Freihandelsabkommen EU-USA im Gegenwind

Die EU und die USA wollen mit der Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) den größten Wirtschaftsraum der Welt schaffen. Die Verhandlungen laufen zäh, der Widerstand wächst. Antworten auf die zentralen Fragen rund um das geplante Freihandelsabkommen.

Freihandelsabkommen EU-USA im Gegenwind

Blinker am Auto, die Lenker von Kinderrollern, die Verpackung von Lebensmitteln: Es gibt sie in der EU und es gibt sie in den USA, und es gibt Unternehmen, die sie für beide Märkte produzieren -allerdings zu ganz unterschiedlichen Bedingungen, weil die Vorschriften nicht dieselben sind. Diese Unternehmen sind es, die immer wieder genannt werden, wenn Politiker und Wirtschaftslenker von den Vorzügen des großen Deals sprechen. Einem Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, das endlich alles einfacher macht - gleiche Blinker, Rollerlenker und Lebensmittelbeschriftungen; keine Zölle, dafür gleiche Investitionsbedingungen, gleiche Vorschriften und gleicher Marktzutritt für alle.

Nie zuvor war die Aussicht auf einen gemeinsamen Wirtschaftsraum für 800 Millionen Menschen mit relativ einheitlichen Regeln so gut vor einem Jahr, als die Gespräche zwischen den USA und der EU erstmals ganz konkret begannen. Von 400.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen allein in Europa war die Rede, von zusätzlichem Wirtschaftswachstum für beide Seiten, nach dem gerade in der Krise händeringend gesucht wurde. Die geopolitische Komponente wurde ebenfalls betont, denn gemeinsame Standards sollten die herrschende Stellung der Industriestaaten festigen. Die Schwellenländer müssten dann erst mal nachziehen - und hätten Kostennachteile.
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So nah wie nie. Über ein Handelsabkommen zwischen den beiden größten Wirtschaftsblöcken der Welt wurde schon viel geredet. Seit 2013 wird erstmals konkret verhandelt. Der bisherige EU-Handelskommissar Karel De Gucht versucht, Stimmung für die kritisierte TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zu machen. Bild: Reuters
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Zwölf Monate und sechs Verhandlungsrunden später ist die erste Euphorie verschwunden und anderen Emotionen gewichen. Die Partnerschaft, kurz TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) genannt, stößt auf Widersstand, manchmal fast auf Panik. Mehr als 600.000 Menschen machen online gegen das Abkommen mobil, NGO-Zusammenschlüsse sammeln Proteststimmen, Unternehmensverbände und Gewerkschaften äußern Skepsis. Die Sorgen: Standards könnten gesenkt werden, Umwelt- nd Arbeiterschutz erodieren und das alles werde unter Ausschluss der Öffentlichkeit beschlossen. In Österreich fährt die "Kronen Zeitung" eine Kampagne dagegen. Die Angst, dass Europa von amerikanischen Chlorhühnern und Genmais überschwemmt wird, versetzt die Schnitzel-Nation in Aufregung.

Was ist da passiert? Ist die harsche Kritik der NGOs berechtigt? Was wollen die beiden Seiten wirklich? Und ist ein Abschluss der Verhandlungen unter diesen Bedingungen überhaupt realistisch?
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Zahlt sich das alles aus? Freihandelsabkommen gehen weit über Zollkürzungen hinaus und sind komplexe Gebilde. Die Prognose, wie sich die Vorhaben auf Volkswirtschaften auswirken, sind schwierig. Für die TTIP gehen unterschiedliche Studien von längerfristigen BIP-Zuwächsen zwischen 0,5 und 4,8 Prozent (ifo/BS-Studie, für die USA, siehe Grafik) aus. Weil bilaterale Abkommen Handelsflüsse umleiten, kann es zu Verschiebungen am Weltmarkt kommen. Es gibt auch Verlierer. Grafik: Format, zum Vergrößern klicken
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Ganz generell soll die TTIP als größte Freihandelszone der Welt Wachstum und Beschäftigung stimulieren. Dass der internationale Handel das grundsätzlich kann, steht selbst bei Kritikern außer Frage. Volkswirtschaftlich gesehen ist ein bilaterales Abkommen allerdings nur die zweitbeste Lösung, weil sich dadurch Handelsströme weltweit verschieben. Sie sind dann nicht so effi zient, wie sie sein könnten. Einfach, weil sie keine Zollvorteile hätte, würde etwa die Schweiz die TTIP negativ zu spüren bekommen (siehe Grafik) - egal wie toll oder günstig ihre Produkte sind.

