Jutta Allmendinger: "Männer bewegen sich fast nicht"
Die Pandemie hat das Homeoffice normalisiert. Die deutsche Soziologin Jutta Allmendinger sieht gerade das als Gefahr für die Gleichberechtigung - weil es Frauen noch mehr in ihre traditionelle Rolle zwingt.
Jutta Allmendinger
trend:
Sie sagten vor einigen Monaten, dass die Pandemie die Gleichberechtigung zurückwerfe. Gilt das immer noch?
Jutta Allmendinger:
Der Eindruck hat sich nicht geändert. Zu Beginn der Pandemie erlebten wir, dass Frauen und Familien in der öffentlichen Diskussion keine Rolle spielten. Man schloss Kindertagesstätten und Schulen und verließ sich darauf, dass die mehrheitlich Teilzeit arbeitenden Mütter das schon wuppen. Das ist jetzt nicht anders. In Frankreich oder Skandinavien spielen Mütter und Kinder eine ganz andere Rolle.
Ändert sich das nicht wieder, sobald die Pandemie vorbei ist?
Das bezweifle ich. Nach dem ersten Lockdown sind Männer schneller wieder in ihre Berufe zurückgekehrt. Zudem arbeiten viele Frauen in Branchen, die besonders stark von Pandemie und Strukturwandel betroffen sind: in der Gastronomie, im Bekleidungshandel. Und ich fürchte, dass wir auch vieles übersehen, wenn wir das Homeoffice so ausdrücklich begrüßen.
Vor allem Frauen befürworten es doch?
Ja, denn das Homeoffice erleichtert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das hat aber wenig mit einer Gleichstellung zu tun. So lange die Vereinbarkeit noch Müttersache ist, solange wird das Homeoffice diese traditionellen Rollenmuster verfestigen. Ich sehe nicht, wie die Lohn- und Rentenlücke geschlossen werden könnte, und auch Aufstiege in Führungspositionen werden nicht leichter.
Wollen wir, dass Frauen noch mehr so werden wie Männer? Ist das die beste Lösung?
Nur, wenn die Väter nicht auch mehr im Homeoffice sind.
Klar. Im Moment engagieren sich Väter mehr, insbesondere, wenn die Mütter in systemrelevanten Jobs arbeiten. Wir werden sehen, ob das anhält. In der Vergangenheit haben sich die Erwerbsverläufe von Männern und Frauen zwar aneinander angeglichen - es waren aber hauptsächlich die Frauen, die sich bewegten. Neben der unbezahlten Hausarbeit haben sie nun auch einen Job, oft in Teilzeit. Umgekehrt zeigen Statistiken, dass Männer nur wenig mehr Arbeit im Haushalt übernehmen, bei der Kinderbetreuung oder wenn es darum geht, jemanden zu pflegen. Wir müssen uns also fragen: Wollen wir, dass Frauen noch mehr so werden wie Männer? Ist das die beste Lösung?
Die unbezahlte Arbeit löst sich jedenfalls nicht in Luft auf, wenn Frauen mit Familie Vollzeit arbeiten.
Eben. Daher müssen wir uns überlegen, wie wir unbezahlte und bezahlte Arbeit so gestalten, dass sie von Frauen und Männern gleichermaßen ausgeübt werden. Ich bin davon überzeugt: Es geht nur gemeinsam. In dem Moment, in dem ein Arbeitgeber nicht immer auf die in Vollzeit tätige Person zurückgreifen kann, die in der Regel ein Mann ist, ändert sich alles.
Inwiefern?
Wir sehen, dass Unterbrechungen der Erwerbsarbeit den Sprung auf die nächste Karrierestufe oft verhindern. Wir sehen auch, dass Teilzeitarbeit durch einen niedrigeren Stundenlohn bestraft wird. Und natürlich führt die Teilzeit auch zu niedrigeren Rentenzahlungen im Vergleich zu Männern. Wenn Männer und Frauen ihre bezahlte und unbezahlte Tätigkeit ähnlich aufteilen, werden sich diese Muster ändern.
Ich schlage eine 32-Stunden-Arbeitswoche als die neue Normalarbeitszeit vor.
