100 Tage Kurz: Volle Kontrolle
Harmonisch und auf einer Linie: So will sich die Regierung präsentieren. Der Aufwand, den sie dafür betreibt, ist beachtlich.
Martina Bachler
Es gibt einen Begriff, den wir in den vergangenen Tagen so oft gehört haben, dass wir ihn eigentlich schon kaum noch hören können. Er klingt modern und dynamisch, er klingt nach internationaler Erfahrung und nach neuen Machthabern. Und er zeigt vielleicht auch, was das Problem mit dieser Regierung ist. Der Begriff nennt sich "Message Control".
Gemeint ist damit, dass nur nach außen dringt, was nach außen dringen soll, und zwar zum exakt richtigen Zeitpunkt. Diesen Wunsch hat die ÖVP-FPÖ-Regierung natürlich mit jeder ihrer Vorgänger-Regierungen gemeinsam. Doch seine Umsetzung fällt dieses Mal doch etwas spezieller aus, und das liegt am Politikverständnis von Sebastian Kurz.
Mit dem gleichen Machtbewusstsein, mit der er vor knapp einem Jahr die ÖVP übernahm und sie, von einem kleinen Team straff organisiert, zum Wahlsieg pushte, hat er seine Regierung nach diesen Vorstellungen zusammengeschweißt. Das Zauberwort dabei heißt Einigkeit. Wer öffentlich von der Regierungslinie abweicht, wird - wie Sozialministerin Beate Hartinger-Klein - sofort zurückgepfiffen oder kommt für manche Jobs nicht mehr in Frage. Alles, was nach außen kommuniziert werden soll, durchläuft Freigabeprozesse, die bis zur Regierungsspitze reichen können. Woche für Woche ist vorgegeben, welche Themen die Regierung platzieren will. Oder sie schreibt sich ihre Geschichten selbst, wie es das Innenministerium mit einer Schmusereportage über eine Abschiebung versucht hat.
Demonstrative, befremdliche Harmonie
Machttechnisch ist das fast nachvollziehbar. Niemand vermisst das Hickhack der großen Koalition. Vorhaben lassen sich auch leichter umsetzen, wenn nicht laufend dagegen geschossen wird, weil es sich parteipolitisch gerade anbietet. Und dass mit lauter Leuten, die keine Regierungserfahrung haben, die Gefahr kommunikativer Ausrutscher besteht, ist auch klar. In welcher Dimension Kurz möglichen Verwerfungen strukturell und kulturell vorgebaut hat, ist allerdings beachtlich. Und befremdlich.
Befremdlich ist zum Beispiel, wie viel Vertrauen eine Regierung einfordert, bei der die Regierungsspitze ihren Ministern offenbar nur wenig vertraut. Ihr Einfluss ist durch die neuen Generalsekretäre, die die Beamtenschaft abschotten sollen, geschwächt. Zumindest für die ÖVP gilt, dass die Parteispitze bei der Besetzung der Kabinette mit guten Tipps half und somit über Vertrauensleute verfügt. Auch auf FPÖ-Seite soll viel "koordiniert" werden.
Ob die vorgegebene Einigkeit fortwirkt, wird von zwei Dingen abhängen: davon, wie lange die FPÖ glaubt, dass sie mitspielen muss, und auch Maßnahmen mitträgt, die ihrer Wählerschaft komplett zuwiderlaufen. Und davon, wie es sich mit "Message Control" in Krisensituationen verhält.
Solange alles gut läuft, ist es leicht, alle auf Linie zu halten. Solange nur die FPÖ schlingert, kann die ÖVP dennoch auf die "gemeinsamen Taten" verweisen. Doch je schwieriger die Situation, desto höher wird der Druck und auch die Bereitschaft einzelner, von vorgekauten Phrasen abzuweichen.
Das kann das Vertrauen in eine Regierung schwächen. Es kann aber auch genau das Gegenteil bewirken - wenn darauf Lösungen folgen.
Der Kommentar ist der trend-Ausgabe 11/2018 vom 16. März 2018 entnommen-