Ein starker Sozialstaat ist keine Schande
Leitartikel von Othmar Pruckner. Für eine drastische Senkung der Steuerquote müsste der Sozialstaat massiv rückgebaut werden. Das ist ebenso unklug wie unrealistisch.
Othmar Pruckner - trend-Redakteur für Wirtschaft und Politik
Sebastian Kurz, Spitzenkandidat einer runderneuerten ÖVP, will die Steuer- und Abgabenquote auf 40 Prozent senken. "Hurra!", rufen da die Steuerzahler und -innen. Doch: Wer A sagt, muss auch B sagen. Um das 40-Prozent-Ziel zu erreichen, müsste man im Gegenzug zwölf Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Das ist ein saftiger Brocken. Woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Kurz deutete unlängst an, dass "Subventionen und Förderungen" gekürzt werden sollten. Da kann er gleich einmal bei seiner eigenen Klientel anfangen: Die Bauern sind höchst subventioniert. Über Förderungen für große Unternehmen und kleine Gewerbetreibende lassen wir sowieso nichts kommen. Die Pendlerpauschale kostet viel Geld. Wir kassieren für Elektroautos und einen "Bonus" dafür, dass wir Handwerker legal beschäftigen. Goldhaubenvereine und andere Kulturträger werden alimentiert.
Vom Förderparadies Österreich profitieren viele. Was macht Sinn, was nicht? Hinter jeder Förderung steht eine Lobby, und die erklärt uns, warum wir auf staatliche Hilfe für Ölheizungen ebenso wenig verzichten können wie auf jene für Windparks. Subventionen zu streichen klingt gut. Aber ob man damit auch nur eine Milliarde Euro sparen kann, ohne eine Revolution anzuzetteln, darf bezweifelt werden.
Außerdem, und das hat Kurz im "Innovationsbericht_sozial" angekündigt, will er den "überdehnten" Sozialstaat redimensionieren. Das gefällt aufs Erste vielen. Endlich weg mit dem "Dickicht" an überzogenen Sozialleistungen! Endlich aufräumen mit Sozialschmarotzern, die nur auf der faulen Haut und der Allgemeinheit auf der Brieftasche liegen! Gern stimmt man ein in diesen Chor der Fleißigen und Tüchtigen. Doch: Die Dinge sind oft nicht so einfach, wie sie klingen. Natürlich gibt es Sozialbetrüger, es gibt Korruption im Großen und Gier im Kleinen.
Good Governance allein macht das Kraut ebenso wenig fett wie eine verminderte Mindestsicherung für Migranten.
Was da hilft, ist "Good Governance". Doch die allein macht das Kraut ebenso wenig fett wie eine verminderte Mindestsicherung für Migranten. Um die nötigen Milliarden zu sparen, bräuchte es schon eine schmerzliche Verschmälerung sämtlicher Leistungen. Machen wir uns doch nichts vor: Der "Sozialstaat", das sind wir alle. Wir alle profitieren von ihm und niemand will amerikanische Zustände. Wir wollen nicht nur sichere (und gute) Pensionen, sondern auch Sicherheit im Inneren und nach außen. Wir verlangen Schutz vor Umweltkatastrophen und bitte auch Maßnahmen gegen den Klimawandel.
Es braucht dringend Geld, um die Migranten, die nun schon einmal da sind, an unsere Werte und last, but not least an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Wir fordern Geld, um mehr Lehrerinnen und Lehrer anstellen zu können, um neue Betreuungsplätze, neue Lernräume einrichten zu können. Es braucht Geld, um die Universitäten und Fachhochschulen - für unseren kostbaren Nachwuchs! - aufzurüsten. Es braucht Geld für Forschung und Innovation. Es braucht frisches Geld für humane Altenbetreuung, für das Gesundheitssystem insgesamt.
Nicht eine Beschneidung, sondern eine Ausweitung diverser sozialstaatlicher Leistungen ist unumgänglich.
Natürlich: Im Gesundheitssystem (und nicht nur da!) sind Doppelgleisigkeiten und Verschwendungssucht die Regel. Weniger Medikamente auf Rezept, Selbstbehalte, weniger "Akutbetten", weniger Kuren, mehr Vorsorge, all das wäre sinnvoll und hört sich gut an - aber auch nur, wenn es um "die anderen" geht. Man selbst will dann lieber doch nicht zehn Wochen auf eine MR-Untersuchung warten müssen. Machen wir uns nichts vor: Nicht eine Beschneidung, sondern eine Ausweitung diverser sozialstaatlicher Leistungen ist unumgänglich.
Wäre Sebastian Kurz der ehrliche Politiker, der er vorgibt zu sein, müsste er sagen:"Wir brauchen keinen zurechtgestutzten, sondern einen starken, leistungsfähigen Staat. Die Herausforderungen sind gewaltig, deshalb investieren wir in die Zukunft." Er sollte nicht sagen: "Wir senken Steuern", sondern: "Wir werden das Geld, das wir von allen ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern einsammeln, zielgerichteter und klüger verwenden als bisher."
Fazit: Die angepeilten 40 Prozent Steuerquote sind theoretisch erreichbar. Für Durchschnittskonsumenten wie Durchschnittsunternehmer bliebe dann aber, da viele Leistungen wie Förderungen "privatisiert" werden müssten, nicht mehr, sondern am Ende des Tages weniger Geld im Börsel. Ob dies dem Exekutor dieser Rosskur sowie dem Standort Österreich wohl bekäme? Auch das darf bezweifelt werden.
Der Leitartikel ist im trend. Ausgabe 23/2017 vom 9. Juni 2017 erschienen.
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