Der ÖBB-Chef Christian Kern im Interview
Bahn-Boss Christian Kern über das Versagen seiner Manager, eine 400-Millionen-Spritze vom Staat und die kritisierte Errötung der ÖBB.
FORMAT: Herr Vorstandsvorsitzender Kern, Sie haben bei der Rail Cargo Austria (RCA) durchgegriffen, die Vorstände abberufen und die Führung interimistisch selbst übernommen. Können Sie dem staunenden Steuerzahler erklären, wieso der Güterverkehr, seit Jahren als Perle des ÖBB-Konzerns verkauft, plötzlich dreistellige Millionenverluste einfährt?
Kern: Das ist nicht plötzlich passiert, sondern ein Prozess, der sich über zehn Jahre gezogen hat. Im Jahr 2000 erzielte die RCA den gleichen Umsatz und beförderte ungefähr genauso viele Tonnen Güter wie 2010. Aber die Kosten sind seither gestiegen, ohne dass die Kostenstruktur des Unternehmens schnell genug angepasst wurde. Die höheren Herstellungskosten konnten an die Kunden nicht weitergegeben werden. Die Folge: Aus plus 145 Millionen Euro Betriebsergebnis wurden minus 73 Millionen.
FORMAT: Hat das niemand gesehen, oder war es den Verantwortlichen egal?
Kern: Es wurde, vereinfacht gesagt, nur in Marktanteilen gedacht, ohne ausreichend die Kosten zu beachten. Es hieß immer: Der Mix ist heilig, also der Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene. Aber wir sind ein Unternehmen. Daher ist nicht der Mix, sondern unser Geschäftsergebnis heilig. Das Schlagwort von der Cashcow war im Übrigen sowieso Fiktion: In den besten Jahren hat der Güterverkehr gerade die Kapitalkosten verdient.
FORMAT: Aber ist der Politik der Mix nicht tatsächlich heilig? Werden Sie nicht Zoff mit dem Eigentümer provozieren, wenn Sie künftig weniger unprofitable Transporte durchführen?
Kern: Nein. Wir planen ja keinen Kahlschlag und werden nicht die Kunden wegschicken. Wenn der Anteil der Schiene von derzeit 37 auf 32 oder 33 Prozent fällt, sind wir immer noch die Nummer eins unter den EU-15. Ich glaube, die Politik hat verstanden, dass es keine Alternative gibt: Entweder wir passen unsere Strukturen an, oder es gibt irgendwann keine RCA mehr.
FORMAT: Aber es kommt bereits Kritik, vor allem von Regionalpolitikern?
Kern: Es reden sehr viele Leute mit, ja. Und wir müssen besser werden, keine Frage. Aber nur jammern bringt uns nicht weiter und Wirtschafts-Voodoo ebenso wenig: Wir werden die Probleme nicht lösen, wenn wir Strohpuppen mit Nadeln bearbeiten. Man wird begreifen müssen: Es ist unsere letzte Chance. Die zuständige Ministerin steht zu unserem Sanierungsprogramm das nicht sofort Erfolge zeigen wird, aber einen Langfristeffekt hat.
FORMAT: Ein Unternehmer erzählte uns kürzlich, er arbeite gerne mit der RCA, weil er frühestens nach drei Monaten eine Rechnung und somit kostenlosen Kredit kriegt. Dafür bekommt er dann manchmal eine Mahnung, wenn er schon bezahlt hat. Der Mann hat den Eindruck, es gäbe kein Rechnungswesen in der RCA. Sind das nicht erschreckende Zustände?
Kern: Ich gebe zu, dass wir von operativer Exzellenz ein ziemliches Stück entfernt sind. Viele Abläufe funktionieren nicht zufriedenstellend. Deshalb sehe ich meine Aufgabe darin, klarzumachen, dass nur Performance und Ergebnisse zählen. Sonst nichts. Eines der Probleme ist, dass manche hier irgendwann begonnen haben, ihre Marketingsprüche selbst zu glauben: zum Beispiel, dass die RCA auf dem Weg zur Nummer eins in Osteuropa ist. Gleichzeitig wurden die Hausaufgaben nicht gemacht.
FORMAT: Heißt das, die Expansion in Osteuropa wird ad acta gelegt?
Kern: Nein, heißt es nicht. Wir wollen auch wachsen, wobei der Fokus in Zentral- und Osteuropa liegt. Ich sehe außerdem großes Potenzial in Westrussland und der Türkei aus meiner Zeit im Verbund weiß ich, welche enorme Dynamik dort herrscht. Aber um reüssieren zu können, müssen wir zuerst anders aufgestellt sein. Derzeit hat die RCA gar keine ausreichenden Vertriebsstrukturen für ein ordentliches Wachstum im Ausland.
