Zu jeder Lösung ein Problem

Essay. "Freude und Jammer sind immer eine Frage der Perspektive" - Adam Bronstein.

Helmut A. Gansterer

Helmut A. Gansterer

"Aus der Entfernung ist alles zu klein, aus nächster Nähe alles verschwommen. Etwas scharf zu sehen, ist schwierig."

Adam Bronstein


Früher fragten Hochschüler, wie ideale Führungskräfte, die viel Geld scheffeln, beschaffen seien. Dies hat sich insofern geändert, dass heute auch schon Mittelschüler fragen. Und dabei mehr Freude machen. Sie wirken frischer als die älteren Studenten, auch deutlich selbstbewusster.

Absolventen von HAK und HTL haben begriffen, dass sie vielen Companys als Führungsnachwuchs fast lieber sind, da ihre Anfangsgehälter in einem günstigeren Verhältnis zur Praxis-Brauchbarkeit stehen. Ahnungslose Arbeitgeber glauben sogar, die jungen Maturanten seien auch leichter zu formen. Sie seien noch patzweicher Lehm, nicht gebranntes Steingut wie die Akademiker.

Dies ist freilich ein Irrtum. Gegen heutige Maturanten beider Geschlechter sind hochsemestrige Uni-Absolventen fügsam. Da hat sich in wenigen Jahren viel geändert, wie ich von Vorträgen und Diskussionen weiß.

Nicht untypisch ein HTLer, der mich fragte:"Was muss ich tun und lassen, um möglichst schnell eine bessere Führungskraft zu werden als die alten Säcke?"

Obwohl mir sein Angriffsgeist in Semantik, Syntax und Tonlage gefiel, gab ich sicherheitshalber eine pädagogisch-fade Antwort: "Sie müssen erstens lernen, schön zu sprechen. Unhöflichkeit gilt nur im Straßenbau als Stärke, nicht in den Beletagen. Zweitens sollten Sie sich vor Selbstübersteigerung hüten. Hybris galt den attischen Denkern als Anfang vom Ende." Da fiepte der Frechdachs leise und zog den Schwanz ein - und ließ mich mit schlechtem Gewissen zurück.

Meine Antwort war blöd gewesen, beinahe kriminell. Man darf kein frühes Feuer löschen. Mein Vater war da klüger. Er liebte den Satz: "Wer mit 17 kein Kommunist ist, hat kein Herz; wer mit 30 immer noch einer ist, kein Hirn." Der Jugend muss erlaubt sein, auszuschlagen. Umso schneller findet sie danach die klugen Mittelwege.

Ein Freund und Sexualtherapeut bestätigt dies auf seine Weise: "Die treuesten Ehemänner sind jene, die jung die Ozeane der Frauen pflügten. Sie leiden nicht an der Reue, etwas versäumt zu haben."

Die Lehre daraus für Unternehmer: Trennen Sie sich nicht vorschnell von frechen Frischlingen. Deren lockere Erde garantiert Schwung und spätere Festigkeit.

Die Hochschüler werden sich in diesem Text nicht wohlfühlen. Doch gibt es auch für sie einen tröstenden Tipp: "Ihr seid unverändert gefragt, falls Ihr einige Regeln beherzigt."

Im Einzelnen: Studiert zügig. Ein Absolvent, der kein Twen mehr ist, weckt wenig Begehren im Arbeitsmarkt. Es sei denn, er habe seine Semester einem fieberhaften Forschen geopfert. Oder dem frühen Ergreifen von Führungsaufgaben -egal, ob politisch in der Hochschülerschaft oder publizistisch als Herausgeber einer Uni-Zeitung oder ökonomisch mit dem Versuch eines Start-ups.

Davon unberührt und interessant bleiben Absolventen der höheren Mathematik und Physik und generell jener Fächer, die auch Multis nicht in eigenen, firmeninternen Kursen nachholen können.

Selbst in der ersten Digitalwelle vor dem Internet der 1990er-Jahre, als PC-Pionier Microsoft versuchte, der sensationellen Apple-Macintosh-GUI (Graphical User Interface mit Ikonen, Rollbalken und Maus) mit dem neuen Betriebssystem Windows hinterherzuhetzen, war man in den Fragen einer idealen Menschenführung noch tief in der Steinzeit.

Das galt auch für fortschrittliche Länder wie Österreich. Das komplette Handwerk mit seinen Meistern, Gesellen und Lehrlingen arbeitete noch nach dem übersichtlichen Motto "Anschaffen und Gehorchen". Erst die Vorgänger der 300.000 KMU (Klein- und Mittelunternehmen), die heute das glänzende Carbon-Rückgrat Österreichs in Wohlstandsschaffung und Renommee sind, adaptierten neben neuer Technik auch neues Führungsverhalten.

Ein Umsturz insofern, als die Tendenz von Diktatur zu Demokratie ging. Militärisches Gehabe wich zivilen Umgangsformen. Man verflachte die Hierarchien, installierte selbstständig operierende Teams und entdeckte, dass die Würde des Einzelnen sich positiv in den Bilanzen spiegelte.

Auf trend-Befehl durfte ich beide Hauptströmungen journalistisch begleiten. Im Silicon Valley den Sonnenaufgang des Digitalen. Daheim den Sonnenaufgang neuer Führungsphilosophien. Beides war erfrischend.

