Das Jahrhundert des Drachen, Teil 4: Wer wird am schnellsten reich?

Chinas Champions und welche gravierenden Probleme Staatschef Xi Jinping nun lösen muss.

Thema: China: Das Jahrhundert des Drachen
Luxusboom: Chinesen sind inzwischen die größte Käufergruppe von Schmuck & Co weltweit, und bald wohl auch von Luxusautos.

Luxusboom: Chinesen sind inzwischen die größte Käufergruppe von Schmuck & Co weltweit, und bald wohl auch von Luxusautos.

Die in der Serie bereits beschriebenen Delegationsreisen in den Westen ab 1978 knüpften in gewissem Sinn an die friedlichen Expeditionen des berühmtem Admirals Zheng He im 15. Jahrhundert an. Doch von einem "Reich der Mitte", das in sich ruht und allenfalls zu Erkundungszwecken die Welt bereist, kann längst nicht mehr die Rede sein. Vier Jahrzehnte, nachdem die Türen aufgestoßen wurden, hat China kraft seiner wirtschaftlichen Macht die Fühler in praktisch alle Regionen der Welt ausgestreckt.

Ab der Jahrtausendwende ging es darum, sich dem internationalen Wettbewerb zu stellen, Rohstoffe zu sichern, Know-how zu erwerben und eigene, global agierende Konzerne zu formen. 2000 betrugen die Investments Chinas in der Welt rund eine Milliarde, zehn Jahre später bereits fast 70 Milliarden Dollar. Besondere internationale Aufmerksamkeit fand das chinesische Engagement in afrikanischen Staaten, wo großvolumig in Grund und Boden sowie in Rohstoffe investiert wurde.

Zwischen 2010 und 2015 hat sich die Summe chinesischer Direktinvestitionen außerhalb der eigenen Grenzen noch einmal verdreifacht. 2016 wurde das Land zum weltweit größten Investor, mit einer Reihe spektakulärer Übernahmen: Die staatliche ChemChina kaufte den Schweizer Chemieriesen Syngenta, der Konsumgüterriese Haier den Haushaltsgerätezweig des US-Konkurrenten General Electric. Hotelkonzerne, Kinoketten, Versicherungen - längst geht es nicht mehr nur um industrielle Expertise, sondern auch um Dienstleistungen.

Um eigene Champions zu formen, wurde in der digitalen Wirtschaft Facebook, Uber &Co. der Zutritt zum chinesischen Markt lange Zeit verwehrt. Heute ist der Online-Handelskonzern Alibaba, seit 2014 auch an der New Yorker Börse notiert, ein ernsthafter Herausforderer von Pionieren wie dem US-Riesen Amazon. Doch das Go West Chinas stößt mehr und mehr auf Widerstand der westlichen Nationen. Nach der Übernahme des deutschen Roboterbauers Kuka durch den chinesischen Midea-Konzern verhinderte die deutsche Bundesregierung Ende 2016 den Einstieg einer chinesischen Investorengruppe beim Spezialmaschinenbauer Aixtron. Das korrespondiert mit Bestrebungen Chinas, mit sogenannten Negativlisten ausländische Investitionen im Land zu erschweren, etwa im Automobil-, Luftfahrt-und Telekommunikationssektor. 2017 gingen die Investitionen im Ausland deutlich zurück (siehe Grafik).

Chinesische Auslandsinvestitionen: Nach dem Rekord 2016 werden chinesische Firmenkäufe kritischer gesehen.

Chinesische Auslandsinvestitionen: Nach dem Rekord 2016 werden chinesische Firmenkäufe kritischer gesehen.

Xis bemerkenswerte Rede beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2017 wurde, kurz nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA, zwar als Indiz dafür gewertet, dass China künftig sogar die wichtigste Stimme für Freihandel und gegen Protektionismus werden könnte - letzteren verglich Xi mit einem dunklen Raum, in dem man "geschützt vor Wind und Regen, aber eben auch isoliert von Luft und Licht" sei. Doch ein berechenbares Verhältnis zu den USA bleibt für Peking unabdingbar, um die sich nach den Boomjahrzehnten abzeichnenden Probleme zu lösen.

Der spektakuläre Aufbruch in den Westen wäre ohne die politische Annäherung zwischen den USA und dem kommunistischen Regime ab Anfang der 70er-Jahre nicht möglich gewesen. Nach Nixons Besuch bei Mao war es vor allem Deng selbst, der im Januar 1979 mit seiner aufsehenerregenden Reise in die USA die Normalisierung der Beziehungen offiziell machte: Er traf sich sowohl mit Nixons Nachfolger Jimmy Carter als auch mit Vertretern des Big Business in Houston, Atlanta und Seattle. Und es war George Bush senior, der als US-Präsident nach dem brutalen Vorgehen des chinesischen Regimes auf dem Tian'anmen-Platz trotz wütender Proteste in der amerikanischen Öffentlichkeit alles dafür tat, den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Bush war 1974 und 1975 Leiter des US-Verbindungsbüros in der chinesischen Hauptstadt gewesen und hatte Deng mehrfach getroffen.

Eine wesentliche Basis für den funktionierenden politischen Dialog war die "Ein-China-Politik": Die Anerkennung von Pekings Standpunkt, dass Taiwan ein integraler Bestandteil der Volksrepublik China sei, wurde ein fundamentaler Glaubenssatz der US-Außenpolitik. Dass Trump nur wenige Tage nach seiner Wahl telefonisch mit der Präsidentin Taiwans Kontakt aufnahm - was seit 1979 kein US-Präsident mehr getan hatte -, war ein starkes Signal, dass die Rollen auf der Weltbühne nun neu verhandelt werden. Der Ausstieg aus dem bereits fertig verhandelten Transpazifik-Abkommen TPP, der die USA und zwölf Pazifik-Anrainerstaaten stärker verbunden hätte, eröffnet China etwa die Möglichkeit, seinerseits Abkommen mit den asiatischen Ländern zu schließen.