FORMAT: Dafür hat sie ein ordentliches Problem in Ungarn. Die dortige Tochter Rail Cargo Hungaria schreibt große Verluste. Das spricht nicht unbedingt für weitere Auslandsabenteuer
Kern: In Ungarn sind wir in einem sehr schwierigen politischen Umfeld tätig und sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass sich dieses schnell ändern wird. Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass die Rail Cargo Hungaria nicht richtig in den Konzern integriert wurde; wir haben immer noch fast alles doppelt. Das war eine unzureichende Managementleistung, aus der ich jetzt die Konsequenzen gezogen habe.
FORMAT: Es gibt Überlegungen, vom ungarischen Staat einen Teil des Kaufpreises zurückzuverlangen oder gar den Kauf rückabzuwickeln. Bestehen da irgendwelche Chancen?
Kern: Wir prüfen das ohne großen Optimismus. Wichtiger ist, die Sanierung einzuleiten. Wir werden in einer ersten Tranche 500 Mitarbeiter in Ungarn abbauen, weitere werden folgen. Das ist schwierig genug das Management sitzt drei verschiedenen Gewerkschaften gegenüber.
FORMAT: Herr Kern, Sie haben aufgrund der vielen hausgemachten Probleme angekündigt, über 100 Führungspositionen im ÖBB-Konzern zu streichen bzw. neu zu besetzen. Gilt das noch?
Kern: Das gilt immer noch, und wir werden dieses Programm das übrigens auch vom Betriebsrat begrüßt wird früher umgesetzt haben als gedacht.
FORMAT: Trotz der Kritik, dass die ÖBB im Zuge dieser Entwicklung noch mehr erröten, weil Sie ja bekanntlich der Sozialdemokratie nahe stehen
Kern: Das ist wirklich unsinnig. Bei keiner einzigen Besetzungen seit meinem Antreten nehmen Sie die Leitungen von Strategie und Kommunikation, also meine engsten Mitarbeiter ist ein Parteibuch im Spiel. Das wird auch beim neuen RCA-Vorstand so sein.
FORMAT: Aber es scheint, dass rote Manager bevorzugt werden. Ex-RCA-Chef Gustav Poschalko bekam einen Konsulentenvertrag. Personenverkehrsvorständin Gabriele Lutter, die angeblich ebenfalls abgelöst werden sollte, darf bleiben.
Kern: Poschalko ist hoch qualifiziert und kein Parteigünstling. Trotzdem haben wir entschieden, die Vereinbarung mit ihm aufzulösen vorzeitig und einvernehmlich. Und der Vorstand für den Personenverkehr wird von drei auf zwei Personen verkleinert, völlig losgelöst von politischen Vorlieben.
FORMAT: Eine prinzipielle Frage: Ist speziell die Rail Cargo Austria wegen ihrer Schwächen zu wenig konkurrenzfähig, oder gilt das für den Güterverkehr auf der Schiene generell?
Kern: Bis auf wenige Ausnahmen haben alle Güterbahnen in Europa ähnliche Probleme, weil kein fairer Wettbewerb herrscht. Das gilt für die Straße, weil Frächter von der EU bevorzugt werden, aber zum Beispiel auch für den Flugverkehr: Kerosin ist der einzige Treibstoff, der nicht der Mineralölsteuer unterliegt.
FORMAT: Wenn die Schiene nur bedingt wettbewerbsfähig ist, sind dann weitere Investitionen in die Infrastruktur überhaupt noch verantwortbar?
Kern: Absolut. Es zeigt sich, dass es dort, wo in die Qualität investiert wird, enorme Zuwächse gibt. Wir sehen das im Personenverkehr, etwa beim Regionalverkehr in Tirol und Vorarlberg. Das wird auf der Westbahn so sein, sobald wir in knapp über zwei Stunden von Wien nach Salzburg fahren, oder auf der Südbahn, wenn die Fahrzeit WienKlagenfurt unter drei Stunden beträgt. Es wäre ein Fehler, jetzt die Investitionen zu stoppen.
FORMAT: Die hoch subventionierten ÖBB wollen vom Staat außertourlich nochmals 400 Millionen Euro. Wozu?
Kern: Wir wollen den heute sehr überschaubaren Wert der RCA in Richtung eine Milliarde Euro bringen. Dafür müssen wir Produktion und Service komplett umstellen, was einen hohen Restrukturierungsaufwand bedeutet. Ich will aber keinen Zuschuss, sondern ein Investment des Eigentümers, um einen höheren Wert schaffen zu können. Wir wollen bei der RCA beweisen, dass uns das gelingt.
FORMAT: Sie brauchen das Geld doch für die 650 Eisenbahner, für die es im Zuge der Sanierung keinen Job mehr geben wird, die aber unkündbar sind.
Kern: Natürlich ginge ein Teil in Personalrückstellungen, ein anderer Teil ins Eigenkapital. Wer wachsen will, muss ein gewisses Risiko nehmen, und das geht nur mit ausreichend Eigenkapital. Aber wenn das als Subvention rüberkommt, lassen wir es lieber und werden die Sanierung aus eigener Kraft schaffen. Wir wollen nicht mehr als Subventionskaiser dastehen.
Interview: Andreas Lampl, Christian Neuhold