Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek will sich der Justiz stellen
Nach der Verhaftung von Wirecard-Chef Markus Braun will sich der in Südostasien untergetauchte aus Österreich stammende Ex-Finanzchef Jan Marsalek nun doch den Behörden in Deutschland stellen.

Manila/Aschheim. Im Wirecard-Skandal wird eine Hauptfigur der Affäre in Südostasien vermutet. Die philippinische Einwanderungsbehörde sucht den ehemaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, wie Justizminister Menardo Guevarra am Mittwoch in Manila sagte. Der 40järhige aus Österreich stammende Marsalek war demnach am 3. März in der philippinischen Hauptstadt und reiste zwei Tage später wieder aus.
Marsalek galt beim Zahlungsabwickler Wirecard als rechte Hand des gestürzten Vorstandschefs Markus Braun. Beide stammen aus Österreich. Marsalek war für das Tagesgeschäft verantwortlich, wurde aber vergangene Woche zuerst suspendiert, am Montag dann fristlos entlassen - ein klares Anzeichen, dass Wirecard-Aufsichtsrat und -Vorstand mittlerweile davon ausgehen, dass Marsalek gegen seine Pflichten verstoßen hat.
Unklar war am Mittwoch noch, ob sich Marsalek aufhält. "Es gibt jedoch einige Hinweise darauf, dass er kürzlich zurückgekehrt ist und möglicherweise noch dort ist", sagte Justizminister Guevarra. Außerdem haben die Philippinen im Zusammenhang mit der Affäre um mutmaßliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Mrd. Euro Geldwäsche-Ermittlungen eingeleitet.
Doch die Lage hat sich offenbar geändert. Die "Süddeutschen Zeitung" berichtet am Mittachnachmittag, dass sich Marsalek nächste Woche den Behörden stellen will.
Sein Kalkül sei es, wie bereits der frühere Wirecard-Chef Markus Braun ebenfalls gegen Kaution und weitere Auflagen von einer Untersuchungshaft verschont zu werden.

Der bei Wirecard einst für Finanzen zuständige Jan Marsalek soll sich in Südostasien, höchstwahrscheinlich auf den Philippinen befinden. Die Staatsanwaltschaft München will auch den 40jährigen Österreicher, der lange Jahre als die "rechte Hand" von Wirecard-Chef Markus Braun galt, zum Finanzskandal seines Ex-Unternehmens einvernehmen. Marsalek wurde erst kürzlich gefeuert und ist derzeit unterwegs, will sich aber nun doch der Justiz stellen.
Interessiert an Marsalek sind naturgemäß auch die Münchner Ermittler. Der erst vom Unternehmen suspendierte Top-Manager wurde erst Ende voriger Woche endgültig gefeuert. Marsalek soll per Haftbefehl gesucht werden. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft hatte allerdings schon am Vortag dazu gesagt, sie könne das "weder bestätigen noch dementieren" - die traditionelle Formel für zutreffende Nachrichten, die eine Behörde nicht offiziell machen will.
Marsaleks ehemaliger Vorgesetzter Braun war am Montag für eine Nacht in Untersuchungshaft genommen worden, kam aber am Dienstagnachmittag unter hohen Auflagen wieder frei. Braun hat die vom Münchner Amtsgericht festgesetzte Kaution von fünf Mio. Euro mittlerweile bezahlt, wie ein Gerichtssprecher sagte.
Der ehemalige Vorstandschef Braun muss sich abgesehen von der hohen Kaution für die Dauer der Ermittlungen wöchentlich bei der Polizei melden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 1969 geborenen Österreicher unrichtige Darstellung der Wirecard-Bilanzen und Marktmanipulation vor.
Abgesehen von den strafrechtlichen Ermittlungen muss Braun für die Zukunft Schadenersatzforderungen seines früheren Arbeitgebers befürchten. Wirecard wollte sich dazu nicht äußern: "Das Unternehmen gibt derzeit keine weiteren Stellungnahmen ab", sagte ein Sprecher.
Rechtsgrundlage in dieser Hinsicht ist ein Grundsatzurteil des deutschen Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1997, auf das Fachleute verweisen: Demnach sind Aufsichtsräte verpflichtet, Vorstände bei Pflichtverletzungen in Haftung zu nehmen, sonst riskieren sie selbst Haftungsansprüche.
In der Versicherungsbranche ist es ein bekanntes Phänomen, dass die Neigung von Aufsichtsräten zum Verklagen ehemaliger Vorstände in den vergangenen Jahren so stark zugenommen hat, dass manche Versicherer im Geschäft mit der Manager-Haftpflicht (D&O) rote Zahlen schreiben. Kriminelles Verhalten allerdings ist grundsätzlich nicht versicherbar.
Die Suche nach dem Geld
Die von Wirecard vermissten 1,9 Mrd. Euro hätten seit Ende vergangenen Jahres auf Treuhandkonten bei zwei philippinischen Banken verbucht sein sollen, doch diese Konten gab es mutmaßlich nie.
Justizminister Guevarra sagte dazu, er habe keine Informationen darüber, ob Wirecard auf den Philippinen tätig sei. Er habe jedoch die Ermittlungsbehörde National Bureau of Investigation (NBI) angewiesen, mit dem Anti-Geldwäsche-Rat AMLC zusammenzuarbeiten, um den Fall zu untersuchen.
Und in Singapur beschäftigt Wirecard die Ermittler ebenfalls: Die Polizei des Inselstaats hat ihre seit über einem Jahr laufenden Ermittlungen gegen den ehemaligen Wirecard-Manager Edo Kurniawan bisher nicht abgeschlossen. Eine inhaltliche Stellungnahme lehnte ein Sprecher der Singapore Police Force (SPF) unter Verweis auf die laufende Untersuchung jedoch ab.
Der frühere Leiter der Buchhaltung hatte das Unternehmen im April 2019 verlassen, nachdem finanzielle Unregelmäßigkeiten ans Licht gekommen waren. Die Geschehnisse in Singapur sind auch für die deutschen Ermittler von großer Bedeutung: Dort sitzt der bis Ende 2019 ursprünglich für Wirecard tätige Treuhänder, der die nun vermissten Summen in Obhut haben sollte.
Die Wirecard-Aktien an der Frankfurter Börse stürzen unterdessen auf immer neue Tiefstände ab. Getrieben von Insolvenzängsten verloren die Papiere erneut über ein Viertel ihres Werts und sanken bis zum Nachmittag auf 13 Euro. Ende des Monats läuft eine Kreditlinie über insgesamt 2 Mrd. Euro aus.
Banken geben noch Aufschub
Wirecard hat aber für einige Tage Aufschub erhalten. Die Banken wollten die langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens prüfen, bevor sie die ausstehende Summe von 1,75 Mrd. Euro zurückforderten, hieß es in Finanzkreisen. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg darüber berichtet.
Ex-Vorstandschef Braun hat auch selbst immense Einbußen erlitten: Im Februar war sein Wirecard-Aktienpaket noch gut 1,2 Mrd. Euro wert. Mittlerweile sind die Papiere auf weniger als ein Zehntel ihres damaligen Kurses abgestürzt, und Braun hat vergangene Woche über fünf Millionen seiner ursprünglich gut 7,6 Millionen Anteile verkauft. Sein verbleibendes Paket belief sich am Mittwoch überschlägig auf einen Wert von weniger als 30 Mio. Euro.