Arbeitsmarkt: "Ein Kampf um jeden Job"
Von Österreichs Arbeitsmarkt kamen in den letzten Wochen beunruhigende Signale. Zahlreiche große Unternehmen setzen empfindliche Personalschnitte. Nun hat Bundeskanzler Sebastian Kurz die Problematik zur Chefsache erklärt. AMS-Chef Johannes Kopf warnt vor der Kurzarbeit als Bumerang.
Arbeitsmarkt als Chefsache. Bundeskanzler Kurz: "Wir führen den Kampf um jeden Arbeitsplatz."
Ende September lag die Zahl der Arbeitssuchenden bei 408.853 Personen, um 74.389 über dem Vorjahr. Das sind zwar deutlich weniger als die 588.000 Arbeitslosen von Mitte April, zuletzt gab es aber eine ganze Reihe alarmierender Nachrichten über Personalkürzungen in großen Unternehmen. Der Grazer Motorenbauer AVL List, die Casinos Austria, der Autozulieferer Mahle mit seinem Kärntner Werk in St. Michael ob Bleiburg, der Flugzeugausrüster FACC, das Schalungstechnikunternehmen Doka, MAN Steyr, das Wiener Traditionshotel Sacher, Mayr-Melnhof, die voestalpine, Swarovski, die Austrian Airlines - zahlreiche heimische Vorzeigeunternehmen müssen, zumeist wegen der schlechten Aufrtagslage, jeweils hunderte Mitarbeiter freisetzen.
Grund genug für Bundeskanzler Sebastian Kurz, das Thema Arbeit zur Chefsache zu erklären. Neben der Gesundheitskrise soll eine anhaltende Wirtschafts- und Arbeitskrise "mit allen Mitteln" verhindert werden, betonte Kurz: "Wir führen einen Dreikampf: Den Kampf um jeden COVID-Patienten, den Kampf um jeden Betrieb und den Kampf um jeden Arbeitsplatz."
Das Thema Arbeit wird daher in den nächsten Monaten innerhalb der Bundesregierung das zentrale Thema werden. "Überall, wo Betriebsschließungen drohen oder Abwanderungen ins Ausland angedacht sind, werden wir mit aller Kraft um jeden Arbeitsplatz kämpfen", sagte der Kanzler. Die Weltwirtschaftskrise stelle auch Österreich vor "enorme Herausforderungen". "Wir sind ein exportorientiertes Land und es brechen derzeit wichtige Märkte weg. Ganze Branchen wie der Tourismus kommen zum erliegen." Kurz verwies auf die steigenden Ansteckungszahlen, die Reisewarnungen auslösen und damit die Konsumlust reduzieren, "was im Ergebnis Arbeitsplätze vernichtet".
Um jeden Arbeitsplatz kämpfen
"Österreich braucht jetzt einen noch nie da gewesenen Schulterschluss zwischen Politik, Arbeitnehmern und Arbeitgebern", sagte der Regierungschef. "Eine Betriebsschließung bedeutet nicht nur für jeden Unternehmer den Ruin, sondern auch die Existenz aller Mitarbeiter und deren Familien. Darum werde ich persönlich alles dafür tun, dass wir die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise bestmöglich abwehren können und die Menschen im Land weiter Arbeit haben." Als Maßnahmen will der ÖVP-Obmann die bestehenden Hilfsprogramme verlängern - "und mit der Arbeitsstiftung sowie der Kurzarbeit gezielte Instrumente einsetzen". "Zusätzlich werde ich um jeden Arbeitsplatz vor Ort kämpfen", verspricht Kurz.
In den kommenden Tagen und Wochen plane er daher "eine Reihe von Gesprächen", etwa mit den Landeshauptleuten, Wirtschaftsforschern, Experten und den Sozialpartnern. Zum Auftakt wird Kurz mit Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer in Linz zusammentreffen. Dabei sollen die bereits laufenden Beratungen zwischen der Bundesregierung und der Landesregierung über die Rettung der Arbeitsplätze beim Lkw- und Bushersteller MAN vertieft werden. Der Konzern hatte ja Ende September die Beschäftigungssicherungs- und Standortverträge für die Werke in Deutschland und Österreich (Steyr) aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt.
Gewerkschaft ruft nach Konjukturpaket
Der ÖGB angesichts hohen Arbeitslosenzahlen auf ein weiteres Konjunkturpaket. "Wann wenn nicht jetzt, wäre der richtige Zeitpunkt, das zu tun", fragt Gewerkschafts-Präsident Wolfgang Katzian, der bereits Im September ein Konjunkturpaket von "einigen Milliarden" Euro gefordert hatte. Neben der von der Regierung bereits umgesetzten Mehrwertsteuersenkung und der Investitionsprämie sieht der ÖGB-Chef Bedarf für zusätzliche Investitionen vor allem im Bereich der Gemeinden, im öffentlichen Verkehr, bei Digitalisierung und Bildung, Wohnen sowie Umwelt- und Energiepolitik. Auch mehr Mittel im Sozialbereich, etwa bei der Pflege, wären notwendig. Bei den Arbeitsmarkt- und Konjunkturmaßnahmen der Regierung gebe es "noch Luft nach oben", so Katzian.
