Brandherd Osteuropa: Risiko einer langen Depression liegt derzeit bei 50 Prozent
Die Party ist vorbei, nun macht sich Panik breit: Osteuropa stehe vor einem Zusammenbruch wie Asien 1998, fürchten viele. Experten erklären, wie die Lage wirklich ist: Acht Fragen und Antworten zu den tickenden Bomben im Osten Europas.
Eine Schreckensmeldung jagt die nächste: Die Financial Times meint, Osteuropa ist auf dem klassischen Weg einer Emerging-Markets-Krise. Allerdings werde sie schlimmer ausfallen als die Krise in Asien und Argentinien. Die Ratingagentur Moodys warnt vor dem Abwertungsdruck der Banken in Osteuropa und schickt damit die Aktienkurse von Raiffeisen, Erste Group und der Bank-Austria-Mutter UniCredit in den Keller. Der britische Daily Telegraph sieht überhaupt den Zusammenbruch Osteuropas kommen, der ganz Europa mitreißen könnte. Eines ist sicher: Wenn Osteuropa explodiert, zieht es Österreich auch mit in den Crash, denn die rot-weiß-rote Wirtschaft ist eng mit dem Osten verwoben. Vor allem die Banken stehen im Zentrum des Hurrikans. Die möglichen Folgen einer Verwüstung sind nicht abzuschätzen. Aber auch nicht, wie viel Zeit noch bleibt. Denn die Bandbreite der Einschätzungen ist groß und reicht von alles übertrieben bis alles ist noch viel schlimmer.
Risikoeinschätzung der Experten
Die Osteuropa-Experten des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), Vladimir Gligorov, Gábor Hunya, Vasily Astrov, Sándor Richter und Josef Pöschl, haben sich exklusiv für FORMAT an einen Tisch gesetzt, um die Krise zu analysieren und Fragen zu den tickenden Bomben vor der Haustür Österreichs zu beantworten. Ihr Befund: Osteuropa hat eigentlich kein Konjunkturproblem. Man könnte den Crash leicht abwenden, wenn die westeuropäischen Banken wieder ausreichend Liquidität zur Verfügung stellen. Die gute Nachricht ist also: Man weiß, was zu tun ist. Die schlechte: Bisher gibt es keine koordinierte Aktion der EU. Deshalb stehe das Risiko einer lang andauernden Depression derzeit bei 50 Prozent.
1. Wo brennt der Hut?
Die Experten des WIIW sehen vier Gruppen von Ländern: Die Ukraine, die baltischen Staaten und Ungarn sind bereits tief in der Rezession. Die Währungen sind unter Druck, der Staatsbankrott konnte gerade noch vom Internationalen Währungsfonds abgewendet werden. Die nächsten Bomben ticken in Rumänien, Bulgarien, Russland und Serbien: Dort drohen hohe Ausfälle. Der Rest der osteuropäischen Länder ist hart getroffen, wird die Krise aber meistern, wenn auch in vielen Fällen nur mithilfe von außen. Gut stehen nur Tschechien, die Slowakei, Slowenien und Polen da.
Die aufstrebenden Volkswirtschaften sind extrem abhängig von Kapitalzuflüssen und Exporten. Dazu kommen je nach Land interne Faktoren: Ungarn kämpft mit hohen Staatsschulden. Russland und die Ukraine leiden unter fallenden Rohstoffpreisen. Und im Baltikum und einigen Immobilienmärkten wie Bulgarien oder Montenegro waren die Märkte schlicht überhitzt diese Blasen platzen jetzt. Der Kern der Krise sind jedoch die westlichen Banken, die infolge der Kreditklemme kaum noch Geld nach Osteuropa pumpen: Nicht den Banken geht es wegen Osteuropa schlecht, sondern umgekehrt. Deshalb muss die Lösung aus dem Westen kommen, sagt Gligorov.
2. Crashen jetzt die Währungen?
Den Wechselkursen der osteuropäischen Staaten droht eine Abwärtsspirale: Der polnische Zloty verlor seit dem vergangenen Sommer um rund 50 Prozent gegenüber dem Euro. Dramatisch nach unten ging es auch mit dem russischen Rubel und der ukrainischen Griwnja. Der ungarische Forint durchbrach die Marke von 300 Forint pro Euro. Vor ein paar Wochen galt das noch als Alptraumszenario. Jetzt ist es Realität, sagt Richter. Länder mit fixen Wechselkursen wie etwa Bulgarien könnten schon bald ihre Währungen freigeben müssen, zu stark sind die Kräfte am Markt zum Teil bereits.
Sorgen macht dieser Kursverfall vor allem jenen Osteuropäern, die Fremdwährungskredite aufgenommen haben. In Rumänien wird befürchtet, dass die Zahl der Zwangsvollstreckungen zur Eintreibung von Bankschulden um 30 Prozent steigen wird. Für die Banken ist das doppelt gefährlich: Kreditausfälle werden häufiger, gleichzeitig schmilzt das lokal ausgewiesene Eigenkapital. Außerdem könnte die Währungsabwertung eine weitere Kapitalflucht auslösen und so die Währungen weiter schwächen. Einziges Trostpflaster, so die WIIW-Ökonomen, ist die niedrige Inflation. Daher sei der Währungsabschwung für die Länder zumindest jetzt noch zu verkraften. Zudem werden die Exporte der osteuropäischen Staaten durch die Währungsabwertungen wettbewerbsfähiger, sagt Hunya.
