Lenzing-Vorstandschef Peter Untersperger im FORMAT-Interview

Lenzing-Vorstandschef Peter Untersperger über das Rekordjahr 2010, den Mut, in der Krise zu investieren, und Chinas neuen Mittelstand als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft.

FORMAT: Herr Untersperger, Lenzing wird heuer ein Rekordergebnis erreichen. Ist das nur der Aufholeffekt nach der Krise oder echtes Wachstum?

Untersperger: Das ist absolutes Wachstum, wir liegen weit über unseren Umsätzen von Ende 2008. Gegenüber den ersten drei Quartalen 2009 haben wir heuer unseren Umsatz um rund 400 Millionen Euro steigern können. Die Krise haben wir mit einem leichten Kratzer überstanden, der Umsatz ist vergangenes Jahr um sechs Prozent zurückgegangen.

FORMAT: Das Glück des Tüchtigen oder ein gutes Krisenrezept?

Untersperger: Ich würde sagen: eine Kombination mehrerer Umstände. Unsere Prognose war, dass nach einem raschen und starken Einbruch die Nachfrage insbesondere in Asien rasch wieder anzieht. Und genau das ist eingetreten. Wir hatten keine Konjunkturkrise, sondern eine finanzmarktinduzierte Krise. Derzeit ist der Markt für unsere Fasern überverkauft – wir könnten mehr absetzen, als wir produzieren.

FORMAT: Sie haben trotz Krise weiter investiert. Ist das Ihr Erfolgsrezept?

Untersperger: Bei Rosenwind kann jeder segeln, aber im Sturm waren wir massiv gefordert. Und wir sind trotz rauer See bei unseren Investitionsentscheidungen geblieben, was absolut richtig war. Teilweise haben wir aber mit Verlusten Fasern an Spinnereien geliefert, damit diese weiterhin ihre Kunden beliefern können. Dass können sich nicht viele leisten. Das hat uns am Markt eine enorme Reputation als verlässlicher Partner gebracht, da unsere Mitbewerber das nicht durchgehalten haben.

FORMAT: Wer ist der große Treiber hinter dem Aufschwung?

Untersperger: Ganz eindeutig Asien, vor allem China. Die Textilwirtschaft wird in einem gewaltigen Ausmaß von China und seinem dynamischen Wachstum geprägt. Die Chinesen exportieren jährlich Textilien im Wert von über 100 Milliarden Dollar, das ist ein Zehntel ihrer gesamten Exporte. Auch für uns ist Asien der wichtigste Markt, wir haben ein Asien-Exposure von zirka 50 Prozent. Fünf von zehn Euro verdienen wir dort. Unsere asiatische Marktpräsenz ist damit sehr robust und wird weiter wachsen. Lenzing produziert seit einem Vierteljahrhundert in Indonesien, seit vier Jahren in Nanjing, wo wir bis Mitte 2011 die Kapazität verdoppeln werden. Das ist notwendig, weil das langfristige Baumwollangebot die Nachfrage der asiatischen Textilindustrie nicht mehr vollständig abdecken kann und unsere zellulosischen Fasern diese Lücke teilweise auffüllen.

FORMAT: Entsteht durch diesen Asien-Hype die nächste Blase?

Untersperger: Das ist kein Hype. Das ist eine strukturelle und langfristige Entwicklung. Die Kaufkraft in Ländern wie China, Indien und Indonesien steigt gewaltig. In Peking gibt es bereits 150.000 Millionäre, in Shanghai sind es 250.000 – mit stark steigender Tendenz. Allein in China gibt es mehr als 50 Millionenstädte. Das sind die kommenden Konsumenten für Viskosefasern. Vor allem entsteht dort ein breiter Mittelstand mit westlich orientierten Konsumgewohnheiten – die Asiaten wollen Qualitätsprodukte. Das kommt uns als Premium-Anbieter sehr entgegen. Und in Europa haben wir mit der Türkei ein „zweites China“ direkt vor der Haustüre. Das wird nur leider in Europa noch nicht gesehen, und schon gar nicht in Österreich. In zwanzig Jahren werden wir in Europa froh sein, wenn die Türkei überhaupt EU-Mitglied sein will. Wir sind da noch etwas zu kleinkariert.

FORMAT: Wie sieht Ihre Strategie für die nächsten Jahre aus?

Untersperger: Wir planen, in den nächsten fünf Jahren bis zu 1,5 Milliarden Euro in den Ausbau unserer Kapazitäten zu investieren. Ziel ist es, unsere Produktion von jetzt rund 700.000 Tonnen pro Jahr auf rund eine Million Tonnen zu steigern. Um gleichzeitig rohstoffseitig unabhängiger zu werden, wird die konzerneigene Zellstoffproduktion stark ausgebaut.

FORMAT: Und wo wollen Sie das alles absetzen?

