Rechtsanwalt Noll: "Alle Bilder online stellen"

FORMAT: Herr Noll, wie schätzen Sie den Fall Gurlitt ein?
Alfred Noll: Drei Dinge sind zu sagen: Erstens: aus kunsthistorischer Sicht ist dieser Fund eine Sensation. Dass man am Beginn des 21. Jahrhunderts noch Schätze findet, von denen man nur in Märchen gehört hat, ist wirklich ein Wunder. Tolle Sache. Zweitens: Diese Bilder sind Eigentum des Herrn Cornelius Gurlitt. Solange wir nicht über die Provenienz jedes einzelnen Bildes Bescheid wissen, gilt die Unschuldsvermutung, also dass der Herr Cornelius Gurlitt nichts getan hat, was dazu führen könnte, dass man ihm diese Bilder wegnimmt.
Und drittens?
Noll: Um beurteilen zu können, ob Erben der früheren Eigentümer eventuell einen Rechtsanspruch gegen Gurlitt geltend machen könnten, müsste man alle Bilder online stellen. Damit international sowohl biografisch als auch wissenschaftlich deren Herkunft geprüft werden kann. Auch wenn die Bilder Eigentum des Herrn Gurlitt sind, sollten sie veröffentlicht werden. Er könnte das auch nicht verhindern, weil im Regelfall die Künstler länger als 70 Jahre tot sind und er nicht der Werknutzungsberechtigte ist. Selbst wenn er es verhindern wollte: Den Streit sollte man sich antun. No risk, no fun.
Die Staatsanwaltschaft sagt, sie veröffentliche die Bilder nicht, weil sie Eigentümerrechte nicht verletzten wolle.
Noll: Das ist Quatsch mit Soße. Es gibt keine Rechte allfälliger Eigentümer. Die Bilder gehören Gurlitt. Vielmehr sprechen die Interessen und die historische Moral dafür, die Bilder online zu stellen. Denn bei jedem Bild sind die historischen Umstände unterschiedlich und es braucht langjährige Recherchen, um Bild für Bild beurteilen zu können, ob es sich um Raubkunst handelt oder nicht. Allein die Lebenserfahrung spricht dafür, dass ein Großteil dieser Werke unter bedenklichen Umständen erworben wurde. Allein deswegen sollte man sie zur Prüfung online stellen.
Was ja durch die Kunsthistorikerin Meike Hofmann zumindest im Gange ist?
Noll: Dass das eine Person machen soll, ist absurd. Da gehört eine komplette Forschungsstelle mit mindestens zehn zwölf Leuten her. Dann dauert das auch noch Jahre, bis wenigstens ein erster Zwischenbericht da ist. Solange stehen die Bilder jedenfalls im alleinigen Eigentum des Herrn Gurlitt.
Könnte die Lüge, dass die Sammlung Gurlitt beim Brand von Dresden vernichtet worden sei, zu einer Enteignung führen?
Noll: Man darf ja lügen. Das Gegenteil steht nur in den Zehn Geboten. Man darf nur durch Lügen andere nicht schädigen. Außerdem sind die möglichen strafbaren Handlungen alle vor 1945 passiert und damit hundertprozentig verjährt. Gegen Herrn Gurlitt gibt es strafrechtlich hinsichtlich Beute- oder Raubkunst überhaupt nichts. Es bleibt maximal ein Zoll- oder Steuervergehen übrig, aber auch da gilt die Unschuldsvermutung. Wenn jeder schuldig wäre, wenn es das Finanzamt behauptet, das wäre ja noch schlimmer.
Sie glaubten also nicht, dass man eventuelle Eigentumsansprüche gegen Herrn Gurlitt leicht durchsetzen könnte?
Noll: Wenn Sie in die Triester Straße gehen und dort ein Auto kaufen, dann gehört dieses Auto Ihnen. Ganz egal, ob es gestohlen wurde, oder nicht. Das nennt man gutgläubigen Erwerb, seit fast 200 Jahren geregelt im Paragraf 367 ABGB. Dasselbe gilt auch für ein Bild. Das führt dazu, dass fast alle Privatpersonen, die heute noch Raubkunst im Schlafzimmer, am Klo oder am Dachboden hängen haben, juristisch unantastbar sind. Das wird auch für den Herrn Gurlitt gelten. Rechtlich sehe ich leider weit und breit keine Gesetzesgrundlage dazu, ihn zu zwingen, dass er diese Bilder herausgibt, auch wenn es Raubkunst ist und die Bilder damals jüdischen Mitbürgern abgepresst wurden.