Katzian drängt unter anderem auf eine Ausweitung der Altersteilzeit und des Solidaritätsprämienmodells. Aufgrund der erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung im Herbst und Winter kann er sich eine Beendung der Kurzarbeit Ende März 2021 derzeit nicht vorstellen. "Es wird weitere Maßnahmen brauchen", so der ÖGB-Präsident. Für sehr stark betroffene Branchen wie etwa die Veranstaltungsbranche und die Stadthotellerie seien wohl Extra-Pakete notwendig.
Laut dem links-liberalen Momentum-Instituts lag die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen inklusive Schulungsteilnehmer per Ende September bei über 157.000 Menschen. Das seien nur um rund 10.000 weniger als auf dem bisherigen Höhepunkt im Jänner 2017, verweist das Institut auf Zahlen aus der Datenbank des Arbeitsmarktservice. AMS-Sprecherin Beate Sprenger erklärte gegenüber der "Presse" (Montagsausgabe), dass es sich dabei oft um sehr lange, intensive Ausbildungen handelt. "Nach solchen Ausbildungen sind die Jobaussichten in der Regel sehr gut", sagte Sprenger der Zeitung. Daher handle es sich bei diesen Menschen nicht um die eigentliche Problemgruppe, da sie sehr gute Chancen hätten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
AMS-Chef warnt vor andauernder Kurzarbeit
Kurzarbeit war im letzten Halbjahr das Instrument der Regierung, um Arbeitslosigkeit zu vemeiden. Nicht ganz mit Erfolg, wie sich zeigte. AMS-Chef Johannes Kopf warnt nun davor, dass durch Kurzarbeit falsche Strukturen "konserviert" werden könnten, da sie sonst längerfristig zu einem Hemmschuh für Reformen werden, warnt Als Beispiel nennt er Beschäftigte in der von der Coronapandemie schwer getroffenen Stadthotellerie, die statt Kurzarbeit in einem nachgefragten Job in den Alpenregionen besser aufgehoben wären.
Die Zahl der Betriebe, die kaum überlebensfähig seien, aber nun eine gewisse Zeit über die Krise hinweg gerettet werden, werde "täglich mehr". Im kommenden Frühling müsse ein Weg aus der Kurzarbeit gefunden werden. Sonst bestehe die Gefahr, dass Steuermittel an nicht überlebensfähige Betriebe verschwendet würden, erklärte Kopf im Gespräch mit dem "Ö1-Mittagsjournal".
Gerade für Langzeitarbeitslose, die auch in wirtschaftlich guten Zeiten "nicht gerne zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden", werde die Pandemie noch jahrelang nachwirken. Bei den Jugendlichen habe sich die Lage differenziert entwickelt. Sie seien im Lockdown zwar oft die ersten gewesen, die gekündigt wurden - aber auch die ersten, die wieder einen Job gefunden haben. Eine Ausweitung der überbetrieblichen Ausbildung für Junge, die keine Lehrstelle finden, sei gut - aber eine Beschäftigung in der "richtigen Wirtschaft" wäre besser, erklärte der Vorstand des Arbeitsmarktservice. In der Frage der geplanten Corona-Arbeitsstiftung, an der es heute Kritik von ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian gab, setzt Kopf auf die bevorstehenden Gespräche mit den Sozialpartnern und der Bundesregierung.
Die hohe Arbeitslosigkeit bei Ausländern hänge auch mit deren meist kurzer Zugehörigkeit zu ihren Betrieben zusammen - es falle eben leichter, sich von Mitarbeitern zu trennen, die man nicht so lange kennt. Die kürzere Verweildauer erkläre sich zum einen aus den Branchen, in denen viele Ausländer arbeiten - beispielsweise im Tourismus und der Zeitarbeit - und zum anderen damit, dass sie nach einiger Zeit oft österreichische Staatsbürger würden. Die Arbeitslosigkeit werde im Winter, wie jedes Jahr, zulegen. Der Höchstwert werde traditionell im Jänner erreicht, hier könnten es rund eine halbe Million Arbeitssuchende werden - wenn es keinen Lockdown gibt. Sollte in den nächsten Monaten nicht ein Medikament gegen den Coronavirus gefunden werden, oder zumindest in Entwicklung sein, dann befürchtet Kopf eine Rezession mit "massiven Folgewirkungen."