JobRocker: "Man muss das Risiko völlig ausblenden"

Vor zwei Jahren hat sich Günther Strenn gemeinsam mit einer Hand voll Gleichgesinnter daran gemacht, das Headhunting mit den Mitteln der Digitalisierung neu zu erfinden. Das Start-up "JobRocker" wurde zur am schnellsten wachsenden HR-Tec-Company Europas. Und für Strenn hat die Reise erst begonnen.

JobRocker Gründer und CEO Günther Strenn

Abheben: JobRocker Gründer und CEO Günther Strenn ist auf Expansionskurs. Nächste Station: Amerika?

„AWESOMENESS” steht in Großbuchstaben auf dem Poster in Günther Strenns Büro, auf dem ein steil aufsteigender Kampfjet vor einem blauen Himmel zu sehen ist. Darunter der Satz: „When I get sad, I stop being sad and be awesome instead.”

Das Plakat selbst ist ein Witz, denn es stammt aus der "Barney Stinson" Reihe aus der TV-Serie "How I Met Your Mother". Awesome – großartig – mit diesem Wort lässt sich der Erfolgslauf, den JobRocker, das Unternehmen des mittlerweile 38-jährigen Strenn in den letzten zwei Jahren hingelegt hat, dennoch auch am besten beschreiben.

Im Frühjahr 2016, kurz vor dem offiziellen Launch von JobRocker, hat der trend Strenn zum ersten Mal besucht. Damals in einem 150-Quadratmeter-Büro, das eigentlich noch mehr eine Wohnung war, und in dem die ersten zehn, 15 Mitarbeiter an der finalen Umsetzung ihrer Idee arbeiteten: „Die Personalsuche mit den Mitteln der Digitalisierung neu zu denken“, gab der Firmengründer, der auf gut ein Jahrzehnt Erfahrung im HR-Business zurückblicken konnte, als Devise an. Und er hatte den festen Vorsatz, nicht bei der erstbesten Gelegenheit Anteile an seinem Unternehmen an einen Investor abzugeben, sondern so lange wie möglich mit den eigenen Mitteln durchzuhalten. Das Start-up soweit als möglich mit eigener Kraft abheben zu lassen.


Unser Investor erwartet Wachstum.

März 2018, zwei Jahre danach. Strenn begrüßt den trend am neuen Firmensitz im RiverGate Vienna, einem am Handelskai neben dem Millennium Tower gelegenen Bürokomplex und führt stolz durch die Räume, die das mittlerweile auf 60 Mitarbeiter angewachsene Unternehmen belegt. In den vorangegangenen drei Monaten hat sich die Mitarbeiterzahl verdoppelt – mit allen Vor- und Nachteilen, die ein solch aggressives Wachstum mit sich bringt. „Wir wachsen jeden Monat um 15 Prozent, und wir versuchen, dieses Tempo zu halten. Das ist auch, was unser Investor von uns erwartet“, sagt Strenn.

Der Investor ist der Risikokapitalgeber Surplus Invest, der sich im September 2017 mit einer Million Euro an JobRocker beteiligt und später nochmals eine Million nachgelegt hat. Kapital, das JobRocker in eine andere Dimension katapultiert hat.

Post-Start-up

Die erste Start-up Phase, in der man in einem kleinen Büro versucht hat, alles selbst zu machen ist vorbei. JobRocker präsentiert sich heute wie ein nahezu erwachsenes Unternehmen. Die alten, seinerzeit billig eingekauften Second-Hand-Möbel wurden ausgemustert. Die Flip-Charts mit den Strategie-Skizzen wurden von den Wänden abgenommen und die alte Spar-Mentalität der ersten eineinhalb Jahre, in denen alles aus dem Cashflow finanziert wurde und jeder Cent zweimal umgedreht wurde, ist Geschichte.

„Das Geld, das wir von Surplus bekommen haben, war für uns der Turbo, das Super-Benzin, mit dem unser Lamborghini Vollgas fahren konnte“, sagt Strenn, für den das Tempo, in dem sich das Unternehmen seither weiterentwickelt hat, regelrecht berauschend ist: „Es ist wie eine Droge. Die schönste Droge. Es ist so einbindend, faszinierend und mitreißend, dass man nur Vollgas geben kann. Jemand, der nicht in einem so schnell wachsenden Start-up ist, kann gar nicht nachvollziehen, wie schnell sich Dinge ändern. Man denkt in einer ganz anderen Geschwindigkeit als andere Leute. Es ist ein riesiger Unterschied zur Corporate-Welt, in der ich davor gearbeitet habe. Nach außen wirkt man oft wie jemand, der dreimal so schnell aufgedreht ist.“


Zu Beginn tat es richtig weh, das Geld auszugeben.

