Schutzengel Staat: Muss Europa wie China werden?

Braucht Europas Wirtschaft mehr Protektionismus? Wohl nicht! Weniger Wettbewerb hat noch nie zu mehr Innovation geführt, meint trend-Chefredakteur Andreas Lampl.

trend-Chefredakteur Andreas Lampl

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Muss Europa nun wie China werden? Will heißen: Sollen EU-Staaten nach dem Vorbild der autoritären Volksrepublik wichtige Industrien planmäßig fördern und ihre Märkte ein Stück weit abschotten? Braucht Europa womöglich mehr staatlichen Protektionismus?

Die "Nationale Industriestrategie 2030", die der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) kürzlich vorlegte, provoziert Fragen wie diese. Es scheint, als wären die Hüter der Marktwirtschaft verunsichert durch den ökonomischen Erfolg, der von chinesischen Politkadern orchestriert wird, und durch den Trumpelpfad, den die USA ohne Rücksicht auf Verluste derzeit eingeschlagen haben.

Es gibt in diesem Zusammenhang eine ganze Reihe sehr legitimer Überlegungen. Europa muss selbstverständlich für Waffengleichheit seiner Unternehmen in Zeiten um sich greifender Handelskriege sorgen. Politik muss nicht tatenlos zusehen, wie staatlich hoch subventionierte chinesische Konzerne hier auf Einkaufstour gehen. EU-Länder können für sich natürlich Schlüsselindustrien wie Artifical Intelligence oder Biotechnologie definieren, auf die sie besonderes Augenmerk legen. Das Verbot der Zugsparten-Fusion bei Siemens und Astolm, die als Gegengewicht zu den übermächtigen chinesischen Bahnherstellern gedacht war, darf zu Debatten führen, ob im aktuellen EU-Wettbewerbsrecht das globale Konkurrenzumfeld ausreichend berücksichtigt ist. Und ja, es braucht Reformen im Steuersystem, damit auch digitale Wirtschaftszweige ihren Beitrag zur Finanzierung öffentlicher Haushalte leisten.


Politisch einflussreiche, aber schlecht wirtschaftende Konzerne könnten geschützt werden.

Schon problematischer sind staatliche Beteiligungsfonds, die im Ernstfall bei als wichtig eingestuften Unternehmen einsteigen, wie sie Altmeier anregt. So ein Fonds ist ja künftig auch unter dem Dach der neuen österreichischen Staatsholding ÖBAG vorgesehen, damit im Rahmen der Strategie "Austria first!" Verkäufe ins Ausland verhindert werden können. Der deutsche ifo-Chef Clemens Fuest formuliert zu Recht die Sorge, dass insbesondere politisch einflussreiche, aber schlecht wirtschaftende Konzerne geschützt werden könnten.

Noch gefährlicher ist, wenn in der Debatte über staatliche Schutz-und Hilfsprogramme übersehen wird, dass sich die Weltwirtschaft in einem Strukturwandel befindet. Für extrem exportabhängige Volkswirtschaften wie Deutschland, Österreich oder die Benelux-Staaten wird das Klima in jedem Fall rauer. Es ist zu kurz gegriffen, nur auf die traditionellen Leitbetriebe zu achten, die derzeit noch die Beschäftigung stützen. Welche Konzerne der deutsche Wirtschaftsminister namentlich als schützenswert auflistet, wirkt ziemlich retro: Deutsche Bank, Thyssen-Krupp, Siemens, die großen Automarken usw. Das Beispiel der Autoindustrie zeigt aber, dass sich die notwendige Veränderung von deren Geschäftsmodell durch politische Eingriffe nicht stoppen lässt. Europas Trümpfe sind die laufende Steigerung der Produktivität, was Bildung und Qualifizierung voraussetzt, und permanente Innovation, die ganz sicher nicht durch weniger Wettbewerb entsteht.

Dass "in Deutschland kaum noch neue Großkonzerne entstehen", wie Peter Altmeier beklagt, liegt nicht an mangelnder staatlicher Förderung. Amazon, Google und Apple wurden in kurzer Zeit zu Giganten, weil sie sich im Wettbewerb durchgesetzt haben.


In Europa können neue Unternehmen in Zukunftstechnologien nicht schnell genug wachsen.

Wir haben in Europa vielmehr das Problem, dass neue Unternehmen in Zukunftstechnologien nicht schnell genug wachsen können. Was mannigfaltige Gründe hat. Einer davon, nicht der entscheidende, ist die starke Fokussierung auf traditionelle Branchen. Ein anderer, der deutlich mehr bremst, sind unflexible Arbeits- und Sozialgesetze sowie eine Bürokratie, die den Freiraum für Entrepreneure über Gebühr einengt. Und nicht zuletzt fehlt es an wirkungsvollen Finanzierungsstrukturen.

Die kann Politik aber nicht ersetzen. Sie kann und soll wissensintensive Schlüsseltechnologien festlegen, Forschung fördern, vor allem den möglichst breiten Zugang zu den Ergebnissen, und Investitionen begünstigen. In Österreich bieten Initiativen wie Biotech- ,Automobil- oder Kunststoffcluster brauchbare Ansätze für sinnvollen Know-how-Transfer. Direkte Subventionen, die in den Wettbewerb eingreifen, sind hingegen leistungsfeindlich. Größte Vorsicht ist darum bei der Förderung einzelner Unternehmen oder Produktionsstätten geboten, wie sie Deutschland beispielsweise bei Batteriezellen für Elektromotoren überlegt.

Auch protektionistische Antworten auf die nationalistische Wirtschaftspolitik der Chinesen wollen gut überlegt sein. Denn China ist immer noch viel mehr Chance als Risiko für Europas Industrie.


Der Kommentar ist der trend-Ausgabe 07/2019 vom 15. Febraur 2019.

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