Es ist in den vergangenen Jahren trotz vieler Anreize für Männer so wenig passiert. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Ich schlage eine 32-Stunden-Arbeitswoche als die neue Normalarbeitszeit vor. Frauen würden dann etwas mehr als im Moment arbeiten, Männer weniger. Die 32-Stunden-Woche ist zudem über den gesamten Lebensverlauf gedacht. Wenn man kleine Kinder hat, arbeitet man ein bisschen weniger, später wieder mehr. Die Produktivität pro Stunde ist gestiegen, die Digitalisierung des Arbeitsmarkts hilft auch. Wir können uns die Arbeitszeitreduktion also leisten. Und wir brauchen sie auch: für etwas mehr Ruhe im Leben, für mehr Zeit für andere und die Gesellschaft.
Viele Unternehmen werden das als Herausforderung sehen.
Dabei können sie viel zur Gleichstellung der Geschlechter beitragen. Bei uns am Wissenschaftszentrum gehen immer mehr Väter auch mal sechs oder sieben Monate in Elternzeit. Es spricht sich herum, dass das zu keinem Karriereknick führt. Betriebe können zudem Führungspositionen in Teilzeit anbieten. Diese Positionen haben oft ein hohes zeitliches Pensum, das kann man sich mit Kindern nur sehr schwer leisten. Aufgeteilt funktioniert das aber. Letztendlich zeigen wissenschaftliche Studien, dass Diversität den Unternehmen sehr gut tut und sie voran bringt.
Deutschland hat vor wenigen Wochen vorgelegt, dass in Vorständen mit mehr als drei Mitgliedern mindestens eine Frau vertreten sein muss. Hilft das?
Noch ist das Gesetz nicht verabschiedet. Ich drücke die Daumen und habe mich selbst dafür sehr engagiert. Die bisherige, freiwillige Verpflichtung zur Bestellung von Frauen hat nämlich nicht funktioniert: Eine Reihe von großen Unternehmen hat sich die Zielgröße null gesetzt. Die Regierungskoalition hatte sich hatte sich in ihrem Programm darauf verständigt, etwas dagegen zu tun. Zwar werden nur wenige Frauen direkt von dieser neuen Quote profitieren, aber das Signal ist doch wichtig. Angela Merkel hat sicherlich das Selbstbild vieler Mädchen geprägt, die sich sagen: Auch eine Frau kann Regierungschefin werden. Und ein solches Vorbild werden auch die neuen Vorständinnen geben.
Sobald Kinder da sind finden sich die alten Rollen schleichend ein.
Wie kommt es, dass trotzdem immer noch so viel familiäre Arbeit an den Frauen hängt?
Es gibt dazu viele Untersuchungen. Junge Männer und Frauen geben zwar in Befragungen an, dass sie sich die unbezahlten Aufgaben gerecht aufteilen wollen. Sobald aber Kinder da sind, finden sich die alten Rollen schleichend ein. Männer sind meist etwas älter und im Job schon etablierter. Oft verdienen sie auch etwas mehr und haben Arbeitgeber, die es nicht gerne sehen, wenn sie lange aussteigen. Auch kulturelle Normen stehen dem entgegen. Und so bleiben sie im Job, Frauen unterbrechen, gehen in Teilzeit. Es bleibt, wie es war.
Die junge Vätergeneration will das doch anders?
Das werden wir sehen. Jedenfalls freue ich mich, wenn viele Männer jetzt darauf hinweisen, dass sie mit den Kindern zum Spielplatz gehen, sich mehr kümmern. Hoffentlich bleiben sie dran. Bisher war es leider anders: Wenn es der Arbeitsmarkt zugelassen hat, waren die Väter schnell wieder in Vollzeit.
Zur Person
Jutta Allmendinger, 64, ist Präsidentin des renommierten Wissenschaftszentrums für Soziologie in Berlin.

Zuvor leitete sie das Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung und forschte und lehrte in den USA. Sie zählt zu den wichtigsten Stimmen im deutschsprachigen Raum, wenn es um die Gleichstellung der Geschlechter geht.
Buchtipp. Gespickt mit eigenen Erfahrungen und sehr viel Empirie zeigt die deutsche Soziologin Jutta Allmendinger in ihrem Buch "Es geht nur gemeinsam!", wie es mit der Gleichberechtigung funktionieren kann. 137 Seiten, Ullstein, 12,40 Euro.
Das Interview ist ursprünglich in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 12. Februar 2021 erschienen.