Günter Geyer, Generaldirektor der Vienna Insurance Group im FORMAT-Interview
Günter Geyer, Generaldirektor der Vienna Insurance Group, über den steilen Weg Osteuropas aus der Krise, die Chancen der EUErweiterung und die Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes.
FORMAT: Herr Geyer, Irland, Portugal und Spanien kämpfen gegen den Staatsbankrott. Vor einem Jahr waren einige Länder Osteuropas in einer ähnlichen Situation. Sehen Sie dort jetzt noch Pleitekandidaten?
Geyer: Aktuell nicht. Natürlich gibt es ein paar Staaten, auf die noch Herausforderungen zukommen. Zum Beispiel Bulgarien. Das Land wird sich noch stärker in die Europäische Union integrieren, dort fehlt es teilweise noch an Konzepten, und die Bürokratie ist extrem kompliziert. Aber mit der Demokratie kommt auch Stabilität, und die wachsenden Wirtschaftseinrichtungen helfen beim Aufbau und fördern das Wachstum.
FORMAT: Sie haben vor zwölf Monaten gesagt, 2010 wird schwierig. Kann Osteuropa im nächsten Jahr zu seiner alten Dynamik zurückfinden?
Geyer: 2011 bleibt auf jeden Fall schwierig. Die EU rechnet für die Osteuropa- Region mit einem durchschnittlichen Wachstum von drei Prozent, wobei es sicher von Land zu Land verschiedene Geschwindigkeiten gibt.
FORMAT: Aber die Krise ist vorbei.
Geyer: Die Krise ist nirgends vorbei, da brauchen wir ja nur nach Westeuropa schauen. Allerdings waren die Auswirkungen in Osteuropa nicht so dramatisch. Die Staatsverschuldung ist gemessen am Bruttoinlandsprodukt bei weitem nicht so hoch wie in den westeuropäischen Ländern. Das ist ein entscheidender Vorteil.
FORMAT: Einige Länder haben Löhne gekürzt und Steuern angehoben, um die Sparmaßnahmen voranzubringen. Ist das der richtige Weg?
Geyer: Die Menschen in Osteuropa haben eine andere Schmerzgrenze. In Rumänien hat man etwa den Beamten 25 Prozent des Einkommens gekürzt. Das sind sehr starke Eingriffe, die bei uns überhaupt nicht möglich wären. Die Arbeitslosigkeit ist zwar generell noch immer hoch, die Wirtschaft wächst trotzdem weiter.
FORMAT: Was heißt das für den Versicherungsverkauf?
Geyer: Die VIG erwartet 2011 in diesen Ländern ein durchschnittliches Wachstum von fünf bis sechs Prozent. Das Versicherungsgeschäft per se hat in Osteuropa ja keine wirkliche Krise gehabt. Es stimmt zwar, dass etwa bei den Autopolizzen nicht mehr so viele Kaskoversicherungen verkauft wurden. Und der Autoleasingmarkt ist stark geschrumpft, weil die Banken ihre Kreditfinanzierung zurückgefahren haben. Das hat allerdings wiederum den Gebrauchtwagenhandel stark angekurbelt. Sehr schönen Zuwachs hatten wir über den Bankenvertrieb in der Lebensversicherung.
FORMAT: Wie sieht es mit den anderen Versicherungssparten aus?
Geyer: Während in Österreich das Wachstum stagniert, sehen wir in einzelnen Ländern Osteuropas bei der Kranken- und Sachversicherung einen positiven Trend. Generell sehen wir in der gesamten Region nach wie vor ein ungeheures Aufholpotenzial.
FORMAT: Können Sie das etwas spezifizieren?
Geyer: Ein Österreicher wendet im Durchschnitt pro Jahr 2.800 Dollar für Versicherungsprämien auf. In Tschechien sind es 720 Dollar, in Kroatien 400 Dollar, in Rumänien 140 Dollar und in der Ukraine gar nur 57 Dollar. Die Chancen auf ein starkes Wachstum sind allein schon durch diese Zahlen ersichtlich. Wir wollen natürlich überall vorn dabei sein.
FORMAT: Haben Sie noch weitere Expansionspläne?
