Digitale Transformation: Auf geht's zum Sprint!
Das disruptive Element der Digitalisierung wird in Europa unterschätzt. Ein Fehler, der den Untergang bedeuten könnte. Gefragt ist die richtige Strategie beim Umgang mit der neuen Welt.
Es ist eine fast prototypische Geschichte, die ein renommierter heimischer Unternehmensberater zu erzählen weiß. Den Chef eines erfolgreichen deutschen Mittelständlers, Produzent von Autoscheinwerfern auf Hightech-Niveau, produktionstechnisch auf dem letzten Stand der Dinge und am Markt voll mit dabei, fragte er, ob dieser für sein Unternehmen angesichts der um sich greifenden Digitalisierung Sorge habe. "Nein", lautete die Antwort, "wir produzieren nach modernsten Gesichtspunkten, haben Topprodukte, die nachgefragt werden, wir sind zukunftssicher." Nächste Frage: Ob er sich Gedanken gemacht habe, was passiere, wenn selbstfahrende Autos kommen. Antwort: "Selbstverständlich, auch für diese werden wir topmoderne Scheinwerfer auf dem jeweils letzten Stand liefern können." Nachfrage: Warum er denn glaube, dass ausschließlich von Computern und Sensoren gesteuerte Autos Scheinwerfer benötigen würden? Antwort: völlige Sprachlosigkeit.
Typisch für das Thema Digitale Transformation, also den Übergang vom herkömmlichen Zusammenspiel der Teilnehmer an Ökonomien -vom Produzenten bis zum Kunden -ins Zeitalter der totalen, allumfassenden Digitalisierung: Man weiß, dass das unausweichlich kommt und viele und vieles betreffen wird. Aber tiefer darüber nachgedacht haben bisher nur wenige Menschen - zumindest nicht in Europa, und schon gar nicht in Österreich.
Die Vereinigten Staaten haben im digitalen Transformationsprozess die Nase vorn und geben den Ton an. Das könnte entscheidend für Jahrzehnte sein.
Dabei hegen Unternehmensberater wenig Zweifel daran, das der Transformationsprozess in den entwickelten Staaten der Welt keinen Stein auf dem anderen lassen dürfte. "Das ganz große disruptive Element wird kommen", sagt zum Beispiel Gunther Reimoser von Ernst &Young ("EY"; siehe Interview Seite 124). Und diese Disruption dürfte Dramatik in unvorstellbarem Ausmaß bedeuten: Es wird eine Vielzahl von Unternehmen geben, deren heute noch funktionierende Businesspläne schon in wenigen Jahren obsolet geworden sind und die ihre unternehmerische Tätigkeit völlig neu denken müssen. Ganze Branchen könnten verschwinden. Auch große Konzerne wird es treffen, wenn sie nicht rechtzeitig umdenken.
Das Ende der Welt
Für viele Unternehmen bedeutet die digitale Transformation das Ende der Welt, wie sie sie kennen. Es gibt jetzt schon Beispiele: Eines der bekanntesten ist Kodak, jener über Jahrzehnte unangefochtene Riese im weltweiten Fotobusiness, der mit der Erfindung der Digitalkamera innerhalb weniger Jahre einfach vom Markt verschwunden ist, weil dem Geschäftsmodell über Nacht die Grundlage fehlte. Oder die Medienbranche: Überall auf der Welt befinden sich traditionelle Medienkonzerne mit herkömmlichen Funktionsweisen ihrer Printprodukte im Höllentempo am absteigenden Ast -und sie wissen oft immer noch nicht, wie sie reagieren sollen. Der Bankensektor steht kurz davor, Ähnliches zu erleben, weil Digitalanbieter wie Amazon immer stärker auch ins Bankengeschäft drängen und dort Dienstleistungen auf völlig anderer Basis anbieten.
Fortschritt der Digitalisierung im Branchenvergleich

GAMECHANGER FÜR ALLE BRANCHEN. Medien und IT müssen mit radikalen Veränderungen rechnen, andere Branchen wie Pharma oder Energie werden eher gering betroffen sein -zumindest bis 2020. Was danach kommt, getraut sich derzeit noch niemand, vorherzusagen, Stichwort: Artificial Intelligence.
Österreich ist da alles andere als eine Insel der Seligen. Die Probleme heimischer Verlagshäuser sind mittlerweile Legende. Und eben erst verkündete die UniCredit in Mailand, Mutter der früheren Bank Austria, den neuerlichen Abbau von Zigtausenden Jobs. Die Hotellerie der Tourismus-Hochburg Österreich bekommt längst die weltweit abrufbaren Digitalangebote von neuartigen Unternehmen wie Airbnb, Wimdu oder 9Flats zu spüren und kämpft dagegen mit untauglichen Mitteln einen Kampf der Entrechteten auf verlorenem Posten, statt sich mit Innovationsgeist anzupassen. Genau wie die Interessenvertretung des heimischen Taxigewerbes, das vor Uber erstarrt wie das Kaninchen vor der Schlange, statt selbst neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Tempo ist eines der Hauptprobleme: Während die Taxi-Innung noch überlegt, wie man Uber bekämpfen könnte, werden bei der digitalen Konkurrenz schon neue Dienstleistungen wie Lebensmittelzustellung nach Internetorder und mehr überlegt.
