Krisenbewältigung: Achtung vor Haftungsfallen

Stefan Weileder und Alexander Isola, Partner und Rechtsanwälte bei Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH, mahnen Unternehmen angesichts von Haftungsfallen bei der Inanspruchnahme von Corona-Krisenbewältigungsinstrumenten zur Vorsicht.

Thema: Corona: Recht im Ausnahmezustand
Krisenbewältigung: Achtung vor Haftungsfallen

Die Corona-Krise ist allgegenwärtig. Ihre Aus- und Nachwirkungen auf die Wirtschaft sind aber noch nicht einmal ansatzweise absehbar. Um eine Corona-bedingte Insolvenzwelle abzuwenden, haben die Bundesregierung und der österreichische Gesetzgeber bereits umfassende Maßnahmen beschlossen. Neben der Einrichtung finanzieller Hilfspakete reicht das Spektrum der Krisenbewältigungsinstrumente unter anderem von der Corona-Kurzarbeit, über die Möglichkeit zur Stundung von Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen, bis hin zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung bzw der Verlängerung der Insolvenzantragfrist auf maximal 120 Tage.

Die beschlossenen Maßnahmen sind angesichts des aktuellen Ausnahmezustandes zweifellos zu begrüßen und im Grunde auch geeignet, zahlreiche Unternehmen solvent durch die Corona-Krise zu tragen. Tatsächlich ist die Zahl der Insolvenzeröffnungen seit Mitte März auch drastisch zurückgegangen. Bei einer Vielzahl von Unternehmen werden aber auch die gut gemeinten Krisenbewältigungsmaßnahmen (letztlich) nicht ausreichen um eine Insolvenz abzuwenden. Gerade insoweit gilt es, drohende Haftungsrisken im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Corona-Krisenbewältigungsinstrumenten zu beachten.

Verlängerung der Insolvenzantragsfrist

Tritt bei einer Kapitalgesellschaft Zahlungsunfähigkeit oder eine Überschuldung ein, so sind die Geschäftsführer bzw Vorstände bei sonstiger persönlicher Haftung grundsätzlich verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber binnen 60 Tage ein Insolvenzverfahren zu beantragen. Im Falle einer durch eine Naturkatastrophe eingetretenen Insolvenz war schon bisher vorgesehen, dass sich die 60-Tages-Frist auf 120 Tage verdoppelt. Die Ausnahmeregelung wurde aus Anlass der Hochwasserkatastrophe 2002 in die Konkursordnung (Vorgänger der heute geltenden Insolvenzordnung) aufgenommen, da bei einer Naturkatastrophe meist nicht sofort klar ist, inwieweit bzw bis wann der Schuldner von der öffentlichen Hand, von Versicherungsunternehmen oder von anderen Stellen Entschädigungsleistungen erhält, die die Solvenz wiederherstellen können.

Durch die Verdoppelung der Insolvenzantragsfrist sollte also nicht nur der Handlungsspielraum für von einer Naturkatastrophe betroffene Unternehmen, sondern faktisch gerade auch der (zeitliche) Spielraum für Versicherer und die öffentliche Hand zur Leistung von Entschädigungszahlungen erweitert werden.

In der Praxis bestanden schon bisher kaum Zweifel, dass die nunmehrige COVID-19-Pandemie als Naturkatastrophe zu qualifizieren ist und sich bei einer dadurch bewirkten Insolvenz daher auch die Insolvenzantragspflicht auf 120 Tage verlängert. Der Gesetzgeber hat dies durch das 2. COVID-19-Gesetz nun auch ausdrücklich klargestellt und Epidemien sowie Pandemien explizit als Beispiele für eine Naturkatastrophe und damit die Verlängerung der Insolvenzantragspflicht auf 120 Tage genannt.

Überschuldet: Fortbestehensprognose, auf welcher Basis?