Weil die Welthandelsrunden aber seit Jahren auf der Stelle treten, ist die TTIP eine Art Alternativprogramm. In Bezug auf Europa sagen manche sogar: "Die einzige Chance, die wir haben." Die USA verhandeln parallel dazu auch mit dem pazifischen Raum. "Europa könnte, wenn es nicht zu einer Einigung kommt, durch die Röhre schauen. Standards könnten dann durch andere Staaten bestimmt werden", warnt etwa Norbert Lessing, neuer Präsident der amerikanischen Handelskammer in Österreich. Auch die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftskammer betonen immer wieder: Es geht hier um etwas. Für die EU und für Österreich, weil die USA unser drittwichtigster Handelspartner sind.

Doch es herrscht auch Einigkeit, dass die Diskussion um das Abkommen aus dem Ruder gelaufen ist. Allseits werden Positionspapiere veröffentlicht, es gibt Veranstaltungen und Gespräche für Unternehmen, NGOs und interessierte Bürger, in denen Ausgangsbasis, Ziele und Bedingungen der Verhandlungen erklärt werden. "Es ist gut, dass Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner versucht, zu moderieren", sagt etwa Florian Schweitzer, Sprecher von Greenpeace Österreich. Das Ministerium hatte NGOs zum außenpolitischen Beirat zum Thema TTIP geladen. So wichtig die Diskussionen auch sind - einige Fragen blieben weiterhin offen. "Der Teufel steckt eben oft im Detail"(Schweitzer).
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Die Verhandler. Die TTIP wird seitens Europa von der Europäischen Kommission und seitens der USA vom Büro des US-Handelsvertreters verhandelt. Die Chefverhandler sind Dan Mullaney (USA, links) und Ignacio Garcia Bercero (EU, rechts). Der Spanier Garcia Bercero ist Direktor für Handel in der EU-Kommission, Mullaney ist in der US-Behörde für Europa und den Mittleren Osten zuständig. Die sechste Verhandlungsrunde fand von 14. bis 18. Juli statt. Bild: Corbis
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Für viele Kritiker fängt das bei der Frage an, wer überhaupt verhandelt. Das Mandat dafür hat seitens Europa die Europäische Kommission, die EU-Staaten haben es ihr im Juni 2013 erteilt. In der Kommission ist Ignacio Garcia Bercero als Chefverhandler verantwortlich. Das Ziel ist es, durch das Abkommen ohnehin schon geringe Zölle abzubauen, vor allem aber andere Handelshemmnisse wie unterschiedliche technische Standards.

Die Gespräche erstrecken sich über verschiedene Branchen wie die Automobilindustrie, Chemie oder Textilien. Dazu gibt es Fachgruppen, die sich mit Experten, aber auch Institutionen und Organisationen beraten. Kritiker bemängeln den Überhang an beteiligten Industrie-Lobbyisten, Befürworter berufen sich darauf, dass Fachexpertise wichtig sei und sich das Ungleichgewicht zwischen Industrie- und Arbeitnehmervertretern fast natürlich ergebe.

Die Verhandlungsdokumente sind prinzipiell geheim. Die Kommission erklärt das damit, dass sie nicht ihre gesamte Verhandlungsstrategie offenlegen will. Regelmäßig werden aber die Vertreter der Mitgliedstaaten und der Handelsausschuss im EU-Parlament informiert. Weil die Forderung nach mehr Transparenz immer lauter wurde, hat nun auch eine Beobachtergruppe aus Vertretern der Industrie und Zivilgesellschaft Einblick in die Dokumente.
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Standards. Verschiedene Branchen drängen auf einheitliche technische Standards für Produkte. Dazu zählt auch die europäische Automobilindustrie. Bild: Corbis
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Auch dass die TTIP keinerlei demokratische Legitimation haben würde, wie Kritiker meinen, lässt sich entkräften: "Ohne Zustimmung des EU-Parlaments und wahrscheinlich auch der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten kann die TTIP nicht beschlossen werden", betont Susanne Schott, die sich für die Wirtschaftskammer seit Jahren mit Handelspolitik beschäftigt. Die Staaten müssen das übrigens einstimmig tun. Das "Chlorhuhn", das ohnehin nicht zur Debatte steht, könnte Österreich also spätestens an diesem Punkt ablehnen.