Geyer: Wir planen einen Schwerpunkt in der Ukraine, die Stabilität hat sich deutlich verbessert. Wenn sich die Demokratie stabilisiert, dann würde sich dort vieles schneller entwickeln. Und wir wollen Südosteuropa forcieren. Vielleicht steigen wir in Bosnien-Herzegowina ein. Es ist zwar im Vergleich mit anderen nur ein kleines Land, aber es ist wichtig, auch dort präsent zu sein. Ein gutes Beispiel ist Albanien, das von vielen unterschätzt wird. Wir haben dort einen Marktanteil von 25 Prozent. Was mir dort unglaublich gut gefällt, ist die Handschlagqualität. Von der Größe her ist Albanien natürlich nicht so gewichtig, aber es ist groß genug, um dabei sein zu wollen.
FORMAT: Ist das wachstumsstarke Albanien schon ein geeigneter Kandidat für die EU-Erweiterung?
Geyer: Als friedensschaffendes und einigendes Projekt würde die EU da sicher etwas Gutes tun. Wirtschaftlich wird das vor 2015 kaum finanzierbar sein. Kroatien dürfte aber 2012 oder 2013 relativ fix neu als Gemeinschaftsmitglied aufgenommen werden. Ich finde auch die Annäherung Serbiens gut, die sind ganz ordentlich unterwegs. Ich glaube aber, dass es nach Kroatien eine längere Pause geben wird.
FORMAT: Beim Thema EU-Osterweiterung ist die Türkei nach wie vor ein heißes Thema. Sollte sich die EU da einen Ruck geben?
Geyer: Ich war immer für eine Annäherung und habe die Ablehnung gegenüber der Türkei nie verstanden. Da sind natürlich Ängste im Spiel. Die Türkei hat eine beeindruckende Entwicklung hingelegt. Österreichische Unternehmen sind dort schon sehr stark präsent. Von der wirtschaftlichen Seite her ist das Land ungeheuer interessant. Sachversicherungen sind dort ein Zukunftsthema. Man braucht aber gute lokale Partner, um dort Erfolg zu haben.
FORMAT: Österreich wird ab Mai 2011 den heimischen Arbeitsmarkt für die Oststaaten mit Ausnahme von Rumänien und Bulgarien öffnen. Werden viel mehr Menschen versuchen, bei uns zu arbeiten?
Geyer: Die Formalitäten fallen weg, sonst wird nicht viel anders sein. Wer soll denn da zusätzlich kommen? Saisonarbeiter werden sozusagen offizieller da sein als bisher. Im Gastgewerbe arbeiten schon jetzt viele aus dem ehemaligen Ostdeutschland. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es 2011 eine große Bewegung nach Österreich gibt.
FORMAT: Die Gehaltsunterschiede sind aber immer noch erheblich. Könnte das nicht ein Anreiz sein?
Geyer: Dieser Unterschied bei den Gehältern hat sich schon deutlich reduziert. In Spitzenpositionen verdient man teilweise in Osteuropa durch die niedrigeren Steuern schon mehr netto als in Österreich. Bei Sachbearbeitern liegt das Gehaltsniveau etwa ein Drittel unter dem unseren. Und man darf dabei nicht vergessen, dass die Lebenshaltungskosten im Osten immer noch geringer sind als hier in Österreich.
FORMAT: Mit 1. Jänner bekommt Estland den Euro. Sehen Sie noch weitere Kandidaten für die Einheitswährung?
Geyer: Derzeit nicht. Die Ost-Währungen haben sich im vergangenen Jahr gut entwickelt. Gegenüber dem Euro hat es Zuwächse gegeben. Nicht-Euro-Mitglieder waren da klar im Vorteil, weil sie je nach Bedarf die Währung ab- oder aufwerten konnten. Für die Slowakei, die Anfang 2010 den Euro eingeführt hat, war der Zeitpunkt der Umstellung sicher von Vorteil. Früher dominierten traditionell die Großbetriebe. Allerdings geht die Umstrukturierung gut voran, die Förderung von Mittelbetrieben funktioniert. Der Boom in der Autozulieferbranche hilft da natürlich auch. Für uns ist die Slowakei 2011 ein echter Zukunftsmarkt. Dort ist viel in Bewegung.
Interview: Ingrid Krawarik