Das Ende der Banken - reformiert das Finanzsystem!

Analyse. Birgt Fintech die Lösung für die Probleme im Finanzwesen? Das Potenzial ist da. Aber ohne grundlegende politische Reformen werden auch Blockchain & Co. keine Verbesserungen bringen.

Das Ende der Banken - reformiert das Finanzsystem!

Jonathan McMillan

Die Finanzbranche ist in Aufruhr. Unter dem Begriff "Fintech", einem Wort amalgam aus "Finanz" und "Technologie", werden im Wochentakt neue Innovationen vorgestellt. Kaum ein Monat vergeht, in der nicht ein Jungunternehmer das Ende der Banken verkündet. Ja, mittlerweile wollen selbst Banken nicht mehr so richtig Banken sein. Sie errichten Innovationslabore, werkeln an der Blockchain, und statt des klassischen Bankberaters lassen sie zunehmend Roboter Anlageentscheidungen tätigen.

Weshalb also ein Buch schreiben, das "Das Ende der Banken" fordert? Weil all die technologischen Entwicklungen unser Finanzsystem noch mehr in Schieflage bringen.

Es wird oft übersehen, dass die Digitalisierung des Finanzsektors schon lange vor der jüngsten Euphorie um Bitcoin begonnen hat. Die erste Fintech-Welle startete bereits in den 1970er-Jahren und fand ihren Höhepunkt um die Jahrtausendwende. Schon damals predigten viele, welch unglaublicher Segen die Digitalisierung für das Finanzwesen sei.

Die Begrifflichkeiten waren aber noch anders. Niemand redete von Fintech, sondern alle schwärmten von "Finanzinnovationen". Noch bis kurz vor Ausbruch der Krise prognostizierten Finanzexperten ein goldenes Zeitalter: Finanzinnovationen würden das Finanzsystem effizienter, transparenter, und stabiler machen.


Noch kurz vor Ausbruch der Krise prognostizierten Finanzexperten ein goldenes Zeitalter - das Gegenteil trat ein.

Wie wir heute wissen, trat das Gegenteil ein. Die hochgelobten Finanzinnovationen waren im Hintergrund eng mit den Banken verquickt. Finanzielle Risiken wurden nicht auf viele Schultern verteilt, sondern türmten sich außerhalb des Sichtfelds der Aufsichtsbehörden im Bankwesen auf.

Die meisten Ökonomen sahen das alles nicht. Vielmehr riefen sie das Ende der großen Finanzkrisen aus und sprachen von der "Great Moderation". Ein verhängnisvoller Irrtum, wie sich 2008 zeigte.

Bevor wir also in die Lobeshymne auf Fintech einstimmen, sollten wir uns fragen, wieso das damals mit den Finanzinnovationen so mächtig schiefgegangen ist. Warum spielte sich die Digitalisierung im Finanzsystem so anders ab als im Transportgewerbe, bei den Medien oder im Tourismus? Wieso wurden Technologien im Finanzwesen dazu eingesetzt, der Gesellschaft Schaden zuzufügen, statt Nutzen zu stiften? Warum konnten sich die etablierten Banken so komfortabel im Sattel halten, statt ernsthaft von Branchenneulingen herausgefordert zu werden?

Die Technologie allein gibt auf diese Fragen keine Antworten. Das fundamentale Problem unseres Finanzsystems ist politischer Natur. Das Bankwesen steht nämlich quer zu unserem System der Marktwirtschaft: Banken genießen umfassende staatliche Privilegien, sind aber auch unzähligen Regulierungen unterworfen - von einem freien und dynamischen Wettbewerb ist auf dem Finanzmarkt nicht die Rede.


In der Geschichte gab es immer wieder unkontrollierte Zusammenbrüche von Banken.

Die politische Sonderstellung des Bankwesens ist der Fragilität des Finanzsystems geschuldet. In der Geschichte gab es immer wieder unkontrollierte Zusammenbrüche von Banken. Solche Bank Runs plagen das Bankwesen seit seinen Anfängen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben weltweit Bankenpaniken das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem in seinen Grundfesten erschüttert. Die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre veranlasste Regierungen, einen strengen Ordnungsrahmen zu errichten, um die Fragilität des Bankwesens in den Griff zu kriegen.

Staatliche Garantien wie Einlagenversicherungen und Zugang zu Zentralbankliquidität sollten fortan Bankenpaniken verhindern. Gleichzeitig wurden Banken streng reguliert und unter eine staatliche Aufsicht gestellt, damit die Finanzinstitute die staatlichen Privilegien nicht missbrauchten.

Dieser "Zuckerbrot und Peitsche"-Ansatz funktionierte lange Zeit gut. Über weite Teile des 20. Jahrhunderts gab es keine Bankenpaniken. Die Aufsichtsbehörden waren über Jahre hinweg erfolgreich darin, den Risikoappetit der Banken zu zügeln - bis die erste Fintech-Welle die Wirksamkeit des Ordnungsrahmens zerstörte.


Eine digitale Zeitenwende im Finanzwesen.

Die digitale Revolution markiert eine Zeitenwende im Finanzwesen. Im Industriezeitalter mussten alle Finanzverträge mit Papier und Stift festgehalten werden. Das änderte sich mit dem Aufkommen von IT radikal. Finanzinstitute konnten nunmehr alle Transaktionen elektronisch registrieren. Mit nur ein paar Mausklicks konnte ein verbriefter Kredit von einer Firma zu einer anderen übertragen werden. Computer und elektronische Kommunikationsnetzwerke führten dazu, dass sich die Finanzverträge aus den Bankenbilanzen herauslösten - mit desaströsen Folgen für die Wirksamkeit der Bankenregulierung.