Dass über die Köpfe der Bürger hinweg etwas beschlossen werden soll, das sie vehement ablehnen, durchzieht die Punkte der Kritiker:

Sie bemängeln den Mangel an Transparenz, den Mangel an Möglichkeiten, die zur Verhandlung stehenden Bereiche mitzubestimmen, die Schwammigkeit von Formulierungen, die gleich mehrere Teufel im Detail vermuten lassen. Was genau zum Beispiel "gegenseitige Anerkennung von Standards" bedeutet, ist noch unklar. Die Kommission und auch die USA, wo Qualitätsverluste bei Pharmazeutika und Elektrogeräten befürchtet werden, betonen aber regelmäßig, dass es zu keiner Absenkung bestehender Standards kommen wird. Von einheitlichen Regeln sollen dann trotz aller Skepsis überproportional KMU profitieren: "Sie reduzieren mit dem Export verbundene Fixkosten und ermöglichen vielen überhaupt erst den Export", sagt Yvonne Wolfmayr vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo.
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Finanzmarkt. Die Regulierung des Finanzmarkts fällt in Europa und den USA gänzlich unterschiedlich aus. Die USA wollen das Thema aus der TTIP ausklammern. Bild: Corbis
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Unklar sind seitens der Kritiker aber auch die besonders heiklen Punkte "regulatorische Kooperation" und "Investitionsschutz". Ersteres soll angeblich eine frühe Mitsprache von Betroffenen beider Länder bei zukünftigen Gesetzgebungsprozessen erlauben - noch bevor ein Parlamentarier Gelegenheit dazu hat.

Zweiteres soll vor allem sicherstellen, dass ausländische Unternehmen nicht diskriminiert und enteignet werden. Unternehmen sollen in solchen Fällen Schiedsgerichtsverfahren gegen Staaten anstreben können. Kritiker fürchten, dass dadurch der Rechtsstaat umgangen wird, weil die Verfahren intransparent sind und Berufungen nicht vorgesehen sind. Auch könnten Staaten etwa ihre Umweltvorschriften nicht mehr verschärfen, würden die Schiedsgerichte jede rechtliche Veränderung dem Investorenschutz zusprechen.

Allerdings gibt es weltweit Tausende dieser Abkommen, auch Österreich hat über 60 davon abgeschlossen. "So wie der Investorenschutz im TTIP vorgesehen ist, basiert er auf einer Liste von wenigen eignung, ungerechtfertigte Diskriminierung etc.), wie sie die OECD als Musterabkommen erstellte", beschwichtigt Handelsexpertin Schott.

KIritik und Reaktionen

Die öffentliche Kritik bleibt nicht ohne Reaktion: Die EU-Kommission kündigt mehr Transparenz an, mehr Information und Aufklärung. Den Investorenschutz hat sie für eine öffentliche Befragung geöffnet, über 150.000 Anfragen gab es dazu. Auch österreichische Regierungspolitiker positionieren sich: Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) sprach sich gegen Schiedsgerichte im Investorenschutz aus, Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) will "rote Linien" in Sachen genetisch manipulierte Lebensmittel und Herkunftsschutz setzen, Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) bekräftigt die Wichtigkeit hoher Standards.

Die Skepsis gegenüber der TTIP bleibt bisher hoch, sie wächst sogar, vor allem in Deutschland und Österreich. Experten sind sich sicher, dass dazu auch der Vertrauensverlust gegenüber den USA beiträgt, den die Enthüllungen um die Geheimdienstaktivitäten ausgelöst haben. Die Verhandlungen erweisen sich auch aufgrund dieser Umstände als zäh.

Dass sie scheitern, hält momentan niemand für möglich. Dass das Abkommen wie geplant in einem Jahr abgeschlossen ist, aber auch nicht.

USA-EU-ABKOMMEN - Die heikelsten Punkte

MARKTZUGANG
Die Zölle sind im Durchschnitt sehr gering, eine weitere Reduktion scheint wahrscheinlich. Spießen dürften sich die Verhandlungen aber an anderen Dingen. Offen ist, wie weit der gegenseitige Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen gehen wird. Besonders kritisch wird in Europa der Investorenschutz gesehen, der Schiedsgerichtsverfahren für Unternehmen, die Staaten klagen, vorsieht.

REGULATORISCHE FRAGEN
Der Abbau von nichttarifären Handelsbarrieren macht für Experten den wirtschaftlichen Erfolg des Abkommens aus. Unklar ist, wie weit und auf welcher Basis Vorschriften vereinheitlicht werden sollen. Aber die Verhandler betonen, dass hohe Standards beibehalten werden sollen. Besonders heikle Bereiche: Agrarwirtschaft, Zulassung chemischer Produkte, CO2-Zertifikatsregelung bei Automobilen etc. Die USA sollen daran interessiert sein, den Bereich Energie aus den Verhandlungen auszunehmen; Europa will an Herkunftsbezeichnungen wie "Parmaschinken" festhalten.

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