Katharina Turnauer: „Ich mache das nicht aus schlechtem Gewissen"

Am 1. Oktober ist der Europäische Tag der Stiftungen. Die Präsidentin des Österreichischen Verbandes für gemeinnütziges Stiften, Katharina Turnauer, gab dem trend das erste große Interview: über Mutter Teresa, das Verhalten der Reichen in der Corona-Krise, Forderungen an die Politik und ihren Großvater, den Industriellen Herbert Turnauer.

Katharina Turnauer: „Ich mache das nicht aus schlechtem Gewissen"

Katharina Turnauer - Präsidentin des Verbandes für gemeinnütziges Stiften.

trend: Sie sind in eine Industriellenfamilie hineingeboren worden, haben in Rom mit Mutter Teresa gearbeitet. Ist Ihre gemeinnützige Stiftung die Symbiose aus Wirtschaft und Wohltätigkeit?
Katharina Turnauer: Es geht nicht darum, Gutes zu tun, nur um diesen Punkt daraufhin abhaken zu können. Es geht mehr um eine Lebensphilosophie, in der der Mensch immer im Mittelpunkt steht, denn jedes Schicksal zählt. Das Wirtschaftliche war am Anfang völlig im Hintergrund, das begann ich nach und nach in London zu entdecken, wo ich für Christie's gearbeitet habe. Und erst als ich nach Wien zurückgekommen bin und die KTP gegründet habe, hat sich herausgestellt, dass ich das wirtschaftliche Denken quasi mit der Muttermilch mitbekommen habe.

Haben Sie mit Ihrer Biografie einen anderen Blick auf die Wirtschaft?
Ich habe sicher verstehen gelernt, wie Unternehmen geführt werden. Ein CEO hat etwa enorme Verantwortung, die man erst einmal aushalten muss. Andererseits leben wir in einem Zeitalter der Gewinnmaximierung um jeden Preis. Wenn ich einkaufe, kaufe ich eine Hülle, die dem Inhalt nicht entspricht. Entweder ist die Packung halb leer, oder der Inhalt ist längst nicht so gut wie angepriesen. Das ist alles Täuschung. Diesen Ansatz halte ich für destruktiv, weil es immer um Quantität und nicht Qualität geht. Die Menschen bleiben dabei auf der Strecke. Auf der anderen Seite sehe ich meinen Großvater Herbert Turnauer als eine herausragende Persönlichkeit, der die österreichische Wirtschaft stark mitgeprägt hat. Er war es, der mich gelehrt hat, dass eine finanzielle Unterstützung für Soziales erst einmal verdient werden muss.

Worauf konzentriert sich Ihre Stiftung?
Es gibt derzeit 25 Projekte, die wir unterstützen oder auch selbst umsetzen. Selbst machen wir etwa "Supertramps", das sind Wiener Stadtrundgänge mit Obdachlosen, die ausgebildet werden, um ihr Wien zu zeigen, oder "Somaro", das sind soziale Supermärkte in Rumänien. Das zweite Feld sind Projekte, die wir begleiten, da geht es nicht nur um Geld, sondern um Mentoring und sehr oft auch um Kontakte. Dazu gehört das Generationen-Kaffeehaus "Vollpension" oder auch "Grow Together", ein Projekt, das Familien mit kleinen Kindern in den schwierigsten Situationen unterstützt, damit die Spirale von Gewalt, Sucht und Vernachlässigung gebrochen wird. Daneben gibt es noch die klassische Direkthilfe für in Not geratene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Firmen der Turnauer-Gruppe. Immer wieder gibt es auch ein Hand-in-Hand von öffentlich und privat, und hier sind gemeinnützige Stiftungen besonders gefragt.


Der Staat ist ein Dampfer, der sehr schwer zu bewegen ist. Wir Privatstiftungen sehen uns als Segelboote.

Also Public-Private-Partnerships wie beim Autobahnbau?
Nicht ganz. Ich finde, der Staat ist ein Dampfer, auf dem es eine Hierarchie des Könnens geben sollte, aber dieser Dampfer ist sehr schwer zu bewegen. Als gemeinnützige Stiftungen sehen wir uns als Segelboote, die schneller und beweglicher sind.

Braucht es im starken Sozialstaat Österreich diese Boote überhaupt?
Es braucht beides. Für viele sind soziale Aktivitäten prinzipiell eine Aufgabe des Staates, es gibt da immer wieder ideologische Vorbehalte. Und Österreich ist ja tatsächlich das beste soziale Land, das ich kenne. In der Corona-Zeit hat sich gezeigt: Das System funktioniert. In Italien, Spanien und Griechenland war das nicht immer der Fall. Aber dennoch sehen wir bei unseren Projekten, dass wir ein sinnvoller Komplementär sind. Wir tun, was der Staat nicht leisten kann, indem wir gute Ideen ausprobieren, die die öffentliche Hand in das System aufnehmen könnte.

Stiftungen haben ja nicht den allerbesten Ruf.
Wir sind prinzipiell Steuerhinterzieher und Geldwäscher, ich weiß. Dieses enge Denken hilft uns natürlich nicht weiter. Abgesehen davon gibt es in Österreich eine Art von Neidgesellschaft, in der die eigene subjektive Sicht als allgemein gültige Messlatte genommen wird, nach dem Motto: "Wer ist eigentlich reich? Alle, die mehr haben als ich." Wegen der ambivalenten Färbung sind viele Stifter in Österreich, die auch viel Gutes tun, sehr, sehr diskret.

