"Die Steuerreform ist kein großer Wurf"
Gastkommentar von Christian Keuschnigg: Die Reform bringt punktuelle Verbesserungen. Die "heiligen Kühe" der heimischen Steuerpolitik bleiben aber unangetastet. Viele Begünstigungen gehören abgeschafft, dafür die Tarife deutlicher reduziert.
Christian Keuschnigg, Professor für Nationalökonomie an der Universität St. Gallen und Leiter des Wirtschaftspolitischen Zentrums in Wien.
Die kalte Progression hat still und heimlich die Steuern erhöht. Jetzt ist es wieder Zeit für eine Entlastung. Die geplante Steuerreform soll die Last um 4,5 Milliarden Euro* (Anm. der Kommentar wurde vor Bekanntgabe der Details zur Steuerreform verfasst) senken. Ein Drittel ist mit dem Familienbonus, dem Steuerabsetzbetrag von bis zu 1.500 Euro pro Kind und Jahr, seit Jahresbeginn umgesetzt. Dass die Regierung ihre "Steuerreform" mit nachhaltiger Budgetdisziplin absichern will, ist gut. Ein großer Wurf ist sie aber nicht.
Zuerst will die Regierung den Geringverdienern entgegenkommen und die Krankenversicherungsbeiträge um 700 Millionen Euro absenken. Aber diese Beiträge sind keine Steuer, sondern der Preis für eine Versicherungsleistung. Diesen Preis zu senken, verschleiert die Kostentransparenz.
Die Bürger müssen die wahren Kosten kennen, sonst ist die nächste Kostenlawine vorprogrammiert. Ja, die Sozialbeiträge belasten die Geringverdiener über Gebühr. Es ist gut, wenn die Regierung aktiv wird. Bessere Instrumente wären aber die Anhebung der Sozialhilfe bis hin zu bar ausbezahlten Negativsteuern, um die kleinen Realeinkommen zu schützen.
Auch die Erhöhung des Werbekostenpauschale und der Kleinunternehmergrenze entlastet Geringverdiener. Viele werden keine Steuererklärung mehr abgeben müssen und sparen nicht nur Steuergeld, sondern auch noch Zeit und Aufwand. Die Finanzämter können ebenfalls Arbeit und Verwaltungskosten einsparen.
Zudem will die Regierung einen ökologischen Anreiz setzen und Fahrzeuge mit geringem Schadstoffausstoß steuerlich besser stellen. Eine Alternative wäre die Abschaffung der Pendlerpauschale gewesen, die den umweltbelastenden Individualverkehr begünstigt.
Erst für 2021 in Aussicht gestellt ist eine Senkung des Tarifs der Lohn- und Einkommensteuer in den unteren drei Steuerstufen um bis zu fünf Prozentpunkte, von der auch die Besserverdienenden bei den ersten Teilen ihres Einkommens profitieren.
Es gibt also punktuelle Verbesserungen. Viel wichtiger sind jedoch die Baustellen, die von der Regierung nicht angepackt werden. Die Abschaffung der kalten Progression ist verschoben. Sie führt zu automatischen Steuererhöhungen, ganz ohne demokratischen Beschluss. So wird es schwer, die Steuerquote nachhaltig zu senken. Sie ist auch ungerecht, weil sie die weniger gut Bezahlten ganz ohne Zunahme deren Kaufkraft in höhere Steuerklassen rutschen lässt, die nur für Besserverdienende gedacht sind.
Um diese Fehlentwicklung auszugleichen, wird alle vier bis fünf Jahre eine Steuerreform notwendig. Das begünstigt eine erratische Steuerpolitik.
Eine Unzahl von Begünstigungen bei der Einkommens- und Mehrwertsteuer haben unklare bis kontraproduktive Verteilungswirkungen.
Und warum werden die Steuervergünstigungen nicht mutiger angepackt? Die Einnahmenausfälle machen etwa ein Drittel des Aufkommens der Einkommensteuern aus und erzwingen damit höhere Steuersätze. Die Begünstigung des 13. und 14. Gehalts ist ein internationales Kuriosum und hat keine nachvollziehbare Begründung. Klar könnten die Bürger weiter Urlaubs- und Weihnachtsgeld beziehen.
Es würde einfach genau so besteuert wie die anderen Monatsgehälter. Allein damit könnten die Steuersätze in jeder Stufe um etwa vier Prozentpunkte sinken. Daneben gibt es eine Unzahl weiterer Begünstigungen bei der Einkommens- und Mehrwertsteuer, die das Aufkommen mindern und hohe Steuersätze erfordern. Sie haben unklare bis kontraproduktive Verteilungswirkungen und oft zweifelhafte Lenkungseffekte - und treiben die Bürokratiekosten bei Staat und Steuerzahlern in die Höhe.
Eine Entrümpelung würde das Steuersystem einfacher und transparenter, gerechter und leistungsfreundlicher machen, weil die Steuersätze niedriger sein könnten. Man müsste nur hart gegen einige Interessengruppen kämpfen, die viel gewinnen können, indem sie für ihre Klientel Begünstigungen durchsetzen. Die Begünstigung der einen Gruppe ist wieder Legitimation für andere, ebenfalls eine Begünstigung zu fordern. Am Ende hat jeder das Gefühl, zu viel zu zahlen und zu wenig zu bekommen.
Es ist Zeit, einige "heilige Kühe" der Steuerpolitik zu schlachten und mit vielen Vergünstigungen Schluss zu machen. Dann könnten die Steuersätze wesentlich geringer sein. Die Steuerehrlichkeit wäre besser und das Vertrauen zwischen Bürgern und Staat höher.
Zur Person
Christian Keuschnigg ist Professor für Nationalökonomie an der Universität St. Gallen und leitet das Wirtschaftspolitische Zentrum in Wien, www.wpz-fgn.com. Von 2012 bis 2014 war er Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts IHS.
Der Gastkommentar ist der trend.PREMIUM-Ausgabe 15-16/2019 vom 12. April 2019 entnommen.