Die Anti-China-Töne der Trump-Administration sind im Lauf des Jahrs 2017 leiser geworden. Die USA haben erkannt, dass eine Lösung des Nordkorea-Problems ohne China nicht möglich ist. Nach dem ersten Treffen mit Xi schwärmte Trump sogar von der "großartigen Chemie" zwischen den beiden Staatsführern, bei seinem Gegenbesuch am 8. November wurden Wirtschaftsabkommen in Höhe von insgesamt 250 Milliarden Dollar abgeschlossen.

Urbanisierung: Binnen zehn Jahren ist der Anteil der Chinesen, die in Städten wohnen, von 44 auf 58 Prozent gestiegen.

Urbanisierung: Binnen zehn Jahren ist der Anteil der Chinesen, die in Städten wohnen, von 44 auf 58 Prozent gestiegen.

Nach den Turbowachstumsjahren ist die Gesellschaft mehr und mehr für mögliche Folgeschäden sensibilisiert. Mittlerweile leben 58 Prozent der Chinesen in Städten (siehe Grafik). Dauersmog in den Megacities, verseuchte Flüsse und kontaminierte Böden setzen das Regime unter Zugzwang. Noch sind die Proteste lediglich lokal und vereinzelt; weil sie aber die Autorität der Machthaber untergraben können, hat die Regierung in den letzten Jahren strengere Umweltgesetze erlassen. Mit dem Beitritt zum Pariser Klimaschutzabkommen hat sich China, weltweit größter Verursacher von Treibhausgasemissionen, auch international gebunden.

Politischen Sprengstoff birgt zudem die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Deng hatte diese Entwicklung ja als Begleiterscheinung seines Kurses in Kauf genommen; berühmt ist seine Aussage am Beginn des Reformprozesses, dass "einige Leute früher reich werden würden". Heute gibt es in keinem Land der Welt so viele Dollarmilliardäre wie in China, 2015 waren es bereits fast 600. Der Gini-Index, der bekannteste Maßstab zur Darstellung der Einkommensverteilung, liegt bei 49 - die Weltbank erachtet Werte über 40 als gravierend problematisch. Der Kampf gegen ein weiteres Auseinanderdriften des reichsten Prozents der Bevölkerung, das rund ein Drittel des Vermögens besitzt, und der Ärmsten gehört jedoch nach wie vor nicht zum offiziellen Programm. Immer mehr Beobachter erwarten, dass der seit der Öffnung unausgesprochen geltende Tauschhandel zwischen Regierung und Bevölkerung - das Vorantreiben des materiellen Wachstums gegen Abstinenz von der Politik - von den selbstbewussten Schichten in den großen Städten zusehends in Frage gestellt werden wird.

Die Staatsführung unter Xi und Premierminister Li Keqiang hat aber auch strukturelle Probleme zu lösen, die in der Bevölkerungsentwicklung gründen. Die Jahrzehnte, in denen es verhältnismäßig einfach war, schnelles Wachstum zu erzielen, neigen sich dem Ende zu. Der demografische Bonus - das Zeitfenster, in dem die erwerbsfähige Bevölkerung zunimmt und zugleich die Zahl derer, die versorgt wird, vergleichsweise niedrig ist - wurde bereits aufgebraucht. Auch die Zeit massiver Investitionen in die lange vernachlässigte Infrastruktur ist vorbei. Den Weg, das Wirtschaftsmodell von einem durch Exporte getriebenen auf ein vom Binnenkonsum getragenes umzustellen, hat China jedoch erst zur Hälfte bewältigt.

Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass das Vertrauen in die Kräfte des Marktes geschwunden ist; der Finanzsektor wird weiter liberalisiert. Xi kämpft dafür, Schanghai bis 2020 zu einem globalen Finanzzentrum auszubauen und damit zu einem direkten Wettbewerber von Hongkong, Singapur, aber auch New York zu machen -es wäre exakt das Ziel erreicht, das Deng einst auf seiner "Reise in den Süden" gesetzt hatte.

Und noch scheinen die Chinesen ihrer Staatsführung mehrheitlich aus einem simplen Grund zu folgen, den Cheng Dong im Roman "The Golden Road" schon in seinem auf 1981 datierten fiktiven Gespräch mit seinen Kameraden im Lokal "Zhang & Wang" anführt. Als diese an der Sinnhaftigkeit einer Öffnung gegenüber dem Westen und den Marktkräften zweifeln, hält er ihnen mit Verve entgegen: "Vergleicht doch einmal die heutige Situation mit den alten Zeiten, als der Staat alles plante und alle arm waren! Was war daran so gut?"


Der Essay ist in voller Länge im von Hannes Androsch, Heinz Fischer und Bernhard Ecker herausgegebenen Band "1848 -1918 -1848. 8 Wendepunkte der Weltgeschichte" (Brandstätter-Verlag) erschienen.

Eine Wirtschaftsmacht ist China längst, als Supermacht könnte es die USA bald ablösen. In der fünfteiligen Serie "Das Jahrhundert des Drachen" geht trend-Autor Bernhard Ecker dem spektakulären Aufstieg des Reichs der Mitte auf den Grund.

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