Um jeden Cent: Billig kaufen ist die Devise der Stunde - auch für Besserverdiener

Der Preiskampf unter Österreichs Handelsunternehmen ist in Zeiten wie diesen härter als je zuvor. Experten warnen schon vor den Folgen. Die leidgeprüften Konsumenten freuen sich über günstige Angebote.

Michael Berger ist zufrieden mit seiner Frisur. Früher, als der Wiener als Manager einer Immobilienfirma gutes Geld verdiente, wäre er niemals zum Billig-Coiffeur gegangen. Heute ist das anders. 22,90 Euro lässt Berger alle zwei Monate in einem der günstigen Friseurläden der Klipp-Kette liegen, für einen Haarschnitt mit Komplett-Service. Waschen, Schneiden, Föhnen, Kopfmassage, Styling. Bei einem Nobelfriseur in der Wiener City, wo Berger noch bis vor kurzem Stammgast war, kostet dasselbe Programm ungefähr das Doppelte. „Natürlich ist das Service dort besser, auch die Qualität der Haarschnitte, sonst würden ja nicht Promis hingehen. Aber ich muss jetzt leider mehr aufs Geld schauen“, sagt Berger offen.

Wenig Konzerte, kein Schmuck
Mit dieser Haltung steht er nicht alleine da. Sparen ist in Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrise beim Großteil der Bürger angesagt: Konzert- oder Restaurantbesuche werden reduziert. Teure Investitionen, von Renovierungsarbeiten bis zur Autoanschaffung (siehe auch Artikel ), werden auf die lange Bank geschoben, und Schmuck wird oft überhaupt nicht mehr gekauft; nur günstige Haushaltsprodukte und Essen finden mehr Absatz, heißt es in einer aktuellen Umfrage der Institute meinungsraum.at und OMD. Das Beispiel Billa zeigt, wie der Handel reagiert: Die Kette setzte in den letzten Jahren bewusst auf etwas weniger preisaggressive Werbung. Jetzt ist Billa wieder voll in die Rabattschlacht eingestiegen.

Sparen an der Tagesordnung
In den Haushalten sind akribische Preisvergleiche angesagt. Laut Beratungsunternehmen Regioplan stiegen die Ausgaben der Österreicher über einige Jahre deutlich, zuletzt um drei Prozent auf durchschnittlich 33.591 Euro pro Haushalt. Heuer soll es keine Zuwächse mehr geben – auch ein Rückgang ist nicht unrealistisch. Im Rennen um die Gunst der Kunden beginnen die Handelsunternehmen daher, sich noch härtere Preisschlachten zu liefern. Für viele von der Rezession betroffene Konsumenten ist das der einzige Lichtblick. Dennoch warnen Experten vor den damit einhergehenden – zerstörerischen – Kräften. „Der Markt wird völlig ruiniert“, sagt Fritz Aichinger, Handelsobmann der Wirtschaftskammer Wien. „Die Lage für den Handel war schon früher schwer, nun wird alles schlimmer.“ Wer preislich in die Knie gezwungen werde, müsse den Kostendruck auf die Industrie abwälzen. In dieselbe Kerbe schlägt auch Peter Voithofer (KMU Forschung Austria): „Die Zeche müssen letztlich alle bezahlen.“

Gutverdiener in Solidarhaftung
Gehör findet ihr Appell aber wenig: Gekauft wird jetzt vor allem billig. „Die Verunsicherung am Markt färbt auf die Menschen ab. Sie werden vorsichtiger und überlegen länger, ehe sie kaufen – egal, ob sie nun mehr oder weniger Geld haben“, erklärt Voithofer. Ein weiterer Grund liegt laut Regioplan-Manager Michael Oberweger an einer Art Solidarhaftung: „In wirtschaftlich trüben Zeiten kommt es nicht gut an, im großen Stil Geld auszugeben. Einige haben sogar ein schlechtes Gewissen, derzeit so richtig auf Shopping-Tour zu gehen.“
Billiganbieter freut das, gleich ob sie nun Bekleidung, Möbel, Elektrogeräte, Lebensmittel oder Reisen verhökern. Der Siegeszug der Diskonter scheint unaufhaltsam. Im Lebensmittelbereich kommen sie in Österreich schon auf 27 Prozent Marktanteil, Oberweger sieht den Plafond bei 30 Prozent. Auf dem Vormarsch sind aber auch die günstigen Eigenmarken der klassischen Supermarktketten wie „S-Budget“ (Spar) und „clever“ (Billa, Merkur). „Die Unternehmen haben erkannt, dass Qualität und Bioprodukte nicht ausreichen“, sagt Oberweger.

