Das Lebenswerk von Muhammad Yunus, einem Professor aus Bangladesh, begann mit 27 Dollar. Er lieh das Geld 42 mittellosen Korbflechtern in einem Dorf nahe der Universität von Chittagong, wo er Anfang der 1970er Jahre Wirtschaftstheorie lehrte. Die Korbflechter bauten ihre winzigen Handwerksbetriebe aus und zahlten - sehr zur Überraschung von Yunus - das Darlehen zurück.Bald zog der junge Professor von Dorf zu Dorf, um Kleinstunternehmer zu unterstützen. Damit war die Idee von Mikrokrediten für Arme geboren: Geld an diejenigen verleihen, für die normale Bankkredite unerreichbar sind. Ohne Sicherheiten, aber mit Zinsen - und meist an Frauen. 1983 gründete Yunus die Grameen-Bank, die bald Millionen von Menschen in Bangladesch unterstützte. Überall auf der Welt fand er Nachahmer. Als Yunus im Jahr 2006 zusammen mit der Grameen-Bank den Friedensnobelpreis bekam, gab es Kleinkreditgeber in mehr als 100 Ländern. Nun wird der visionäre Ökonom 75 Jahre alt.
Geboren wurde Yunus 1940 als Sohn eines Goldschmieds in der Hafenstadt Chittagong, in der damaligen Kronkolonie Britisch-Indien. Nach einem Studium an der Universität Dhaka ging er mit einem Fulbright-Stipendium in die USA. Im Alter von nur 33 Jahren wurde er Wirtschaftsprofessor an der Universität seiner Geburtsstadt. Die Hungersnot 1974 schockierte ihn tief.
Jeder Mensch hat unternehmerisches Potenzial
Yunus war schnell davon überzeugt, dass sich Arme mit Hilfe von Mikrokrediten selbst aus ihrer Not befreien können - wenn sie ohne Kredithaie und Wucherzinsen agieren können. "Ich dachte immer, dass alle Menschen als Unternehmer geboren werden. Aber leider hatten viele von uns nie die Möglichkeit, diesen Teil von sich zu entdecken. Deswegen bleibt er versteckt", sagt er in einem Interview.
Warum aber bekam Yunus dann nicht den Wirtschaftsnobelpreis? "Armut ist eine Bedrohung für den Frieden", sagt er in einem Interview nach der Preisverleihung in Oslo. Arme Menschen würden ihre reicheren Nachbarn nicht friedlich schlafen lassen, weil sie verzweifelt sind. "Die Brutstätte für Terrorismus ist erbärmliche Armut", sagte er.
Social Business: Soziales mit Wirtschaft kombinieren
Mittlerweile umfasst das Imperium von Yunus nicht mehr nur die Bank, sondern mehr als 50 soziale Unternehmen. Er verlangt "social business", das sich nicht an Profitmaximierung orientiert, sondern am Nutzen für die Menschen. Yunus selbst hat unter anderem einen Milchbetrieb, Gesundheitskliniken, ein alternatives Energieunternehmen und Grameen Shikkha, das von Studentenkrediten bis Berufsausbildung reicht.
"Er ist ein Mann mit einer unglaublichen Brillanz im Denken und vor allem mit einem Mut zum Querdenken", meinte einmal der Soziologe Peter Spiegel, der ein Porträt des Wirtschaftswissenschaftlers schrieb. Das Magazin "Fortune" nennt den Bengalen "einen der größten Unternehmer unserer Zeit". Nachahmer im Bereich des sozialen Wirtschaftens, bei dem soziale Ziele mit wirtschaflichen Mitteln erreicht werden, gibt es zu Genüge - in Wien gilt das "Hotel Magdas" als Musterbeispiel des Social Business; im ImpactHub Vienna, einem Coworkingspace für Social Businesses, tummeln sich etliche Unternehmer mit großartigen Ambitionen.

Inspiriert durch Muhammad Yunus: Der ImpactHub Vienna ist in Wien der Tummelplatz für Social Business.
Nicht so gut gelangen Yunus' Ausflüge in die Politik. Im Jahr 1996 war er zwei Monate lang Minister in einem Übergangskabinett. 2007 gründete er eine eigene Partei, "Macht der Bürger". Doch geriet er in Streit mit Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina. Das führte dazu, dass er als Direktor seiner eigenen Grameen-Bank abgesetzt wurde. Offizieller Grund: sein Alter.
Armut - ein strukturelles Problem
Auch behauptete Hasina, Yunus würde mit Mikrokredit-Zinsen "das Blut der Armen aussaugen". Hinzu kam vermehrt Kritik aus dem Ausland, Mikrokredite seien nicht das richtige Werkzeug, um Armut zu begegnen. Armut habe strukturelle Gründe und sei nicht das Verhaltensproblem eines Einzelnen, argumentieren etwa die feministischen Ökonomen Susan F. Feiner und Drucilla K. Barker. Auch kritisieren sie den sozialen Druck, da Kreditnehmer in einem Dorf für Ausfälle anderer in Haftung genommen würden.
Außerdem wurde die Effektivität der Mikrokredite angezweifelt. Oft könne der Markt die hergestellten Produkte nicht aufnehmen und die Mini-Unternehmen brächen wieder zusammen, schreibt etwa Milford Bateman von der britischen Denkfabrik Overseas Development Institute. "In Bangladesch haben es 64 Prozent unserer Kunden geschafft, aus eigenen Kräften aus der Armut herauszukommen", erwiderte Yunus auf die Kritik. Die Rückzahlungsrate der Kredite liege bei 98 Prozent - trotz Wirbelstürmen und Überschwemmungen, und ohne Kreditverträge, Sicherheiten und Anwälte.