Ken Fisher: Stillstand ist gut für die Börse
Gastkommentar. Sowohl in den USA und auch in Europa werden Regierungen heuer keine weitreichenden Entscheidungen treffen können.

Chaotisches politisches Hickhack in Europa und in den USA dominiert wieder einmal die Schlagzeilen. Schauen wir über Tirols Grenze Richtung Süden: Dort beruhen die Hoffnungen für die wirtschaftliche Erholung Italiens darauf, dass Mario Draghi in Italiens zersplitterter Parteienlandschaft eine Koalition schmieden kann. Nördlich der Grenzen lodern die Querelen zwischen den deutschen Koalitionspartnern. Der Brexit ist vorbei, aber die Debatte über ungelöste Probleme bleibt.
Hinter all dem verbirgt sich eine positive Realität, die nur wenige erkennen: Wir befinden uns in einem gesetzgeberisch entscheidungsschwachen Jahr 2021. Die vielfältigen Unstimmigkeiten bedeuten, dass es in diesem Jahr in keiner der großen Volkswirtschaften zu marktbewegenden neuen Gesetzen kommen wird. Genießen Sie also den Ritt, während dieser Stillstand die Aktienmärkte nach oben treibt.
Hauptrolle im jüngsten Politdrama spielt die Annahme, Italiens Erholung hinge davon ab, dass Draghi eine funktionierende Koalition bilden kann. Er müsse die EU-Hilfen einsetzen, um das Wachstum wieder anzukurbeln.
Die Aktienmärkte sehen das allerdings anders. Sie sorgen sich vor Gesetzen, die Gewinner und Verlierer schaffen, die verunsichern und die den Unternehmen die Planung erschweren. Stillstand dämpft diese Sorgen. Jede Koalition, die Draghi formt, wird sich im tief gespaltenen Mehrparteien-Geflecht als machtlos erweisen. Neuwahlen? Die gemäßigten Politiker Italiens wollen diese um jeden Preis vermeiden, weil als Folge der Wahlreform 2020 beim nächsten Wahlgang rund die Hälfte der Parlamentssitze wegfallen.
WANDEL. Bringen Wahlen anderswo Wandel? Nein! Als Erstes wählt Holland, am 17. März. Bei den letzten Wahlen wurde die Macht auf viele Parteien verteilt. Nun regiert eine politisch schwache Vier-Parteien-Koalition. Auch Mark Ruttes Rücktritt ändert nur wenig. Die Umfragewerte zeigen heftige Zersplitterung, eine handlungsstarke Koalition bleibt wohl Wunschtraum.
In Deutschland stolpert die große Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten auf die Wahlen im September zu. Beide sind intern heftig gespalten. Der neue CDU-Chef Armin Laschet strebt möglicherweise nicht einmal die Kanzlerkandidatur an, da Bayerns Markus Söder in Umfragen besser abschneidet. Der gemäßigte Olaf Scholz führt die Liste der SPD an. Aber keiner dieser drei hat die Schlagkraft, eine weitere wacklige Koalition zu vermeiden.
Gesetze mit Gewinnern und Verlierern schätzen Börsen nicht.
Außerhalb Europas dominiert die liberaldemokratische Partei des japanischen Premiers Yoshihide Suga das Parlament. Dort wird im Oktober gewählt. Seine nach wiederholten Covid-19-Fehltritten sinkende Popularität bedeutet, dass er seinen Job bzw. die Macht seiner Partei nicht mit kontroversen Gesetzen riskieren wird.

Ken Fisher ist einer der erfolgreichsten Investmentberater der USA und Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Wirtschaft und Finanzen.
Und die USA? Dort bedeutet der knappe Wahlausgang 2020 einen nie dagewesenen Stillstand. Joe Bidens Demokraten haben in beiden Häusern des Kongresses einen derart geringen Vorsprung, dass seine Partei zu 100 Prozent geschlossen agieren muss, um Gesetze durchzubringen. Der Widerstand einiger Demokraten gegen die 2.000-Dollar-Schecks verwässert bereits jetzt Bidens nicht einmal besonders umstrittenen Covid-19-Hilfsplan.
Präsident Biden drehte mit einer Reihe von Verfügungen viele Entscheidungen seines Vorgängers Trump um – der dies wiederum mit der Politik Barack Obamas gemacht hatte. Dieses Hin und Her bringt ökonomisch nur minimale Schlagkraft. Jeder, der glaubt, dass nun ein „Green New Deal“ oder große Steuererhöhungen kämen, macht sich selber etwas vor. Diese knappe Mehrheit wird kein Gesetz mit Ecken und Kanten zustande bringen.
In Schottland könnte die Wahl am 6. Mai Unabhängigkeitsgelüste auslösen, wenn die Scottish National Party ihre Mehrheit zurückgewinnt. Und ja, die Septemberwahlen in Hongkong bringen nach den verabscheuenswürdigen Verhaftungen von Oppositionspolitikern im Jänner auch die Sorge vor einer Einmischung Chinas. Aber keine dieser Wahlen verfügt über das Potenzial, die globalen Aktienmärkte aus der Spur zu heben.
Das politische Hickhack wird weiter die Schlagzeilen bestimmen – und Ängste schüren. Das tut es regelmäßig. Aber erinnern Sie sich: Falsche Ängste wirken positiv auf die Börsen, immer und überall. Eine durch den weltweiten Stillstand lahme Gesetzgebung wird die Stimmung in diesem späten Bullenmarkt weiter anheizen und die Aktienkurse nach oben treiben.