Wiener Börse CEO Christoph Boschan: "Österreich kann Aktie"

Das Interesse an Wertpapieren steigt. Umso wichtiger sind eine gute finanzielle Bildung und ein starker, aktiver Kapitalmarkt.

Thema: Geldanlage in Wertpapieren
Christoph Boschan, Vorstandsvorsitzender der Börsengruppe Wien und Prag

Christoph Boschan, Vorstandsvorsitzender der Börsengruppe Wien und Prag

Neue Zahlen belegen: Ein Viertel aller Österreicher besitzt Wertpapiere. Heruntergebrochen auf die einzelnen Assetklassen investieren 19 Prozent in Investmentfonds, 13 Prozent in Aktien und sechs Prozent in Anleihen. Laut der aktuellen Umfrage, die die Wiener Börse gemeinsam mit dem Aktienforum und der Industriellenvereinigung beauftragt hat, ist der Wertpapierbesitz stark angestiegen.

Aktien, Anleihen und Investmentfonds sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es zeigt sich auch hohes Interesse. Zu den 1,9 Millionen bestehenden Wertpapierbesitzern möchte eine weitere Million Österreicher zukünftig investieren. Es gibt also Potenzial am Kapitalmarkt. Doch wo genau liegt es und wie kann es aktiviert werden? Insgesamt haben Frauen im Vergleich zu Männern noch Aufholbedarf. Es gaben deutlich mehr Männer (32 Prozent) als Frauen (16 Prozent) an, Wertpapierbesitzer zu sein. Die Stadtbevölkerung besitzt eher Wertpapiere als Menschen aus dem ländlichen Raum. Je höher der formale Bildungsgrad und je mehr Arbeitserfahrung im Wirtschaftsumfeld, desto höher die Zahl der am Markt engagierten Personen. Es ist jedenfalls kein Elitenthema, denn 76 Prozent der Wertpapierbesitzer verdienen laut Umfrage netto unter 3.000 Euro monatlich.

Hebeleffekte durch Bildung und Anreize

Fehlendes Wissen ist der Hauptgrund für verpasste Chancen und letztlich Vermögensentwertung. Bildung ist der Schlüssel: Wer das Chancen-Risiko- Profil von Wertpapieren kennt, der wird aktiv und navigiert eigenständig, auch in Zeiten von Krisen. Die junge Generation lässt mich optimistisch in die Zukunft blicken. Sie hat zunehmend verinnerlicht, dass die langfristige Rendite von Aktien alle anderen Anlageklassen, wie zum Beispiel Gold und Immobilien, schlägt.


Finanzielle Bildung zahlt sich aus und ist der beste Anlegerschutz.

Dazu müssen folgende Anlagegrundsätze eingehalten werden: Mit einem langen Planungshorizont entzieht man sich kurzfristigen, jährlichen Schwankungen an den Börsen. Es ist vorteilhafter, zeitlich getaktet anzulegen, als alles zu einem Zeitpunkt zu investieren. Streuung im Portfolio macht sich bezahlt – nicht alles auf eine Karte setzen und auf die Gebühren achten. Information ist das A und O, denn man muss verstehen, worin man investiert.

Wissen ist – unter anderem durch die Wiener Börse, andere private Institutionen und Finfluencer – online leicht zugänglich. Auch die nationale Finanzbildungsstrategie der Regierung forciert das. Finanzielle Bildung zahlt sich eben aus und ist der beste Anlegerschutz..

Hoch besteuerte Eigenvorsorge

Während die Deutsche Regierung vor Kurzem die Aktienrente ausrief, hat Österreich noch keine Schritte in Bezug auf die kapitalmarktgestützte Vorsorge gesetzt. Dabei zeigen die Umfragedaten, dass der Wohlstand des breiten Mittelstandes vom Abbau der steuerlichen Sanktionierung von Eigenvorsorge sehr profitieren würde. Dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr investiertes Kapital mehrfach und hoch besteuern müssen, fühlt sich nicht fair an. Der österreichische Staat beteiligt sich nur am Gewinn, das Risiko trägt die Anlegerschaft allein. Zur Erinnerung: Arbeiter und Angestellte zahlen einkommensabhängige, progressive Steuern, als Miteigentümer eines Unternehmens 24 Prozent Körperschaftssteuer, auf die ausgeschütteten Dividenden 27,5 Prozent und beim Verkauf der Anteile wiederum eine europaweit rekordverdächtig hohe Kapitalertragsteuer von 27,5 Prozent.

Ein starker Kapitalmarkt bietet viele Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen unserer Zeit, wie etwa die alternde Bevölkerung, den Klimawandel oder Veränderungen durch die Digitalisierung. Die Lösungen dafür müssen finanziert werden. Innovationskapital ist stets Eigenkapital. Um den Hebel Kapitalmarkt nutzen zu können, muss dieser aber möglichst weit entwickelt sein und attraktive Rahmenbedingungen bieten. Staaten mit weiter entwickelten Kapitalmärkten werden schneller sowie nachhaltiger transformieren und mit höheren Wachstumsraten in eine CO2-freie, digitale Zukunft gehen.

Investieren ist die aktive Form der Mitbestimmung und Teilhabe in einer modernen sozialen Marktwirtschaft. Ein aktiver öffentlicher Kapitalmarkt ermöglicht, dass sich jedermann an der Entwicklung börsennotierter Unternehmen beteiligen kann. Die Österreicherinnen und Österreicher erkennen diesen Mehrwert zunehmend und sind hier offensichtlich weiter als die politische Debatte.


DER AUTOR

Christoph Boschan hat im Börsenwesen promoviert und ist seit September 2016 CEO der Börsengruppe Wien und Prag. Zuvor war der gelernte Wertpapierhändler unter anderem Joint-CEO bei der Börse Stuttgart sowie Vorstand der Euwax.


Der Gastkommentar ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 12. Mai 2023 entnommen.

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