Die Umstellung von einem Start-up, das wie Strenn sagt, absolut „Bootstrapped“, also komplett auf den Kern des Unternehmens fokussiert war, hin zu einem wachstumsgetriebenen Unternehmen, war für Strenn „brutal“, wie er zugibt. Während zuvor jedes Monat nachgerechnet werden musste, ob man sich noch einen weiteren Mitarbeiter leisten kann, ob man 500 Euro für Marketing ausgibt, Folder drucken lässt oder doch noch ein Monat lang zuwartet, spielte Geld plötzlich kaum mehr eine Rolle.

Strenn: „In der normalen Welt ist man mit einer solchen Situation nie konfrontiert. Da kommt plötzlich von oben herab eine Million Euro, mit dem Auftrag, das Geld auszugeben. Rein in wachstumstreibende Faktoren. In unserem Geschäftsmodell bedeutet das: Leute einstellen. Sales-Mitarbeiter, Berater… Es tat zu Beginn richtig weh, das Geld auszugeben und zu sehen, dass das Betriebsergebnis dadurch negativ wird. Der Investor sagt dann aber: Ja, dafür haben wir dir das Geld auch gegeben.“

Allerdings erwartet der Venture Capitalist auch eine Gegenleistung, und die beschränkt sich nicht auf die 20-Prozent-Beteiligung, die Surplus mittlerweile an JobRocker hält. Strenn: „Investoren leben in einer eigenen Welt, in einer eigenen Bubble. Es zählen alleine die maximale Wachstumsgeschwindigkeit und der Umsatz. Das ist das Ausschlaggebende. Es ist dagegen völlig egal, ob das EBIT eine halbe Million positiv oder negativ ist.“

Tempo, Tempo!

Das vom Investor vorgegebene Tempo lässt sich bildlich mit dem Poster in Strenns Büro beschreiben: Durchstarten, Vollgas. Blinker raus und Tempo 300 auf der Überholspur. „Alles andere schafft man nicht. Man baut ja auch einen Kostenapparat auf, und wenn das Wachstum nicht in der Geschwindigkeit weitergeht, überrollen einen bald die Kosten“, sagt Strenn.

Und wie fühlt es sich an, Chef eines derart rasant wachsenden Unternehmens zu sein? Besuche bei befreundeten Start-up-Unternehmen, mit denen Strenn immer wieder im Austausch ist, bestätigen ihn in der Marschrichtung. Auch wenn er betont, dass man als Geschäftsführer in einer derartigen Phase eines Unternehmens keine Sekunde zweifeln darf und extrem starke Nerven braucht. „Ich persönlich hafte für viele, viele 100.000 Euro. Auch wenn man einen Investor hat: Wenn man als Gründer und Geschäftsführer nicht mit in die Haftung geht, bekommt man in Österreich gar nichts.“

Obwohl das Unternehmen auf zwei Jahre ausfinanziert ist müsse er immer wieder mit Banken diskutieren, denn für die zähle nur das EBIT. In der Geschwindigkeit, in der das Unternehmen aktuell Personal aufbaue sei es aber gar nicht möglich, ein positives Ergebnis vorzuweisen. „Wenn wir wollten könnten wir unser Geschäftsmodell in zwei, drei Monaten umdrehen, sodass es wieder profitabel ist. Das würde aber bedeuten, dass wir nicht mehr so schnell wachsen“, beschreibt Strenn sein Dilemma und ergänzt: „Wer nur ein bisschen schlecht schläft, dann sollte sich besser nicht darauf einlassen. Wenn man überlegt, was schiefgehen könnte, geht man das Risiko schon gar nicht mehr ein. Das muss man komplett ausblenden.“


Wer nur ein bisschen schlecht schläft, sollte man sich nicht darauf einlassen.

Es sei wie ein großes DKT für Erwachsene, bei dem man jede Runde – also jedes Monat 20.000 Euro Büromiete abliefern muss, ganz zu schweigen von der sechsmonatigen Kaution, den verschiedenen Haftungen, den Leasing-Kosten für die Autoflotte und den laufenden Personalkosten – der Kostenapparat, den JobRocker mittlerweile mitschleppt sprengt jegliche Start-up-Dimension.

