Österreich braucht ein neues Geschäftsmodell

Essay: Schuld sind immer die anderen. Österreich braucht ein neues Geschäftsmodell, um wieder Spitze in Europa zu werden.

Hans-Peter Siebenhaar

Hans-Peter Siebenhaar

Lange Jahre galt Österreich als das bessere Deutschland. Neidvoll und applaudierend zugleich blickte das Nachbarland auf die wohlhabende Alpenrepublik, bewunderte deren politische und wirtschaftliche Stabilität. Das hat sich in den vergangenen zehn Jahren gründlich geändert: Arbeitslosigkeit, Haushaltsüberschuss, Exportstärke - Österreich liegt weit hinter Deutschland zurück.

Noch immer lebt Österreich in der Illusion der besseren Tage. Tatsächlich stimmen die schönen Fassaden. Wien zählt zu den lebenswertesten Metropolen der Welt, auch wenn die Hauptstadt seit vielen Jahren über ihre Verhältnisse lebt. Unternehmen glänzen als Weltmarktführer mit ihren Produkten, allerdings werden sie zu Hause als notwendiges Übel wahrgenommen und ihre laute Kritik als unerträgliches Jammern abgetan. Dabei fallt niemandem auf, dass internationale Investoren Österreich seit Jahren links liegen lassen und stattdessen weiter Richtung Osten ziehen.

Still und heimlich verlagern selbst österreichische Unternehmen Aufgaben und Jobs in die Länder, die einst hinter dem Eisernen Vorhang lagen. Das geringe Wachstum im Land wird vor allem vom Staat kreiert. Der private Konsum kommt hingegen nicht richtig auf Touren. Denn viele Menschen haben nicht mehr, sondern weniger Geld in der Tasche.

Und die Regierung? Sie kennt keine Berührungsängste in Sachen Populismus. Sie hat ein Gesetz nach dem Grundsatz "Österreicher zuerst" für den schwächelnden Arbeitsmarkt der Alpenrepublik auf den Weg gebracht. Unternehmen, die Einheimische statt Ungarn, Tschechen oder Slowenen einstellen, werden mit der Halbierung der Lohnnebenkosten für drei Jahre belohnt. Der soziale Populismus hat ein einfach durchschaubares Motiv: den Machterhalt der bislang reformschwachen Koalition aus SPÖ und ÖVP.

Die Koalition erweist freilich mit ihrer zwei Milliarden Euro teuren Idee eines "Beschäftigungsbonus" dem Standort einen Bärendienst. Mit ihrer xenophoben Jobinitiative beschädigt sie den Ruf Österreichs als offene Volkswirtschaft.

Dabei fehlen dem Hochsteuerland schon heute ausländische Investoren. Den Kampf gegen die steigende Arbeitslosigkeit kann Österreich nur gewinnen, wenn statt populärer Kosmetik endlich grundlegende Reformen gegen überbordende Bürokratie, anachronistische Regelungswut und sozialpolitische Erstarrung angepackt werden.


Die Konsensgesellschaft, lange Zeit Träger des Erfolgsmodells Österreich, hat sich überlebt.

Die Lage ist durchaus dramatisch: Österreich hat einen Schuldenberg von fast 300 Milliarden Euro aufgetürmt. Längst sei nicht mehr der Großglockner der höchste Berg im Land, sondern "der Schuldenberg", ätzt der frühere Vizekanzler und Unternehmer Hannes Androsch zu Recht. Schon seit mehr als einem Jahrhundert hat keine Regierung mehr einen ausgeglichenen Staatshaushalt geschafft. Ein kollektives Versagen der regierenden Parteien.

In Österreich wird häufig auf andere gezeigt, wenn es gilt, Verantwortung zu übernehmen. Angestellte zeigen auf Manager, Manager auf Beamte, Beamte auf Politiker und die Politiker schließlich auf Brüssel. Wie in einem Hofstaat werden Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit nicht geschätzt. Stattdessen wird auf "oben" verwiesen.

In einer Hochleistungsdemokratie müssen die Verhältnisse jedoch ständig angepasst werden. Neue Herausforderungen wie Globalisierung, Innovation oder Migration tauchen auf. Sie können vom Bürger nicht mehr ausschließlich an die politische Klasse delegiert werden. Statt leidensfähiger Steuerzahler sind selbstbewusste Bürger gefragt, die sich in die großen Auseinandersetzungen einmischen.

Das erfordert im harmoniesüchtigen Österreich mehr Mut zu klaren Positionen und zu sachlichem Streit auf offener Bühne um die bestmögliche Lösung.