Die Corona-Krise führt bei vielen Unternehmen zu einer strukturellen Bestandsgefährdung, was zumindest bei Kapitalgesellschaften für sich gesehen Anlass für eine Überschuldungsprüfung gibt. Durch die 120-Tages-Frist ist der zeitliche Spielraum für Geschäftsführer und Vorstände zwar größer, tatsächlich ist aber nicht nur die Frage der Rechtzeitigkeit der Insolvenzantragstellung haftungskritisch, sondern auch die Pflichtenlage während des Fristenlaufs. Die Insolvenzantragspflicht ist nämlich ein Schutzgesetz zugunsten der Gläubiger. Im Grunde gilt also, dass sich die Vermögenslage innerhalb der 60- bzw 120-Tages-Frist nicht (weiter) verschlechtern darf. Das Unternehmen soll (kann) am Leben gehalten werden und trotzdem dürfen keine Gläubiger zu Schaden kommen.

Die Fristverlängerung für den Insolvenzantrag hilft Geschäftsführern und Vorständen daher nur bedingt. Sie sind weiterhin zur Prüfung verpflichtet, ob bereits Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt, um die Unternehmensführung allenfalls so umzustellen, dass ein Gläubigerschaden vermieden wird. Dabei stellt sich die Prüfung und Überwachung der Zahlungsfähigkeit noch verhältnismäßig einfach dar, zumal zumindest gut geführte Unternehmen längst über eine auf die Corona-Krise abstellende kurz- und mittelfristige Liquiditätsplanung verfügen sollten. Ungleich problematischer ist die Überschuldungsprüfung: Niemand kann abschätzen, wie die Welt „nach CORONA“ sein wird.


Geschäftsführer und Vorstände, aber auch Sanierungsberater, standen vor vielen schier unlösbaren Fragen.

Da sich eine Fortbestehensprognose zur Überwindung einer Überschuldung oder Bestandsgefährdung aber nicht nur auf eine kurzfristige Liquiditätsprognose („Primärprognose“) reduzieren darf, sondern auch glaubhaft dargelegt werden muss, dass in der weiteren Zukunft der Turnaround bzw die Zahlungs- und Lebensfähigkeit des Unternehmens aufrecht erhalten werden kann („Sekundärprognose“), standen Geschäftsführer und Vorstände, aber auch Sanierungsberater, vor vielen schier unlösbaren Fragen: Wie wirkt sich die Krise auf die Bewertung des Vermögens aus? Greifen, und allenfalls bis wann, die Regierungsmaßnahmen im eigenen Unternehmen und auch bei den kritischen Kunden und Lieferanten? Inwieweit dürfen die weder dem Grunde, noch der Höhe nach aktuell feststehenden künftigen Entschädigungszahlungen aus den Corona-Hilfspaketen bei der Fortbestehensprognose berücksichtigt werden? etc., etc.

Auch der Gesetzgeber hat nun erkannt, dass wegen der unsicheren Marktsituation eine valide (überwiegend wahrscheinlich positive) Fortbestehensprognose in vielen Fällen nicht aufgestellt werden kann. Daher wurde mit dem gerade beschlossenen 4. COVID-19-Gesetz die Verpflichtung zur Insolvenzantragstellung wegen des Eintritts einer Überschuldung vorübergehend ausgesetzt. Die Ausnahme ist zu begrüßen. Zweck der Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung ist nämlich, nicht lebensfähige, auf eine Zahlungsunfähigkeit zusteuernde Unternehmen zum Schutz ihrer Gläubiger dazu zu bringen, frühzeitig ein Insolvenzverfahren einzuleiten. Die außerhalb der Corona-Krise herangezogenen Kriterien zur Identifikation nicht lebensfähiger Unternehmen sind nach den Gesetzesmaterialien in der aktuellen Situation aber schlicht nicht mehr aussagekräftig. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.

Zu beachten ist, dass sich an Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit auch durch das 4. COVID-19-Gesetz nichts geändert hat. Insoweit können sich die Geschäftsführer und Vorstände also nur mit der Verlängerung der Antragsfrist auf 120 Tage behelfen. Liquiditätshilfe verschafft jedenfalls die durch das 4.COVID-19-Gesetz intendierte „Anfechtungs-Immunisierung“ von Überbrückungskrediten der Banken bis zur Auszahlung der Kurzarbeitsbeihilfen durch das AMS.