Das Unternehmen habe sich jedenfalls extrem geändert. Ob man noch ein Start-up sei? Eine Frage, auf die Strenn noch keine richtige Antwort hat. Von der Genesis, vom Spirit her, sicher. Man ist immer noch JobRocker, doch es habe sich eben auch viel verändert. „Wir sind wohl eher schon eine HR-Tec-Company“, sagt Strenn. JobRocker müsse sich eben sehr schnell weiterentwickeln. Dinge, die keinen Sinn machen, auch schnell wieder aufgeben. „Ein Start-up zu sein bedeutet, in einer immer wiederkehrenden Endlosschleife zu sein. Ausprobieren, ja, nein – nicht zufrieden sein, überlegen, wie es besser sein kann. Das ist nun schon ganz anders als noch vor einem oder eineinhalb Jahren“, meint Strenn.

Der Goodfeel-Kanzler

Auch Strenns eigene Rolle im Unternehmen hat sich zusehends gewandelt. Im ersten Jahr war er nahezu eine wandelnde One-Man-Verkaufsshow. Hat jede Woche 15 bis 20 Verkaufspräsentationen heruntergespult, um JobRocker zu präsentieren und das Businessmodell zu erklären. Bei 5-Mann-Betreiben ebenso wie bei großen ATX- und Dax-Konzernen.

Inzwischen ist das anders. Auch einige Weggefährten aus den Anfangstagen sind ausgeschieden. „Nur weil jemand am Anfang zu zweit mit jemand anderem in einem Büro gesessen ist und damals einen guten Job gemacht hat heißt das nicht, dass diese Person in einem Team von 40, 60 Leuten auch noch die richtige ist“ begründet Strenn den Wandel.

JobRocker Gründer und CEO Günther Strenn

JobRocker CEO Günther Strenn: "Trotz aller Befindlichkeiten müssen alle in die gleiche Richtung gehen."

Je größer das Team wurde, desto mehr sah er sich auch als eine Art „Goodfeel-Kanzler“, der sich um verschiedene Befindlichkeiten kümmern muss: Ein Mitarbeiter will nicht neben dem Fenster sitzen, der andere schon, dem einen ist es zu laut, der andere fühlt sich gestört, wenn jemand am Schreibtisch isst. „Je größer ein Unternehmen wird, desto mehr menschelt es. Man hat alle Facetten des menschlichen Lebens und man muss mehr und mehr darauf schauen, dass trotzdem alle in die gleiche Richtung gehen. Trotz aller Befindlichkeiten alles auf einen gemeinsamen Nenner bringen“, meint Strenn, der sich nun allerdings - auch auf Anraten des Investors - wieder mehr auf das Business konzentrieren will.

"Das Unternehmen wird einfach immer erwachsener. Die Challenge ist auch, den Leuten, die schon länger dabei sind, das Gefühl zu geben: Wir sind immer noch JobRocker, aber es muss jetzt andere Strukturen geben. So locker-flockig, dass jeder beim Anderen reincrashen kann und miteinander reden kann geht es jetzt auch nicht mehr. Auch wenn die Mitarbeiter alle noch stolz ihre JobRocker-Sweater tragen.“

15 plus 15 plus 15 plus ...

Die Reise geht nun in eine neue Richtung. Das Jahr 2018 bezeichnet Strenn als das wichtigste Jahr von JobRocker. Es gehe darum, das 15-Prozent-Wachstum Monat für Monat beizubehalten. Oder besser: durchzuhalten. Das oberste Ziel ist, zu Jahresende eine möglichst hohe Bewertung zu haben. Bei der aktuellen Wachstumsrate ist auch eine Bewertung von 50 Millionen vorstellbar. Je mehr desto besser, denn im ersten Quartal 2019 will JobRocker eine weitere Investment-Runde starten und sich dabei das Kapital für die nächsten Expansionsschritte holen.

Bisher hat sich JobRocker auf den deutschsprachigen Raum – die DACH-Region – fokussiert. Der Erfolg lässt Strenn aber mittlerweile weit über diese Grenzen hinausdenken. Bezahlt macht sich dabei, dass die Kerntechnologie, mit der Stellenbeschreibungen von Kunden automatisch mit Lebensläufen der Bewerber verglichen werden, von Anfang an auf Mehrsprachigkeit getrimmt wurde. Rein technisch kann man sich deren Funktion so vorstellen, dass alle in einem Lebenslauf vorhandenen Daten und die aus der Stellenbeschreibung etrahierten Daten gemeinsam mit den die Informationen aus dem Briefing der Kunden übereinandergelegt werden und so das beste Matching gefunden wird.


