Karl Sevelda: Milchmädchen und ihre Rechnungen
Karl Sevelda, Ex-Vorstandschef der Raiffeisen Bank International, über die drückende Steuerlast in Österreich, eine der Hauptursachen für das Abrutschen Österreichs im IMD-Wettbewerbsranking: Einschnitte bei Mindestsicherung und Familienbeihilfe werden keine Abgabenentlastung finanzieren.
Karl Sevelda - Ex-Vorstandschef der Raiffeisen Bank International
Man sollte das soeben vom renommierten Schweizer IMD-Institut veröffentlichte Wettbewerbsranking der wichtigsten und besten Wirtschaftsstandorte der Welt mehr Aufmerksamkeit schenken. Aber der beginnende Wahlkampf scheint das Alarmsignal zu unterdrücken; nämlich das Abrutschen Österreichs auf den 25. Platz (von 63!).
Wer die Studie näher betrachtet, stößt sehr bald auf die Hauptursache für diese massive Verschlechterung (vor zehn Jahren waren wir ja noch auf Platz zehn!): die drückende Steuerbelastung, die uns in dieser Kategorie fast zum Schlusslicht der Studie macht.
Das ist aber nur der erste Teil des Trauerspiels. Der zweite, vielleicht noch ernüchtendere ist, dass die hohen Abgaben zu einem guten Teil nötig sind, um die überbordende Bürokratie zu finanzieren, die zusätzlich zur hohen Belastung in vielen Bereichen unternehmerische Dynamik be- bzw. verhindert.
Der Unternehmer wird also nicht nur "gegrillt", er muss auch noch den Koch bezahlen
Die hohe Abgabenbelastung geht Hand in Hand geht mit einer stetig wachsenden Verschuldung.
Dass die hohe Abgabenbelastung außerdem Hand in Hand geht mit einer stetig wachsenden Verschuldung, das unterstreicht die Ineffizienz der Staatsausgaben. Zu viel wird für den Gegenwartskonsum (z. B. Pensionen) umverteilt, zu wenig in die Zukunft (z. B. Infrastruktur, Bildung) investiert.
Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehr viele Berechnungen von Kern, Kurz und Strache hören und lesen, die einfache "Milchmädchenrechnungs-Tests" nicht bestehen. Einen Vorgeschmack haben wir schon erhalten: Zwölf bis 14 Milliarden Mindereinnahmen durch Steuersenkungen sollen durch Einsparungen bei der Mindestsicherung für Ausländer und durch Kürzungen bei Familienbeihilfen für Kinder im EU-Ausland gegenfinanziert werden. Das hörte man vom ÖVP-Chef.
Die beiden Einsparungsmöglichkeiten bringen - abgesehen von ihrer zweifelhaften Berechtigung - je einen niedrigen bis mittleren dreistelligen Millionenbetrag. Nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein! Bei den notwendigen, aber wirklich einschneidenden Maßnahmen bleibt man hingegen vage. Dazu bedarf es nämlich zahlreicher Maßnahmen - vor allem auf den Gebieten der Verwaltungs-, Pensions- und Gesundheitsreform! Und die tun weh, was halt so gar nicht in einen Wahlkampf passt.
Wer immer die neue Regierung bilden wird, müsste den Mut haben, unser teures föderales System durch einen modernen Föderalismus zu ersetzen. Dazu gehört die weitgehende Beschränkung der Landesorgane auf repräsentative und einige wenige exekutive Aufgaben. Förderwesen, Jugend- oder Denkmalschutz usw. gehören bundesweit vereinheitlicht. Den Skandal der Weigerung der Länder, ihre Förderungen in die zentrale Förderdatenbank einzuspeisen, hat man leider allzu rasch vergessen. Zu einem modernen Föderalismus gehört auch, dass Einnahmen- und Ausgabenverantwortung zusammengeführt werden.
Die nächste Regierung wird den Mut haben müssen grundlegende Reformen anzugehen.
Die nächste Regierung wird den Mut haben müssen, eine grundlegende Reform unseres Pensionssystems anzugehen: Dies bedeutet die Anpassung des Pensionsantrittsalters an die stark steigende Lebenserwartung oder die raschere Angleichung des Pensionsalters für Frauen an jenes der Männer.
Sie wird auch den Mut haben müssen, unser Spitalswesen von Grund auf zu reformieren. Dass man nach dem Rücktritt von Ulrike Rabmer-Koller als Sozialversicherungpräsidentin, den sie mit dem "mangelnden Reformwillen" im Gesundheitswesen begründete, einfach zur Tagesordnung überging, signalisiert einerseits die Kraft der - frei nach Reinhold Mitterlehner -"Bestandsbewahrer", andererseits eine beängstigend resignative Tendenz der Reformwilligen. Das Spitalswesen ist das Allererste, das nach einer zentralen und österreichweit einheitlichen Planung schreit!
Österreich ist ein schönes und reiches Land, aber auch ein kleines Land, das die "Economies of Scale" beachten muss.
Es gibt keine Alternative dazu, als die Senkung der enormen Abgabenbelastung - insbesondere für den Mittelstand und für die Klein-und Mittelbetriebe - durch Einsparungen in der Verwaltung, im Pensions- und Gesundheitswesen gegenzufinanzieren.
Der Bürger müsste das gar nicht groß zu spüren bekommen, würde der Schwerpunkt auf Effizienzsteigerung und nicht auf den Wegfall von - notwendigen - Leistungen gelegt. Weniger quälende, unübersichtliche Bürokratie würde dem Bürger möglicherweise sogar positiv auffallen.
Die Beseitigung bürokratischer Hindernisse und des antiquierten Föderalismus würde mit Sicherheit enorme Potenziale eröffnen - aber dazu braucht es zuerst einmal Mut und Ehrlichkeit!
Zur Person
KARL SEVELDA, 66, war bis März 2017 Vorstandschef der Raiffeisen Bank International. Nach der Amtsübergabe beschäftigt sich der bekennende Liberale wieder verstärkt mit Politik und schreibt künftig auch Kommentare für den trend.
Die Analyse ist im trend. Ausgabe 23/2017 vom 9. Juni 2017 erschienen.
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