Segelboote in Ehren: Aber fehlen bei uns nicht Dampfer wie die Stiftungen von Lego oder Ikea, die allein das UNHCR mit 200 Millionen Dollar unterstützen?
Ja - wir hätten sie natürlich gerne. Die Rahmenbedingungen für Stiftungen sind hier einfach nicht attraktiv genug. Daher sind leider einige große Stiftungen aus Österreich wieder weggegangen.

Die gemeinnützigen Stiftungen schütten pro Jahr geschätzte 50 bis 70 Millionen Euro aus - ist das angesichts der Milliarden in den eigennützigen Stiftungen nicht eine Art Feigenblatt?
Im Gegenteil. Wir im Verband für gemeinnütziges Stiften sagen nicht: Ihr seid die Bösen, wir sind die Guten. Wir versuchen, die eigennützigen Stiftungen zu motivieren, sich ebenfalls sozial zu engagieren. Dafür braucht es aber Vorreiter. Österreich hat eine schlechtere Ausgangslage als etwa Deutschland oder die Schweiz; die Spendenabsetzbarkeit ist nur für mildtätige Zwecke gegeben. Bildung, zum Beispiel, ist immer noch nicht absetzbar. Das ist nicht unbedingt ein Incentive, um sich sozial zu engagieren. Für die Unterstützung von allen anderen, nicht mildtätig definierten Zwecken sind zusätzlich auf die Unterstützungssumme 25 Prozent Steuern zu bezahlen. Wenn die Gemeinnützigkeit im Gesetz umfangreicher gedacht wäre, würden eigennützige Stiftungen sicher wesentlich mehr tun. Dass das Finanzministerium befürchtet, Millionen zu verlieren, ist zu eng gedacht: Es bekommt ja auf der anderen Seite auch viel zurück. Und eine Zivilgesellschaft ist viel mehr als die Steuern, die sie zahlt.

Sie haben im September Forderungen an die Regierung vorgelegt. Gibt es Reaktionen?
Dank Harald Mahrer gab es 2015 einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung mit der Änderung des Stiftungsrechts. Heute sind unsere Forderungen an jene angeknüpft. Erstens muss das Gründen von gemeinnützig aktiven Stiftungen einfacher werden, indem es nur noch eine öffentliche Anlaufstelle gibt und nicht mehrere, die sich gegenseitig widersprechen. Zweitens wollen wir eine Verlängerung der steuerlichen Vorteile für gemeinnützige Stiftungen über das Jahr 2020 hinaus. Drittens: Bildung muss unbedingt steuerlich absetzbar werden. Es gibt bereits konkrete Gespräche, der Ausgang ist offen.


Viele Menschen, die Vermögen haben, sind jetzt in den Startlöchern.

Warum machen Sie das eigentlich?
Nicht weil ich ein schlechtes Gewissen habe, ich kann ja nichts dafür, dass ich in diese Familie hinein geboren wurde. Meine größte Inspiration war Mutter Teresa, von ihr habe ich gelernt, dass ich dem Anderen seine Würde zurückgebe, wenn ich ihm auf Augenhöhe begegne. Das soziale Tun bringt mir zutiefst Freude und Sinn. Meine Familie war schon immer sozial engagiert, das allerdings sehr diskret. 2009 kam die große Wirtschaftskrise...

...die auch Immofinanz, Constantia etc. mehr als gebeutelt hat ...
... und da haben wir als Familie gesehen, dass es noch mehr Unterstützungsbedarf gibt. Wir haben uns dazu entschlossen, die KTP zu gründen, um Unterstützung auf solide und nachhaltige Beine zu stellen. Ein soziales Engagement kann in einem Familienunternehmen überdies dazu führen, die Familie über Generationen zusammenzuhalten. Gemeinsam identifiziert man sich mit einem sinngebenden Ziel, wo die Eigeninteressen nicht im Vordergrund stehen, und das verbindet.

Die Arm-reich-Schere, sagen Experten, wird durch Corona weiter auseinandergehen. Sind die Reichen in dieser Situation besonders gefordert, wird es mehr gemeinnützige Aktivität geben?
Ich hoffe doch. Wenn sich Staat und Private hier wechselseitig gut abstimmen, sind die Chancen gut. Sicher sind jetzt viele Menschen, die Vermögen haben, in den Startlöchern, um die jetzt so notwendige Unterstützung zu geben. Andererseits wissen ebenso viele noch nicht, wie sie selbst mit ihrem Unternehmen durch die Krise kommen werden. Wenn eine Stiftung zum Beispiel vier Zinshäuser besitzt, deren Mieten als Kapital in die Stiftung fließen, und diese Mieten fallen krisenbedingt aus, dann bekommt die Stiftung auch kein Geld mehr. Wir hoffen nicht, dass der Einbruch sehr groß sein wird.

Letzte Frage: Hat Mutter Teresa bei ihren Projekten auch wirtschaftlich kalkuliert?
Nein. Sie hat auf die göttliche Vorsehung vertraut, und das hat funktioniert. Bei der Eröffnung des ersten ihrer Häuser in Wien war noch nicht klar, woher das Geld für die Miete kommen soll. Da drückte mir bei der Eröffnung des Hauses in der Menschenmenge jemand ein Plastiksackerl in die Hand, das wir erst am Abend öffneten: Es war auf den Schilling genau die erste Jahresmiete drin.

ZUR PERSON

Katharina Turnauer (55) ist Präsidentin des Verbandes für gemeinnütziges Stiften. Die studierte Theologin, Enkelin des Industriellen Herbert Turnauer, hat in Rom für Mutter Teresa gearbeitet und war für das Auktionshaus "Christie's" in London tätig. Seit 2009 managt sie die Turnauer Privatstiftung.



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