Und doch war es eine Qual für damalige Mittelschüler und Hochschüler, die sich auf eine ideale Karriere vorbereiten wollten. Denn die alten Jahrgänge der Firmen waren zerstritten. Der eine pries, was der andere verhöhnte. Wie in allen Umstürzen gab es ein Sprachgewirr wie beim Turmbau zu Babel. Oder, wie schottische Nationalökonomen seit jeher lehrten:"Things have to become worse before they become better."

Dass die Verhältnisse in Umstürzen schlechter werden müssen, ehe sie besser werden, zeigte sich tatsächlich wieder. Ein mühseliger Prozess von Säuberung, Mülltrennung und Neu-Installierung hob an. Heute ist er entschieden. Es gibt zwei Sieger: Digital über Analog in der Technik. Teilhabe über Diktatur in der Menschenführung.

Nach diesen Rückgriffen in die Wirtschaftsgeschichte wenden wir uns wieder den heutigen Mittelschülern und Hochschülern zu.

Ist ihnen heute leichter zu raten, wenn sie sich in der Schulzeit auf eine ideale Karriere vorbereiten wollen?

Viele Dienstleister, vor allem "Personal Trainers", bejahen dies, weil sie davon leben. Sie leisten auch gute Arbeit. Sie zeigen, wie man einzelne Fähigkeiten schärfen kann. Sie sind ihr Geld wert, denn es macht Sinn, ein perfektes Business English zu sprechen, das zu einer Lingua franca wurde, die man überall versteht. Es macht weiters Sinn, zu lernen, wie man vor vielen Menschen ruhig spricht (Rhetorik). Oder dass man in Verhandlungen besser zuhört, als selbst zu reden. Oder dass man körperlich fit und besser ernährt (derzeit die Majorität der persönlichen Dienstleister) die Couch-Potatos leichter besiegt.

Alles gewiss richtig. Und sicher auch hilfreich, wenn es um einen Einstieg ins Management geht. Aber keinerlei Hinweis, wenn es um hohe Managerränge oder Unternehmer geht. Dort sind die Eigenschaftsbündel zu komplex und widersprüchlich. Es gibt kein Charaktermuster als Original für Kopien.

Allerdings machte ich eine seltsame Entdeckung, von der ich bisher nichts las und daher befürchten muss, der Erste zu sein, der darüber schreibt. Als dankbarer HTL-Mödling-Absolvent (Fachrichtung Kraftfahrzeugtechnik) verfolge ich im Augenwinkel alle einschlägigen Unternehmer der Mobilität. Und entdeckte, dass sie Schöpfer neuer Produkte waren.

Wolfgang Eder, mit dem ich einst Linzer Kulturevents genoss, machte (über Nacht, wie mir schien) aus der voestalpine einen Hersteller komplexer Automotive Products und aus der einstigen Dreckschleuder eine Konditorei.

Bei Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz und KTM-Boss Stefan Pierer brauchte ich länger, um das Übergeordnete ihrer Produkte zu erkennen. Zunächst begriff ich den Energizer-Drink und die orangefarbenen Bikes nur als spezielle Erfolgsprodukte. Ehe ich ahnte, dass das fühlbar gute Teamwork der beiden Österreicher auch einen höheren Sinn hat. Sie bedienen mit teils eigenen, teils gemeinsamen Events (Formel 1, Moto-GP, Dakar) die neue Produktkategorie "Unterhaltung", deren Räume unermesslich sind.

Gestern noch war Unterhaltung ein Inbegriff der Sünde. Speziell alte Katholiken, die das Leben als leidvolle Prüfung und den Himmel als Lohn für Entsagung begriffen, sahen darin den Teufel. Tatsächlich aber beschert die neue Kategorie ein neues Leben vor dem Tod. Sie stützt die fröhlichen Elemente. Und ersetzt nach und nach mit allen weltweiten Events die Arbeitsplätze, die täglich in Banken und öffentlichen Diensten verloren gehen.

Umso ruhiger können sich alle anderen Industriezweige entwickeln.

Man kann den Kindern, Schülern und Studenten nicht sagen, wie man ein neuer Eder, Mateschitz und Pierer wird. Aber es lässt sich sagen, wie man garantiert keiner wird.

Wir hören heute viele Mitbürger nur noch jammern. Das sind nicht allein die üblichen schwarzen Kerzen, die sich selbst entzünden, um Finsternis zu erzeugen. Es sind auch viele darunter, die gestern noch lachten, aber unter dem grotesk einseitigen Bad-News-Gewitter der Tageszeitungen und TV-Sender ihre Zuversicht verloren.

Ihnen empfehle ich den deutschen Kabarettisten Dieter Nuhr. Bis dahin hielt ich unsere Stars für die weltbesten. Sie drehen sich aber derzeit im Kreis. Nur Nuhr, ein Weltreisender, lächelt gewitzt über uns als Jammerer in einem Paradies, die hinter jeder Lösung ein Problem sehen.

Ein erstklassiger Unternehmer aber sieht in jedem Problem das Potenzial einer gewinnbringenden Lösung.


Der Essay ist der trend-Ausgabe 26-27/2018.

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