Die Tücken liegen im Detail

Zu beachten ist, dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung bedingt, dass die Überschuldung im Zeitraum 1. März bis 30. Juni 2020 eingetreten ist bzw eintritt. Darüber hinaus ist der Aussetzungszeitraum mit 30. Juni 2020 befristet, so dass dann (noch) überschuldete Unternehmen wiederum ohne unnötiges Zögern, spätestens aber 60 Tage nach Ablauf des 30. Juni 2020 oder, je nachdem welcher Zeitraum später endet, 120 Tage nach tatsächlichem Eintritt der Überschuldung, zur Insolvenzantragsstellung verpflichtet sind. Die Zeit bis zum 30. Juni sollte daher tunlichst dazu genutzt werden, eine Fortbestehensprognose zumindest vorzubereiten. Dabei sollten die Geschäftsführer bzw Vorstände einer Kapitalgesellschaft bestimmte, jeweils nach dem Stand der Erkenntnisse aktualisierte, Annahmen über die Dauer und Auswirkungen des „Lock down“ und die branchenspezifischen Modalitäten des zu erwartenden konkreten „Wieder-Hochfahrens“ treffen, dies alles sorgfältig dokumentieren, und darauf ihre Planungen gründen. Als Hilfestellung bei den Planungsprämissen könnte beispielsweise die Entwicklung in jenen Ländern herangezogen werden, in denen die Wirtschaft gerade wieder hochgefahren wird (zB China).

Aber auch beim Thema Zahlungsunfähigkeit gilt es, genau hinzusehen: Das Recht, die auf 120 Tage verlängerte Insolvenzantragsfrist bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit tatsächlich ausnutzen zu dürfen, setzt nicht nur das Vorliegen einer Naturkatastrophe voraus, sondern auch, dass die Zahlungsunfähigkeit durch diese Naturkatastrophe (hier: COVID-19) verursacht wurde. War ein Unternehmen daher schon vor der Corona-Krise überschuldet oder zahlungsunfähig, so können sich die Geschäftsführer und Vorstände weder auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung noch auf die Verlängerung der Insolvenzantragspflicht auf 120 Tage berufen.

Zu beachten ist ferner, dass die 120-Tages-Frist (wie auch die 60-Tages-Frist außerhalb von Naturkatastrophen) als absolute Höchstfrist zu verstehen ist und nur dann bzw solange ausgenutzt werden darf, als Sanierungsversuche noch aussichtsreich und realisierbar sind. Als aussichtsreich und realisierbar gelten Sanierungsversuche aber nur dann, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung innerhalb gesetzlichen Höchstfrist auch behoben werden kann. Erweist sich der Sanierungsversuch innerhalb der Höchstfrist als nicht mehr umsetzbar, besteht wie bisher die Verpflichtung zur unverzüglichen Insolvenzantragstellung. Dann darf also trotz noch laufender 60- bzw 120-Tages-Frist nicht mehr mit der Insolvenzantragstellung zugewartet werden. Mit Ablauf der Höchstfrist sind die Geschäftsführer bzw Vorstände dann jedenfalls dazu verpflichtet, den (noch nicht erfolgreichen) außergerichtlichen Sanierungsversuch abzubrechen und einen Insolvenzantrag zu stellen.

Stundung von Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen

Infolge der Corona-Krise besteht nun auch die Möglichkeit der verzugszinsenfreien Stundung von Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen. Während es bei Abgaben schon bisher die Möglichkeit zur Stundung gab, wenn die Entrichtung der Abgaben mit erheblichen Härten verbunden wäre, wurde im Bereich der Sozialversicherungsbeiträge nunmehr eine eigene Stundungsbestimmung zur Erleichterung für Dienstgeber auf Grund der Coronavirus-Pandemie in das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz eingeführt. Nach dieser Bestimmung sind die Beiträge für die Monate Februar, März und April 2020 für alle von einem Betretungsverbot bzw Betriebsschließungen betroffenen Unternehmungen verzugszinsenfrei zu stunden. Insoweit besteht für die Österreichische Gesundheitskasse folglich auch kein Ermessensspielraum. Die Stundung erfolgt vielmehr automatisch. Für alle nicht von einem Betretungsverbot bzw Betriebsschließungen erfassten Unternehmungen können die Beiträge auf Antrag gestundet werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass ihre Liquidität durch die Coronavirus-Pandemie gefährdet ist.

