EU-Fiskalregeln: Auf das Wofür kommt’s an

Während der Pandemie wurden die EU-Fiskalregeln ausgesetzt, jetzt stehen sie auf dem Prüfstand, weil wichtige Investitionen nötig sind.

Martin Selmayr, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Wien

Martin Selmayr, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Wien

Drei Prozent und 60 Prozent – diese beiden Grenzwerte zählen wohl zu den meistdiskutierten der EU-Politik. Im Vertrag von Maastricht wurde mit Blick auf die Wirtschafts- und Währungsunion festgelegt, dass das jährliche Haushaltsdefizit eines Landes drei Prozent und der Schuldenstand insgesamt 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten darf oder hinreichend rückläufig sein muss. Um die Budgetdisziplin zu sichern, haben die EU-Staaten 1997 im Vertrag von Amsterdam den Stabilitäts- und Wachstumspakt aus der Taufe gehoben.

Seit Tag eins sind diese Fiskalregeln Inhalt wirtschaftspolitischer Auseinandersetzungen. Was die einen als starres Korsett kritisieren, gilt den anderen als wichtiges Instrument, um allzu spendierfreudige EU-Mitgliedstaaten vor sich selbst zu schützen – zum Wohle der Stabilität der Union. Aktuell stehen die Haushaltsregeln wieder auf dem Prüfstand: Die EU arbeitet an der weitreichendsten Reform seit der Wirtschafts- und Finanzkrise.

Während der Corona-Pandemie griff eine Ausweichklausel, welche die Fiskalregeln außer Kraft gesetzt hat. Diese läuft mit Jahresende aus. Die Staatshaushalte sind jedoch nach wie vor mit großen Herausforderungen konfrontiert: Allein um die grüne Wende zu bewerkstelligen und unsere Klima- und Energieziele zu erreichen, bedarf es Schätzungen zufolge in der EU bis 2030 jährliche Investitionen von rund 300 Milliarden Euro – und da sind andere europäische Zukunftsausgaben für die Digitalisierung oder den Wiederaufbau der Ukraine noch gar nicht eingerechnet.


Im Vergleich zu den nationalen Budgets sind die EU-Mittel überschaubar.

Die Europäische Kommission hat 2020 das 800 Milliarden Euro schwere EU-Aufbauinstrument NextGenerationEU auf den Weg gebracht: Die Mitgliedstaaten erhalten Zuschüsse und Kredite, um in Klimaschutz und Digitalisierung zu investieren. Gemeinsam mit dem regulären EU-Budget stehen so für 2021-2027 rund zwei Billionen Euro zur Verfügung. Das ist zwar der größte EU-Finanzrahmen aller Zeiten, aber im Vergleich zu den nationalen Budgets sind die EU-Mittel überschaubar. Deutschland gab im Vorjahr knapp 1,9 Billionen Euro aus – das entspricht also in etwa dem EU-Budget für ganze sieben Jahre. In Österreich lagen die Staatsausgaben bei 236 Milliarden Euro. Die Relationen verdeutlichen die Rolle, die nationale Haushalte bei der Finanzierung der grünen und digitalen Wende spielen.

Die geplanten EU-Fiskalregeln müssen die Qualität von Staatsausgaben stärker berücksichtigen. Das ist möglich, ohne an den 3 Prozent- und 60 Prozent-Marken zu rütteln. Es macht einen Unterschied, ob Budgetmittel für das Klimaticket oder für Steuerzuckerl nach dem Gießkannenprinzip verwendet werden. Natürlich gibt es Umstände, die nach der Gießkanne verlangen. So war der Klimabonus angesichts der hohen Energiepreise infolge von Putins Gaserpressung eine wichtige und richtige Maßnahme, um die Bevölkerung rasch zu entlasten.


Eine Budgetpolitik unterstützen, die auf Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit fußt.

Damit solche Eingriffe möglich sind, muss in guten Zeiten vorgesorgt werden. Die neuen EU-Haushaltsregeln müssen eine Budgetpolitik unterstützen, die auf Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit fußt – im ökologischen wie im ökonomischen Sinn. Klar ist auch, dass sich budgetäre Vorgaben der EU stark an der finanziellen Gesundheitslage des betreffenden Landes orientieren müssen. Dabei müssen wir aber nicht nur den Schuldenstand im Blick haben, sondern auch etwaige positive Entwicklungen. Zudem sollen die Staaten stärker daran gemessen werden, ob sie ihre selbst gesetzten Reform- und Investitionsprioritäten umsetzen.

Die Finanzierung der ökologischen Wende beweist einmal mehr, dass es der Zusammenarbeit der europäischen und nationalen Ebene sowie des Privatsektors bedarf, um große Herausforderungen zu bewältigen. Die EU-Taxonomie gibt Investoren eine Orientierungshilfe, was „grün“ ist. Zudem werden im Rahmen von InvestEU Synergieeffekte zwischen öffentlichem und privatem Kapital genutzt. Wir werden auch einen europäischen Souveränitätsfonds brauchen, um die Industrie zu unterstützen und Rissen im Binnenmarkt vorzubeugen. Die Europäische Kommission setzt sich dafür ein, in den nächsten Monaten einen möglichst breiten Konsens zwischen den 27 Mitgliedstaaten zu erzielen, um nationale und europäische Finanzen stabil und zukunftsfit zu machen.

Michael Tojner
Michael Tojner: Mut zum Perspektivenwechsel!

Ob in Österreich, in Frankreich, in Rumänien oder in Deutschland, ob in …

Ken Fisher, US-Investmentberater und Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Wirtschaft und Finanzen.
Könnten verborgene Risiken den ATX treffen?

Was meine Stimmung 2023 trübt, sind verborgene Risiken; auch wenn sich …

Kai Erkelenz, Chief Human Resources Officer (CHRO) und Co-Gründer des Mobility-Start-ups 123-Transporter
Fachkräftemangel: Arbeitgeber müssen sich an der Nase nehmen

Branchenübergreifend mehren sich HR-Verantwortliche, die unter dem …

Georg Krause, Vorstandsvorsitzender der msg-Plaut-Unternehmensgruppe und CEO der msg Plaut Austria.
"Digitaler Humanismus statt Digitalisierung um jeden Preis"

Wenn Europa nicht komplett ins digitale Hintertreffen geraten will, …