückzuführen und betrifft nicht nur unser Fördergeschäft in Deutschland, sondern unsere gesamten weltweiten Aktivitäten, zum Beispiel in der Finanziellen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern. In Deutschland zeigen sich aktuell Gewinner und Verlierer bei den Branchen als Folge der Krise: Digitalisierung, Medizintechnik und Aktivitäten im Wohnungsbau (z.B. haben sich Menschen damit beschäftigt ihr Zuhause zu verschönern) auf der einen Seite haben profitiert, für den Maschinenbau und die Autozulieferer hingegen hat die Pandemie den Veränderungsdruck, der schon vor der Krise bestand noch einmal verstärkt.
Es gibt inzwischen eine lauter werdende Diskussion, dass durch die Corona-Hilfen Strukturen gefördert werden, die mittelfristig nicht überlebensfähig sind.
Unsere Aktivität erfolgt im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Hausbank, nicht wir, entscheidet in erster Instanz, ob der Kreditantrag angenommen wird. Wir fördern nicht am Markt vorbei Unternehmen, die dazu nicht geeignet sind. Es sollen ja nur solche Unternehmen Hilfe bekommen, die nachweislich durch Corona in Schwierigkeiten geraten sind, das ist auch die Vorgabe der EU.
Aber ein Hersteller von Ölfiltern, der in der Elektromobilitäts-Welt kaum Chancen hat, kann von Covid-19 genauso betroffen sein und mit Corona-Hilfen sein Leben verlängern, ohne zukunftsfähig zu sein. Sie sehen keine Gefahr von „Zombie – Unternehmen“?
Wir sehen, dass die Transformations- und Widerstandsfähigkeit des deutschen Mittelstandes erstaunlich groß ist. Rund 40 Prozent der deutschen mittelständischen Unternehmen haben schon in der Akutphase der Corona-Krise ihre Geschäftsmodelle oder Produktpallette angepasst. Der Kampf- und Erfindergeist ist beeindruckend – egal, ob es ein Automobilhersteller ist, der fehlende Bauteile nun selbst durch 3-D-Druck herstellt, oder eine Werbeagentur, die auf die Produktion von Kunststoff-Spuckschutzwänden umgestellt hat. Viele haben sich also in dieser Zeit schon gewandelt. Und vieles wurde auch schon davor verändert. Unternehmen, die schon vor Corona kein nachhaltiges Geschäftsmodell hatten, sollten die Krise jetzt als nachdrücklichen Anstoß nutzen, sich neu aufzustellen.
Österreich hat sich durch sein Krisenmanagement im internationalen Vergleich sehr gut positioniert.
Bei den Förderanreizen würden Sie in der jetzigen Phase nichts ändern?
Es gibt schon länger Förderungsmöglichkeiten für Zukunftsinvestitionen z.B. in Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Und das ist auch ein Schwerpunkt des Konjunkturprogrammes der Bundesregierung. Um junge Unternehmen beim Aufbau neuer Geschäftsmodelle zu unterstützen, hat der Bund neben den Kredithilfen ein eigenes Venture-Capital Programm aufgesetzt. Für größere Start-ups arbeitet unsere Tochtergesellschaft KfW Capital mit VC-Fonds zusammen, während die KfW selbst Mittel für die Förderinstitute der Länder bereitstellt, die daraus kleinere Start-ups in den jeweiligen Regionen unterstützt.
Wie hat sich Corona auf die Organisation der KfW ausgewirkt?
Die Pandemie hat die ohnehin bestehende Entwicklung zu mobilem und flexiblem Arbeiten in der KfW stark beschleunigt. Derzeit arbeiten rund 40 Prozent unserer Mitarbeiter im Home Office, und wir lernen ernorm viel über die Möglichkeiten, die das bietet, aber auch über die Grenzen. Mobiles Arbeiten ermöglicht es uns, Büroflächen zu reduzieren, aber auch angenehmere Co-Working-Spaces zu schaffen. Wenn sich dadurch der Pendlerverkehr reduziert, ist das auch ökologisch positiv. Dafür braucht es aber eine technische Infrastruktur, und man muss die Mitarbeiter bei diesem Wandel begleiten. Am besten hat sich für uns eine Mischung aus Präsenz und mobilem Arbeiten erwiesen. Auch Führung wird sich in diesem Umfeld von Agilität und digitaler Arbeit weiterentwickeln.
In Österreich wurde ja in Sachen Corona-Hilfen neidvoll in die Schweiz und nach Deutschland geblickt, weil dort das Tempo der Abwicklung so hoch war.
In Deutschland gibt es seit vielen Jahren eine sehr gut aufeinander abgestimmte Förderinfrastruktur zwischen dem Bund und Ländern und der Kreditwirtschaft. Darum hat das auch so exzellent funktioniert. Ich habe aber auch gesehen, dass die Österreicher sehr schnell und viele wirkungsvolle Maßnahmen auf die Beine gestellt haben. Insgesamt hat sich das Land durch sein Krisenmanagement im internationalen Vergleich somit auch sehr gut positioniert. Jetzt kommt es im nächsten Schritt darauf an die wichtigsten Zukunftsthemen voranzubringen. Dazu gehören vor allem die Unterstützung von neuen innovativen Unternehmen und die Transformation in eine nachhaltige Wirtschaft.
Das Interview ist der trend-Ausgabe 38/2020 vom 18. September 2020 entnommen. Es ist Teil der Serie "Wege aus der Krise", die mit der Ausgabe 37/2020 gestartet ist.