3. Können wir noch in den Osten exportieren?
Mit Schwierigkeiten haben indes die Österreicher zu kämpfen, die in den Osten exportieren ihre Produkte sind durch die Wechselkursturbulenzen teurer geworden. Mit Zuwächsen rechnen wir heuer nicht, sagt Walter Koren, Chef der Außenwirtschaftsorganisation der Wirtschaftskammer Österreich. Besonders negativ entwickelt sich die Ukraine. Für Russland rechnet Koren mit einem Einbruch der Exporte um rund ein Drittel. Da Liquidität knapp ist, wird bei vielen Ausfuhren verlangt, dass die Lieferanten Kredite gewähren. Auch die heimische Tourismuswirtschaft dürfte bald spüren, dass sich der Urlaub in Österreich für viele Osteuropäer dramatisch verteuert hat.
4. Wo droht der Staatsbankrott?
In vier Ländern musste bereits der Internationale Währungsfonds einspringen, um die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden: Ukraine, Ungarn, Lettland und Serbien beugen sich nun einem strikten Programm zur Sanierung des Haushaltes. Im WIIW wird vermutet, dass die Zahl der Länder, die ebenfalls beim Währungsfonds um Finanzhilfe bitten werden, stark steigen wird. Die meisten südosteuropäischen Länder wären Kandidaten dafür. Rumänien hat bereits angekündigt, demnächst die Entscheidung über ein Hilfsansuchen zu fällen. Doch die Länder gehen oft zu spät zum IWF, sagt Gligorov. Dank des internationalen Sicherheitsnetzes aus EU, IWF und Weltbank ist die Gefahr allerdings gering, dass tatsächlich ein Land in den Bankrott schlittert. Das größere Risiko ist, dass die Banken nicht mehr die Unternehmen finanzieren, meint Pöschl.
5. Fallen Banken um ihr Geld um?
Standard & Poors errechnete, dass in Osteuropa 1.700 Milliarden Dollar Schulden angehäuft sind. 2009 werden 400 Millionen fällig fast ein Drittel des zusammengerechneten BIPs der Region. Normalerweise würden diese Schulden einfach refinanziert werden, doch das ist nun nicht mehr möglich. Eine Kette von Bankrotten und zahlungsunfähigen Haushalten könnte die Folge sein vergleichbar mit der Subprime-Krise in den USA. Die EBRD etwa warnt, dass zehn bis 20 Prozent der ausstehenden Kredite faul sind. Die höheren Kreditkosten haben auch Auswirkungen auf die Konjunktur: Die höheren Rückzahlungen werden zu einem Rückgang beim Konsum führen, sagt Pöschl.
6. Was geschieht, wenn die Investitionen ausbleiben?
Die Kapitalflüsse nach Osteuropa brechen heuer dramatisch ein: Die privaten Geldflüsse betragen nur noch ein Zwölftel jener von 2007, die Banken ziehen sogar 27,2 Milliarden ab, nachdem sie noch 2007 über 200 Milliarden in den Osten gepumpt haben. Die Folge: Projekte werden nicht durchgeführt oder stagnieren, Arbeitslosigkeit steigt. Bisher sehen wir allerdings keinen massiven Abfluss von Geldern, sagt Hunya. Das bestätigt auch Herbert Stepic, Generaldirektor von Raiffeisen International (siehe
Interview
): Die Systembanken investieren zwar nicht viel, ziehen aber auch kein Kapital ab. Setzt allerdings der Run ein, ist ein Crash programmiert.
7. Droht eine Krise wie 1998 in Asien?
Noch ist der Crash abwendbar, doch das Muster ist bekannt, der Anfang gemacht: Einem Kreditboom folgt nun der Vertrauensverlust, die Investoren ziehen sich zurück, die Währungen fallen, die Panik könnte nun einen Teufelskreis auslösen ähnlich wie in Asien 1998 und Argentinien 2000. Doch damals boomte die Weltwirtschaft, die Folgen konnten schnell abgefangen werden. Die Defizite in der Leistungsbilanz und die Schulden sind in Osteuropa heute höher als damals in Asien. Wird nicht schnell gehandelt, könnte ein Crash kommen, warnen die Experten des WIIW. Betroffen wäre dann vor allem Westeuropa, allen voran Österreich.
8. Ist ganz Osteuropa in der Krise?
Slowenien, die Slowakei, Tschechien und Polen stehen noch recht gut da. Am wenigsten von einer Krise merkt man im kleinen Albanien, dessen Wirtschaft von internationalen Projekten und Geldsendungen von Migranten abhängt: Das WIIW erwartet ein Wirtschaftswachstum von fünf bis sieben Prozent: eine Oase im Flächenbrand.
Von Miriam Koch, Corinna Milborn und Liselotte Palme