Darüber hinaus sieht die gesetzliche Neureglung im Sozialversicherungsrecht auch vor, dass in den Kalendermonaten März bis Mai 2020 fällige Beiträge nicht eingetrieben und deswegen auch keine Insolvenzanträge gestellt werden. Diese temporäre Ausnahmeregelung darf aber nicht falsch ver-standen werden, sie ändert natürlich nichts an der allfälligen Insolvenzantragspflicht für die Ge-schäftsführer und Vorstände.

Der Liquiditätsaspekt in Verbindung mit der Zinsfreiheit macht die nunmehrigen Stundungsmöglich-keiten bei Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen de facto für alle Unternehmen äußerst attraktiv. Nach Regierungsangaben langten alleine bei den Finanzämtern mehr als 60.000 Stundungsgesuche mit einem Volumen mehr als EUR 2,5 Mrd. ein. Tatsächlich wird ein wesentlicher Teil der von der Corona-Krise unmittelbar und mittelbar betroffenen Unternehmen von den Stundungsmöglichkeiten im Unternehmensinteresse sogar Gebrauch machen (müssen), zumal die Dauer der Regierungsmaßnahmen noch nicht absehbar ist und sorgfältig handelnde Unternehmer daher auch eher konservative Liquiditätspläne erstellen werden („cash is king“).


Auch bei den Stundungen steckt der Teufel aber im Detail.

Auch bei den Stundungen steckt der Teufel aber im Detail. Die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften haften gegenüber der öffentlichen Hand bzw gegenüber den Sozialversicherungsträgern nämlich nach eigenen haftungsrechtlichen Bestimmungen. Jedenfalls außerhalb von Krisenzeiten besteht für die gesetzlichen Vertreter die Pflicht, die Finanz bzw die Sozialversicherungsträger gegenüber anderen Gläubigern nicht schlechter zu behandeln (Gleichbehandlungsgrundsatz, Benachteiligungsverbot). Bei Abgaben ist die Stundung zudem nur dann zulässig, wenn die Einbringlichkeit der Abgaben durch den Aufschub nicht gefährdet ist.

In Anbetracht der Erklärungen der Regierung, alles zu unternehmen um die Arbeitsplätze und Unternehmen zu schützen („what ever it takes“), ist zwar davon auszugehen, dass die Verwaltungspraxis im Bereich des Gleichbehandlungsgebotes bzw der Stundungsvoraussetzungen eher zurückhaltend mit Haftungsbescheiden gegen gesetzliche Vertreter vorgehen wird. Dennoch wäre eine von der Haftung freistellende Klarstellung durch den Gesetzgeber wünschenswert, schon alleine um den Hemmschuh des Haftungsrisikos für die Inanspruchnahme der Unterstützungsmaßnahmen zu beseitigen.

Besondere Vorsicht ist jedenfalls bei der Stundung von Lohnsteuern und Dienstnehmeranteilen zur Sozialversicherung geboten. Insoweit handelt es sich faktisch nämlich um Lohnbestandteile. Zahlt der Dienstgeber zwar die Löhne und Gehälter netto an die Dienstnehmer (vor-)aus, führt er aber die Lohnsteuern und Dienstnehmeranteile (sei es auch nach erfolgter Stundung) nicht ab, könnte er sich nicht nur persönlich haftbar, sondern nach § 153c StGB auch gerichtlich strafbar machen. Insoweit ist eine Klarstellung durch den Gesetzgeber nicht nur wünschenswert, sondern geradezu geboten. Andernfalls käme es nur zu einer unbilligen Risikoverlagerung hin zu den Geschäftsführern und Vorständen.

Die gut gemeinten Regierungsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise sind jedenfalls attraktiv. Welche Maßnahmen schlussendlich in welchem Ausmaß konkret ausgenutzt werden, sollte aber gut überlegt sein.


Die Autoren

RA Mag. Stefan Weileder, LL.M. und RA Dr. Alexander Isola M.C.J. sind Partner und Rechtsanwälte bei Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH; www.gpp.at

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