Billigmode auf dem Vormarsch
Einen ordentlichen Hype erlebt auch preiswerte Mode (siehe Artikel ). Handelsketten wie Vögele, Peek & Cloppenburg, aber auch Zara und Mango haben Rückenwind. Kräftig zulegen konnte zuletzt vor allem die Tochter der schwedischen Textilhandelskette H&M, in Österreich Branchenprimus vor C&A. Im abgelaufenen Geschäftsjahr wurden 252 Millionen Euro umgesetzt, für heuer rechnet das Unternehmen mit einem Plus von mindestens sechs Prozent. Auch die in der Vergangenheit wegen Streitigkeiten rund um die Ernennung eines Betriebsrats in Verruf geratene Textilhandelskette KiK ist auf der Überholspur. Der zur deutschen Tengelmann-Gruppe zählende Diskonter betreibt in Österreich 245 Standorte, weitere 35 sind mittelfristig geplant. Der Umsatz dürfte per Ende April (schiefes Geschäftsjahr) erstmals die 200-Millionen-Euro-Marke knacken.

Möbelhandel lockt mit Schnäppchen
Zufrieden ist Paul Koch, Chef der Möbelkette Kika/Leiner. Große, lange geplante Anschaffungen wie Küchen werden zwar verschoben, dafür erfreut sich Preiswertes, etwa Wohnaccessoires oder Gartenmöbel, steigender Beliebtheit. Koch hat die Änderungen im Kaufverhalten vorhergesehen und schon vor eineinhalb Jahren bei Kika den Bereich „Cash & Carry“ besonders preisgünstig positioniert. Die Steigerungen in dem Bereich liegen je nach Produkt bei 60 Prozent und mehr. Die niederösterreichische XXXLutz-Gruppe lockt ebenfalls mit Schnäppchen. Sprecher Thomas Saliger verrät zwar keine genauen Zahlen, doch sollen sich die Umsätze der Diskontmarke Möbelix zweistellig entwickeln. „In Österreich planen wir bereits die Vergrößerung unserer Outlets.“

Gekocht wird zuhause
Trotz oder gerade wegen der Flaute sind im Moment Sportartikel, IT-Zubehör oder Spielwaren gefragt. Der Grund: Bewegung ist billiger als Ausgehen, zudem kümmert man sich wieder um das eigene Heim und macht es sich dort gemütlich. Auch gekocht wird mehr daheim, was vor allem Nobelwirte zu spüren bekommen (siehe Artikel ). „Wir verbuchen einen Rückgang von gut 15 Prozent“, sagt Franz Haslauer, Chef der Wiener Innenstadtlokale Novelli und Limes. Weniger Probleme mit der neuen Bescheidenheit hat McDonald’s. Die Österreich-Tochter des US-Giganten knackte letztes Jahr die 400-Millionen-Euro-Umsatz-Grenze und will so wie schon im Vorjahr 500 neue Jobs schaffen.

Daheimbleiben und Preisvergleichen
Touristiker stöhnen unter der zunehmenden Konzentration aufs traute Heim. Das Urlaubsmotto lautet kurz und nah, „aber per Auto und nicht per Flieger“, sagt Tourismusforscher Ulrich Reinhardt von der deutschen BAT Stiftung für Zukunftsfragen. Schätzungen zufolge könnte die Branche per Jahresende ein Minus von bis zu drei Prozent verbuchen. Die Urlaubsdauer liegt aktuell bei zwölf Tagen, um einen Tag weniger als im Vorjahr. Vor zehn Jahren lag die Urlaubsdauer noch bei 18 Tagen. Hoch im Kurs liegen die Ferien im eigenen Land, weil es schlicht billiger ist. Am aggressivsten kämpft die Elektrobranche: Flatscreens, Fotoapparate oder Navi-Geräte gibt es zu Spottpreisen (siehe Artikel ). „Notebooks sind so günstig wie nie zuvor“, sagt Thomas Pöcheim, Chef von Marktführer MediaMarkt/Saturn. Mit dieser Kampfansage erhöht die Handelskette freilich den Druck auf die Mitbewerber. Kleinere Anbieter formieren sich nun erfolgreich auf der Internetplattform geizhals.at , wo sie Kunden mit immer billigeren Preisen ansprechen.

Appell an die Vernunft
Handelsfunktionär Aichinger mahnt angesichts des grassierenden Dumpings zur Besonnenheit. Der Sportartikelhändler aus Wien hat 2009 zum „Jahr der Qualifikation“ ausgerufen. „Wenn die Kunden sehr gut beraten werden, geben sie auch viel lieber Geld aus“, ist Aichinger überzeugt. „Beratung und Produktqualität müssen dominieren, nur so kann der Handel dauerhauft krisenresistent sein.“ Rudolf Richter, Geschäftsführer der Wiener Ringstraßen-Galerien, teilt diese Ansicht – und bietet seinen Mitarbeitern unter dem Motto „Servus, Service“ umfassende Schulungsprogramme: „Neben Basisseminaren können Fachkurse besucht werden, wo unsere Verkäufer etwa Rhetorikunterricht bekommen. Zudem werden sie in Sachen Kundenbeziehungsmanagement trainiert.“ Der Erfolg solcher Bemühungen ist zweifelhaft. Solange Krise ist, zählt der Preis. Auch für Michael Berger, der sich seine Haare bei Klipp schneiden lässt, spielt die Service-Offensive keine große Rolle. „Bei mir ist ja nicht viel zu tun. Ich brauche keine Extra-Behandlung.“

Von Carolina Burger, Silvia Jelincic und Silke Pixner

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