Wir haben eine Wundermaschine erfunden.

Dabei wird unter anderem auch bewertet, an welcher Universität ein Kandidat seinen Abschluss erworben hat – dahinter liegt ein Ranking von 6.000 Bildungsinstituten -, welche Sprachen und Zusatzausbildungen jemand vorweisen kann oder auch, ob die Person Start-up-Erfahrung mitbringt. „Wir haben da eine Art Wundermaschine entworfen, die extrem gute Ergebnisse ausspuckt“, sagt Strenn.

Doch die Technologie alleine ist nicht alles. Ehe dem Kunden eine Shortlist mit den besten Kandidaten übermittelt wird finden noch Erstgespräche via Skype, Facetime oder Google Hangout statt. „E-Recruting ist nicht wie E-Commerce ein Ersatz für etwas Vorhandenes, sondern eine Ergänzung. Auch wenn wir die coolste Technologie nutzen und viel mehr Daten analysieren können - die Interviews und die finale Auswahl macht immer noch ein Mensch, noch dazu einer, der aus dem Fachbereich kommt. Wenn wir zum Beispiel einen Full-Stack-Developer suchen, dann führt die Interviews jemand, der selbst IT studiert hat. Der spricht die gleiche Sprache und der Kandidat fühlt sich auch gleich ganz anders abgeholt“, erklärt Strenn das Konzept.

Think big

Schon heute könnte das Unternehmen in 23 verschiedenen Sprachen arbeiten, wobei rein technisch für jede neue Sprache ein Zeitaufwand von zwei bis vier Wochen notwendig wäre, um die volle Funktionalität zu ermöglichen. Und Strenn überlegt auch bereits, wie dieses Potenzial genutzt werden könnte. Eine Variante wäre eine Art Franchise-System, um JobRocker zum Beispiel auch in Frankreich auszurollen. Doch vermutlich wird es noch länger dauern, bis das Projekt JobRocker France in Angriff genommen wird.

„Eigentlich hatten wir bisher Skandinavien im Visier, um zu beweisen, dass unser System auch außerhalb des deutschsprachigen Raums funktioniert“, sagt Strenn. Ein Gespräch im Rahmen der letzten DLD-Konferenz ließ seinen Appetit allerdings noch weit größer werden. "Warum tut ihr euch das an mit diesen kleinen Ländern, die alle immer anders ticken? Jeder hat Angst davor, nach Amerika zu gehen. Dort gibt es einen riesigen Markt, der super easy zu covern ist, wo man prinzipiell Entrepreneurship liebt und der auch von der Sprache her sehr einfach zu bedienen ist", fragte ihn Amir Shevat, der für das US-Unternehmen Slack vor Ort war.


Wer fürchtet sich vor Amerika?

Der Gedanke schien Strenn zunächst überbordend, doch bald ließ er ihn nicht mehr los. „Wenn wir in einem Jahr, im ersten Quartal 2019, ein Series B Investment machen und dabei eine Menge Geld einsammeln, warum sollten wir dann nicht auch gleich nach Amerika gehen?“, fragt sich Strenn selbst und findet kaum mehr einen Grund, der dagegen sprechen würde.

Ganz im Gegenteil. Er formuliert bereits ziemlich konkret, wie ein Roll-Out in den USA ablaufen könnte: „In den USA bräuchte man von Anfang an zwei Büros. Einen Schlag Leute, die wissen, wie man an der Ostküste tickt, dann kann man Copy/Paste das gleiche an der Westküste machen. Das schöne ist: Unser Modell, unser System ist komplett auf Englisch. Wir müssen nur die Leute aufbauen.“

Von Wien aus dürfte das schlecht möglich sein, weiß Strenn. „Wenn wir in die USA gehen, dann würde ich daher selbst einmal voran ein halbes Jahr hingehen und das Geschäft aufbauen." In Boston, Chicago wo auch immer – es müsse nicht New York und auch kein Büro an der 5th Avenue sein. Strenn: „Wir sind nicht der Prestige-Headhunter, der Gespräche mit irgendwelchen Schicki-Micki-Kandidaten hat. Wir haben null Laufkundschaft, es kommen keine Kandidaten zu uns. Es ist daher völlig egal, in welchem Stadtteil wir sind. Wir brauchen eine gute öffentliche Anbindung. Die ist für unsere Mitarbeiter wichtig. Das funktioniert in Wien. Und das kann auch in Amerika so sein.“

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