The Italian Job: Matteo Renzis Reformpoker

Analyse. Am 4. Dezember wird auch in Italien gewählt. Verliert Ministerpräsident Matteo Renzi sein Verfassungsreferendum, will er zurücktreten.

The Italian Job: Matteo Renzis Reformpoker

Karl Krammer

IN ÖSTERREICH könnten Trump-Wahl und Brexit-Abstimmung bei der endgültigen Entscheidung über den Bundespräsidenten weniger Auswirkungen haben, als die einen befürchten und die anderen hoffen. Der erste Urnengang mit der deutlichen Niederlage der Kandidaten der Regierungsparteien hat Trends vorweggenommen, die später in Großbritannien und in den USA wahlentscheidend waren.

Zudem hat die erste Stichwahl durch die Zuspitzung eine klare Festlegung der Wähler gebracht, die einen direkten Wechsel von einem ins andere Lager sehr unwahrscheinlich macht. Damit geht es für beide Kandidaten nun um die Mobilisierung ihrer Wähler. Die Wahl Trumps sollte das begünstigen. Bei den einen, weil sie sich in ihren Wahlmotiven bestätigt fühlen, bei den anderen müsste sie ein Weckruf gegen bürgerliche Wahlmüdigkeit sein.

In Italien dagegen gibt das Verfassungsreferendum am 4. Dezember den Bürgern erstmals Gelegenheit, über Ministerpräsident Matteo Renzi direkt abzustimmen. Sein Reformpaket zur Beschleunigung der Gesetzgebung hat im Frühjahr nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Parlaments, in Kammer und Senat, erreicht. Damit sind laut Verfassung nun die Italienerinnen und Italiener aufgerufen, darüber zu entscheiden.

Für Renzi ist diese Reform, die er gemeinsam mit Kanzleramtsministerin Maria Elena Boschi gleich nach Amtsantritt eingeleitet hat, ein Schlüsselprojekt, um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch raschere Entscheidungen in Politik und Verwaltung zu verbessern. Erreicht werden soll dies durch ein Aufbrechen des Gleichgewichts von Kammer und Senat bei der Gesetzwerdung. Deckungsgleiche Kompetenzen der beiden Häuser bei unterschiedlichen Wahlsystemen und daraus resultierende gegensätzliche Mehrheiten haben in den vergangenen Jahren regelmäßig zu gegenseitigen Blockaden von Regierung und Opposition geführt. Mit einer Reform des Senats à la österreichischer Bundesrat soll dieses Patt überwunden werden.


Für Renzi ist die Beschleunigung der Gesetzgebung ein Schlüsselprojekt.

Je näher die Abstimmung rückt, umso weniger geht es um die Inhalte der Renzi-Boschi-Reform. Seit klar ist, dass ein Referendum notwendig ist, hat sich ein veritabler Wahlkampf wie bei einer Parlamentswahl entwickelt. Beigetragen hat dazu auch der Ministerpräsident selbst, der das Reformvorhaben schon früh sehr eng mit seiner Person verknüpft hat.

Dabei ist es Renzi bis jetzt nicht gelungen, die eigene Partei hinter seinem Anliegen zu vereinen. Insbesondere die Linke in der Demokratischen Partei und die Gewerkschaften sind skeptisch. Das liegt nicht an der Reform selbst, sondern reflektiert deren Unzufriedenheit mit mehreren Entscheidungen in den vergangenen Jahren wie der Arbeitsmarktreform und Renzis Umgang in und mit der Partei.

Klar gegen die Reform haben sich Beppe Grillo und seine Fünf-Sterne-Bewegung, die antieuropäische Lega Nord und die rechte Fratelli d'Italia ausgesprochen. Dagegen kann Renzi angesichts des Streits um die Führungsposition im Mitte-rechts-Lager nach Berlusconi mit der Unterstützung von Wählern der Forza Italia rechnen, denn auch frühere Weggefährten Berlusconis unterstützen die Reform. Angesichts der letzten Umfrage vor dem Referendum gibt es für Renzi bis zum 4. Dezember noch einiges zu tun. Denn nach der Umfrage würden 55 Prozent mit "No" und nur 45 Prozent mit "Sì" stimmen, 46 Prozent wollen gar nicht hingehen. Viele fühlen sich schlecht informiert.

RENZI HAT FÜR DEN FALL einer Niederlage beim Referendum mehrfach seinen Rücktritt angekündigt. Außer seiner Berechenbarkeit, die er immer wieder unterstreicht, spricht auch politisch einiges dafür. Er könnte sich so besser auf die Parlamentswahlen konzentrieren, die spätestens 2018 anstehen. Bis dahin muss die Regierung noch das vor zwei Jahren beschlossene Wahlgesetz "Italicum" reformieren.

Renzi geht mit einigem Recht davon aus, dass eine Übergangsregierung aus Fachleuten diese Reform rascher erledigen kann als seine eigene durch das "No" geschwächte. Bliebe er, würden ihn die politischen Gegner mit der Reform hinhalten, um ihn so bis 2018 weiter zu schwächen. Für ihn kann es also damit nicht rasch genug gehen, weil nur so ein Vorziehen der Wahlen angedacht werden kann. Dabei wäre nach derzeitigem Stand die M5S-Bewegung der Gegner, den es zu schlagen gilt.


Zur Person

KARL KRAMMER ist Politikberater sowie Präsident des "Austrian Bologna Chapter", der Alumni-Vereinigung der Johns-Hopkins-Universität.


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