Renate Anderl: Viele Vorhaben - wer soll die Party bezahlen?

Die vier Millionen Beschäftigten im Land brauchen vor allem eines: Gerechtigkeit.

Renate Anderl: Viele Vorhaben - wer soll die Party bezahlen?

Renate Anderl, Präsidentin der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte (AK)

Die Arbeiterkammer hat bereits im Vorfeld der Nationalratswahl in acht wesentlichen Bereichen, die das Leben der Menschen im Land betreffen, Forderungen an eine künftige Regierung formuliert und konkrete Vorschläge gemacht.

Das Thema Arbeit ist für die AK ein zentrales. Denn der Druck auf die arbeitenden Menschen steigt ständig, Entlastungen oder Ausgleich waren bisher nicht in Sicht. Wesentliche Forderungen der AK an eine neue Regierung waren daher unter anderen planbare Arbeitszeiten, die leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche, die Stärkung der Mitbestimmung und Demokratie in der Arbeitswelt. Angesichts der drohenden Konjunkturabschwächung sind auch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nötig, um die negativen Folgen abzuwenden. Hier wären bessere Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche, das Recht auf Weiterbildung oder die "Chance 45" als Weiterentwicklung der Aktion 20.000 geeignete Instrumente.

Und was davon ist nun im Regierungsprogramm enthalten? Die AK hat ihre Forderungen dem Programm gegenübergestellt und einem Gerechtigkeitscheck unterzogen. Was die Arbeitswelt betrifft, ist das Ergebnis für uns recht klar: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind nicht die Hauptprofiteure dieses Programms. Das ist bedauerlich, denn der Druck auf die arbeitenden Menschen wird sich infolge des Strukturwandels durch Digitalisierung und Klimakrise in den kommenden Jahren noch verstärken.

Bei vielen Punkten wird es auch von der konkreten Umsetzung abhängen, wie die einzelnen Maßnahmen zu bewerten sind, denn aus dem Regierungsprogramm sind in vielen Bereichen keine Details herauszulesen. Außerdem ist die Finanzierung in vielen Bereichen offen. Damit bleibt die große Frage: Wer soll die Party bezahlen?

So ist beim Arbeitsrecht die angekündigte "Modernisierung" nicht konkretisiert. Erklärt wird, dass sie auf Basis eines "breiten gesellschaftlichen Dialogs unter Einbindung aller Stakeholder (Sozialpartner, Zivilgesellschaft etc.)" erfolgen soll. Die AK sieht das grundsätzlich als Chance für eine positive Weiterentwicklung und wird sich intensiv an diesem Dialog beteiligen.

Sehr vage formuliert sind auch die Evaluierung der Entgeltfortzahlung, die Prüfung von Zeitkorridorund Sabbatical-Modellen oder die Modernisierung der Berufskrankheitenliste. Andere Bereiche sehen wir ziemlich problematisch, darunter die angekündigte Orientierung der "Entbürokratisierung" von Arbeitsinspektion und ArbeitnehmerInnen-Schutz am Grundprinzip "Beraten statt strafen".

Unter den wenigen konkret in Aussicht gestellten Punkten bewerten wir manche klar positiv, insbesondere den Lückenschluss bei den kollektivvertraglichen Mindestlöhnen und die Schaffung eines bundeseinheitlichen Berufsgesetzes für soziale Arbeit.

Bis auf wenige Detailmaßnahmen (allerdings ohne Budgetierung) gibt das Programm keine Antworten auf die Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt. Es fehlen ausreichend budgetär unterlegte Maßnahmen, ebenso die Reduktion der Langzeitbeschäftigungslosigkeit oder eine Stärkung der Beratungs- und Vermittlungskapazität des AMS. Mit der Herauslösung der Arbeitsmarktpolitik aus dem Sozialministerium werden zusätzliche Schnittstellen zwischen Arbeitsmarktpolitik, Altersversorgung und Gesundheitspolitik geschaffen.

Positiv hervorzuheben ist das Bekenntnis der Regierung zur Sozialpartnerschaft, das sich an mehreren Stellen wiederfindet. Ich begrüße das deshalb, weil der Weg des Ausgleichs Österreich in der Vergangenheit immer vorangebracht hat. Türkis-Blau hat diesen Weg verlassen, das war schlecht. Wir werden die neue Regierung hier beim Wort nehmen und uns aktiv einbringen, denn fast vier Millionen Beschäftigte im Land brauchen vor allem eines: Gerechtigkeit.


Zur Person

Renate Anderl ist Präsidentin der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte (AK)


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