Chinesen und Japaner haben -wie auch die Europäer - den Start ins neue Zeitalter verschlafen. Sie ziehen derzeit aber einen unglaublichen Sprint an.
Den Vertretern der "alten" Ökonomie scheint es großteils an Vorstellungskraft zu fehlen. Vor allem im deutschen Sprachraum gibt es noch kaum Problembewusstsein -obwohl die digitalen Transformationsprozesse bereits Realität sind und an vielerlei Türen klopfen. Und das mit einer Geschwindigkeit, die so enorm ist, dass in fünf, maximal zehn Jahren alles auch schon wieder vorbei sein könnte. Wer sich in diesem Zeitraum nicht angepasst und reagiert hat, wird nicht mehr vorhanden sein.
Gefährlicher Rückstand | Chance oder Bedrohung?

AN AMERICAN DIGITAL STORY. Alle fünf Unternehmen mit der stärksten Kapitalisierung weltweit kommen aus den USA, vier davon sind "Digitals". Und die Hälfte der befragten österreichischen Unternehmen sieht in der Digitalisierung Chancen -hat aber meist keine Ahnung, welche.
Das Thema wird vielerorts einfach noch vom Tisch gewischt, weil das Business vorläufig ganz gut funktioniert. Dabei ginge es nicht einmal um größere Investitionen, sondern in erster Linie einmal darum, zu erkennen, dass alles anders werden wird, und das auf die eigenen Geschäftsmodelle umzulegen. "Digitalisierung und Transformationsprozesse sind keine Frage des Kapitals", sagt zum Beispiel Infineon-Vorstandschefin Sabine Herlitschka, "sondern des mutigen Wollens, des Know-hows und des entschlossenem Tuns."
Paralysiertes Europa
Infineon ist als Vorreiter bei Industrie 4.0 eines der nicht allzu zahlreichen österreichischen Unternehmen, die international voll mit dabei sind. Aber Industrie 4.0 ist nur ein kleiner Bestandteil der digitalen Transformation. Insgesamt hat Österreich den Start in das neue Zeitalter bereits verschlafen - wie fast alle europäischen Länder. Nur Großbritannien kann mit USamerikanischen Entwicklungen ansatzweise mithalten, und in Skandinavien rüstet man jetzt mit Vehemenz nach. Deutschland hingegen, sonst in Sachen wirtschaftliche Entwicklung immer ein Vorzeigeland, hechelt ebenso hinterher wie Österreich. Insgesamt ist digitale Transformation eine amerikanische Erfolgsstory, bei der die ganze Welt mit Erstaunen zusieht, statt mitzuziehen. Die Asiaten haben das erkannt und holen ganz gut auf. Die Europäer hingegen sind immer noch eher paralysiert.
Dabei hätten in Österreich viele Unternehmen gar nicht so schlechte Karten, weil sie dank der kleinteiligen Struktur unserer Wirtschaft -viele Klein-und hauptsächlich Mittelstandunternehmen -über das verfügen, was zählt: Flexibilität.
Nur die Briten -und mit Einschränkungen auch die Skandinavier -haben den Anschluss nicht ganz verloren. Österreicher und Deutsche hinken nach.
Großkonzerne tun sich mit der neuen Welt, die auf sie zurollt, schwer -weil sie Tanker sind, die ihren Kurs nur langsam ändern können. Sie behelfen sich meist mit der Akquisition kleiner Start-ups, die dieses Defizit wettmachen. Kleine Firmen, die schnell umdenken können und auch bereit sind, Risiko zu nehmen, haben Vorteile. Wer sich in kurzen Zeiträumen völlig neue Businesspläne verpassen und zum Beispiel von der Scheinwerfer-auf die Sensorproduktion umstellen kann, wird Erfolg haben. Nur sind mittlerweile -weil man den Start eben verpasst hat -Sprinterqualitäten gefragt.
So bleiben, wie es war, wird jedenfalls nichts, in keiner Branche. Alle werden in der digitalen Transformation kleine oder große Überlebenskämpfe kämpfen müssen. Kurzfristig scheint es derzeit nur eine einzige Branche zu geben, die vom Trend erheblich profitiert - die Unternehmensberater. Aber auch nur jene, die sich rasch anpassen und ihr Know-how um die neue Wachstumsdisziplin Disruptive Consulting erweitern.
Die Trends der digitalen Strategien
- DISRUPTIVE RESHAPING. Bei der digitalen Transformation sollte breit nachgedacht werden, ob Geschäftsmodelle Bestand haben
- KEINE TABUS. Wer Bereiche von diesen Überlegungen ausklammern will, hat schon verloren. Alles wird sich ändern.
- NETZWERK. Wenn Internet der Dinge, Industrie 4.0 und auch Service verschmelzen, wird sich der gesamte Dienstleistungssektor mit all seinen Branchen revolutionieren.
- AI. Artificial Intelligence macht Riesenschritte - und wird die Digitalisierung nochmals und erneut auf völlig neue Beine stellen. Lernende Maschinen, die selbst denken, wird es bald geben.
- KONTROLLE. Noch Zukunftsmusik, doch infolge der Digitalisierung werden schon in wenigen Jahren Maschinen Maschinen kontrollieren - und danach bald auch Menschen.