Einer der wenigen Unternehmer, die sich einmischen, ist Hans Peter Haselsteiner. Wenn es sein Gewissen erfordert, engagiert er sich. Mit seiner Werbekampagne gegen Norbert Hofer (FPÖ) bei der Bundespräsidentenwahl polarisierte der liberale Bauunternehmer. Nicht jeder ist Milliardär und kann sich daher einen teuren Werbefeldzug aus privaten Geldmitteln leisten. Haselsteiner ist daher ein besonderer Fall. Doch sein Engagement für eine plurale Bürgergesellschaft besitzt Vorbildfunktion, unabhängig davon, ob man seine Standpunkte teilt.

Es gibt in Österreich seit Jahren nur wenige Beispiele für altruistisches Verhalten. Anstand und Aufrichtigkeit sind keine Tugenden, die derzeit Hochkonjunktur haben. Hinzu kommt das Phänomen, dass diejenigen, die mit einem Kopf über das Mittelmaß hinausragen, konsequent bekämpft werden. Das ist auch einer der Gründe, weshalb viele österreichische Talente ihre Heimat verlassen und im Ausland dann eine steile Karriere hinlegen. Denn sie wissen, wer aus dem Mittelmaß herausragt, läuft gleichzeitig Gefahr, sehr schnell einen Kopf kürzer gemacht zu werden.

Das konnte sich Österreich über Jahrzehnte leisten. Schließlich wuchs der Wohlstand quasi automatisch. Neidisch sprach man in Berlin von Österreich als dem "besseren Deutschland". Doch mit dem Ausbruch der Finanz-und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 veränderte sich diese Situation grundlegend. Den Politikern hier wurde sehr spät klar, dass Wohlstand eben kein Automatismus ist. Erst mit der ökonomischen Stagnation seit 2012 wurde für jedermann offensichtlich, dass die verkrusteten Strukturen in Politik und Gesellschaft verhindern, dass Österreich wieder an bessere Zeiten wie in den Nullerjahren anknüpfen kann.

Wirtschaftliches Wachstum und damit Prosperität muss immer wieder neu kreiert, gefordert und organisiert werden. Es liegt auf der Hand, dass dies nicht ohne Opfer geht. Doch dazu ist die Konsensgesellschaft nicht in ausreichendem Maß bereit. Dabei ist klar: Je mehr Zeit Österreich verliert, umso stärker werden die ökonomischen Probleme.


Das Land braucht einen sehr grundlegenden Umbau.

Das Land braucht einen sehr grundlegenden Umbau, um die Fähigkeit zurückzuerlangen, mit den führenden Volkswirtschaften in Europa und der Welt mithalten zu können. Wenn der Rückfall ins Mittelmaß -verbunden mit einer vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung - kein Dauerzustand bleiben soll, müssen lieb gewordene Traditionen aufgegeben oder stark verändert werden. Österreich braucht keinen New Deal, bei dem es nur um das Verteilen von Geld geht. Es braucht ein New Business Model, mit dem mehr Geld erwirtschaftet wird. Und es braucht eine neue Art des miteinander Diskutierens, um die richtigen und mehrheitsfähigen Lösungen zu finden.

Die Verschlankung der Verwaltung, die Verlängerung des Renteneintrittsalters und ein tiefer Eingriff in das verkrustete System von Arbeiter- und Wirtschaftskammer werden nicht ausreichen. Österreich muss sich neu erfinden, indem es beispielsweise das Bildungssystem modernisiert und Forschung sowie Entwicklung deutlich stärker fördert, während es den öffentlichen Sektor zurückdrängt. Das Land steht an einer Weggabelung.

Es muss sich entscheiden zwischen Weiterwursteln und weiterem Abstieg oder seiner umfassenden Neuerfindung, um wieder zur internationalen Spitzengruppe zu gehören.

Die Konsensgesellschaft war lange Zeit Träger des Erfolgsmodells Österreich. Doch dieser einstige Wettbewerbsvorteil hat sich überlebt. Inmitten einer vierten industriellen Revolution ist die konsensuale Gesellschaft nicht geeignet, die inneren und äußeren Herausforderungen zu meistern. Österreich muss lernen, in harte und hoffentlich konstruktive Diskussionen um Grundsatzfragen zu gehen. Ohne Dissens geht das nicht. Schönrederei hilft nicht mehr weiter.


Zur Person

HANS-PETER SIEBENHAAR ist seit 2013 Korrespondent der Tageszeitung "Handelsblatt" für Österreich und Südosteuropa. Seit dem Jahr 2015 ist der deutsche Journalist Präsident des Verbands der Auslandspresse in Wien.

Das Buch

Österreich - die zerrissene Republik
von Hans-Peter Siebenhaar
Verlag Orell Füssli
271 Seiten, 20,60 Euro
ISBN 978-3-280-05646-2

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