Untersperger: Es gibt drei große Trends, von denen wir profitieren. Erstens das stetige Bevölkerungswachstum. Zweitens der steigende Wohlstand, vor allem in Ländern mit großer wirtschaftlicher Dynamik. Und drittens der Trend zu Produkten, die umweltfreundlich aus nachwachsenden Rohstoffen – wie bei Lenzing eben Holz – erzeugt werden. Diese Trends lösen den sogenannten „Cellulosic Gap“ aus. Darunter verstehen wir die Kluft zwischen steigender Nachfrage nach Textilfasern und dem gleichzeitig schwächer werdenden Wachstum bei Baumwolle.

Baumwolle benötigt rund dreimal so viel Land und bis zu zwanzigmal so viel Wasser, wie für die Herstellung von Viskosefasern gebraucht wird. China kürzt bereits die Flächen für den Baumwollanbau, weil mehr Land für die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln benötigt wird. Polyesterfasern wiederum basieren auf Rohöl und haben nicht die tollen Trageeigenschaften wie unsere Fasern oder wie Baumwolle. Wir glauben, dass Zellulose ein Megatrend der nächsten zwanzig Jahre sein wird.

FORMAT: Sie erweitern auch am Standort Lenzing. Wie kann man in einem Hochlohnland wie Österreich überhaupt noch Fasern produzieren?

Untersperger: Es tut mir im Herzen weh, wenn der von mir sehr geschätzte Wirtschaftsminister anlässlich einer Enquete sagt, dass Österreichs für das wirtschaftliche Überleben den Dienstleistungsbereich forcieren muss. Man sollte einen kritischen Blick in die USA oder nach England werfen: Länder, denen eine ausreichend starke industrielle Wertschöpfungsbasis fehlt oder denen diese zunehmend abhanden kommt, weil eben aufgrund schlechter werdender Rahmenbedingungen nicht mehr ausreichend investiert wird, sind besonders rezessionsanfällig.

FORMAT: Wie verändern sich denn die Rahmenbedingungen für Lenzing?

Untersperger: Aufgrund der Einführung der Wertpapier-Zugewinnsteuer mit 1. Jänner könnte die Investitionsbereitschaft einiger österreichischer Investoren in den Eigen- und Fremdkapitalmarkt zurückgehen. Das ist mehr als bedauerlich, denn gerade österreichische Unternehmen mit starkem Expansionswillen sind sehr stark von der Finanzierung über den Kapitalmarkt – z. B. über Anleihen – abhängig.

FORMAT: Wie sieht für Lenzing Ihre Prognose für 2011 aus?

Untersperger: Ich bin zuversichtlich, dass es auch 2011 gut weiterläuft. Es gibt zwar die EU-Staatsschulden-Krisen wie in Griechenland, Irland und Portugal, doch im Weltmaßstab sind das relativ kleine Verwerfungen. Entscheidend für uns ist, dass sich in Asien die Nachfrage weiterhin positiv entwickelt – und alle Anzeichen sprechen dafür. In Japan und China sparen zwar die Regierungen, die Sparquoten der privaten Haushalte sinken aber. Hier entsteht eine gewaltige Nachfrage. Davon kann auch Österreich beträchtlich profitieren. Heuer werden in China über 13 Millionen Autos verkauft, nächstes Jahr voraussichtlich 15 oder sogar 16 Millionen. Daran sieht man, welche Dynamik sich in dieser Region bereits entwickelt hat. Das Amerika der Zukunft ist Asien.

Interview: Arne Johannsen

Industrie 4.0 und das flexiblere Arbeiten: Die Vorzüge der Automatisierung kommen mit verbesserter Kommunikation zwischen Maschinen noch besser zum Einsatz.
 
Wegbereiter einer neuen Industrie

Mit dem Schlagwort Industrie 4.0 werden revolutionäre Änderungen der …

Boom oder Crash? Unternehmen brechen durch die Kämpfe in der Ukraine und im Nahen Osten Exportmärkte weg. In Österreich macht sich die Sorge vor einer neuen Krise breit.
 
Comeback der Krise?

Auffällig viele Topunternehmen schreiben Verluste, eine Besserung der …

Innovationskraft: Forschung und Entwicklung sind die Grundlage des Erfolgs der heimischen Industriebetriebe.
 
Innovation - der wichtigste Rohstoff

Im Wettkampf der Regionen muss Österreich noch stärker auf …

50 Millionen Euro Umsatz macht die von Ronnie Seunig gegründete Excalibur City pro Jahr und schafft 500 Jobs. Roger Seunig tritt in die Fußstapfen seines Vaters und setzt dessen pittoreske Visionen fort.
 
Roger Seunig - der Ritter von Kleinhaugsdorf

Roger Seunig übernimmt von seinem Vater das Billig-Paradies Excalibur …