Die neuen Finanzinnovationen wurden nämlich nur am Rande dafür verwendet, den Endkunden bessere Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Zur Hauptsache wurden die neuen Technologien vielmehr dafür eingesetzt, einschneidende Regulierungen zu umgehen. Dadurch traten neue Formen des Bankwesens in Erscheinung. Es formte sich ein Netzwerk von Finanzinstituten und Zweckgesellschaften, das nach Ausbruch der Finanzkrise als "Schattenbankensektor" bezeichnet wurde.

Keine Lehren aus der Vergangenheit

Dieses undurchsichtige Firmengeflecht übernahm dieselben Funktionen wie die traditionellen Banken. Und wie im unregulierten Bankwesen des frühen 20. Jahrhunderts türmten sich auch im Schattenbankensektor zu Beginn des 21. Jahrhunderts gewaltige Risiken auf. 2007 kam es dann, wie es kommen musste: Es ereignete sich eine verheerende Panik im Schattenbankensektor. Diese schwappte rasch auf die etablierten Bankinstitute über, und nur dank staatlichen Rettungsaktionen von noch nie dagewesenem Ausmaß konnte das Finanzsystem vor dem totalen Kollaps bewahrt werden.

Was geschehen ist, ist geschehen. Aber wurden wenigstens die richtigen Lehren aus der Vergangenheit gezogen? Leider nein. Den vollmundigen Ankündigungen nach der Finanzkrise zum Trotz wurde die Regulierung nicht grundlegend überarbeitet. Statt das Problem an der Wurzel zu packen, wurde im gleichen Stil weitergewurstelt.

Mit dem Festhalten am "Zuckerbrot und Peitsche"-Ansatz aus dem Industriezeitalter werden die staatlichen Garantien im Finanzwesen immer umfassender und die Regulierung stetig komplexer. Das sorgt dafür, dass auf dem Finanzsektor das letzte bisschen Wettbewerb erstickt wird.


Im 21. Jahrhundert gibt es keinen Platz mehr für Banken. Es ist höchste Zeit, daraus die politischen Konsequenzen zu ziehen.

Kein noch so großer Qualitätsvorsprung oder Kostenvorteil eines jungen Fintech-Start-ups kann diese schwerwiegenden Systemfehler wettmachen. Wie vor der letzten Finanzkrise wird es schließlich am profitabelsten sein, Teil des (Schatten-)Bankengeflechts zu werden, dabei möglichst hohe Risiken einzugehen und satte Gewinne einzufahren, bevor es zur nächsten Systemkrise kommt - es ist keine Überraschung, dass sich schon so manches Fintech-Jungunternehmen als Zulieferer den etablierten Banken angedient hat.

Wir stehen somit am Scheideweg. In den letzten Jahrzehnten haben wir erleben müssen, was ein entfesseltes Bankenwesen mit modernen Finanztechnologien anrichten kann. Wir sehen jedoch auch, wie viel Potenzial in Fintech steckt. Mit elektronischen Handelsplattformen, Kreditalgorithmen und modernen Kommunikationsnetzen ist es längst möglich, ein dezentrales und marktbasiertes Finanzsystem Wirklichkeit werden zu lassen.

Wie sich nun die Digitalisierung im Finanzwesen entfaltet, hängt am Ende von den politischen Rahmenbedingungen ab. Der alte Ordnungsrahmen - das "Zuckerbrot und Peitsche"-Modell - ist für das digitale Zeitalter denkbar ungeeignet.

Ein neuer Ansatz ist gefragt. Im Industriezeitalter konnten systemische Risiken noch kontrolliert werden, im digitalen Zeitalter ist das nicht mehr möglich. In einer Finanzarchitektur für das 21. Jahrhundert dürfen daher systemische Risiken gar nicht erst entstehen.

Statt die Finanzmarktregulierung auf einzelne Institutionen wie Banken zu konzentrieren, gilt es, die grundlegenden Regeln des Systems anzupassen. Dabei zeigt sich, dass es im digitalen Zeitalter keinen Platz mehr für Banken hat.

Noch vor wenigen Jahren war das eine ungeheure Feststellung. Heute werden solche Ideen aber selbst von der Spitze des Internationalen Währungsfonds wiedergegeben.

Das Ende der Banken ist überfällig. Es ist höchste Zeit, daraus die politischen Konsequenzen zu ziehen.

Zum Autor

JONATHAN MCMILLAN ist ein Pseudonym, hinter dem zwei Schweizer Ökonomen stehen: Jürg Müller, Wirtschaftsredakteur bei der "NZZ", und sein Co-Autor, der als Banker in London, New York und Zürich tätig ist und anonym bleiben möchte. Zusammen haben sie 2014 "The End of Banking: Money, Credit, and the Digital Revolution" im Selbstverlag veröffentlicht. Nun erscheint das Buch in aktualisierter Fassung auch auf Deutsch und geht dabei auch auf die jüngsten Entwicklungen im Fintech-Sektor ein.

Jonathan McMillan. Das Ende der Banken. Warum wir sie nicht brauchen. campus, 271 S., € 26,80


Der Artikel ist der trend-Ausgabe 8/2018 vom 23. Februar 2018 entnommen.

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