Josef Kalina: Tirol und das Sägen am eigenen Ast
Kommunikationsprofi JOSEF KALINA über die Linie der Tiroler Politiker und Behörden im Umgang mit dem mutierten Virus.
Josef Kalina
Die entscheidenden Fragen in der Kommunikation - gleich, ob in der Wirtschaft oder in der Politik - sind immer gleich:
- Was ist mein Ziel?
- Wen möchte ich mit meiner Botschaft erreichen?
- Wie werde ich gesehen und wie möchte ich gesehen werden?
Wer die Kommunikationslinie der Tiroler Behörden und Politik seit der überstürzten Flucht/Vertreibung von Gästen und Mitarbeitern aus Ischgl verfolgt, steht diesbezüglich vor einem völligen Rätsel:
Denn entweder muss man den Eindruck gewinnen, dass die Innsbrucker Verantwortlichen wie vor einem Strafrichter stehend nicht mehr Wert aufs Image legen, sondern nur noch eine Verurteilung abwenden wollen.
Oder man ist der hoffentlich irrigen Meinung, dass die große Mehrheit der Tiroler so tickt und die Bedrohung durch die südafrikanische Virusmutation für gering, aber den Willen "der Wiener","Tirol wieder einmal ungerechtfertigt ans Bein zu pinkeln", für größer hält.
Abstreiten, mauern, Schuld abschieben, austeilen
Beides kann wohl falscher nicht sein. Und dennoch erleben wir seit dem denkwürdig entgleisten "ZIB 2"-Interview des Tiroler Gesundheitslandesrats Bernhard "Wir haben alles richtig gemacht" Tilg bis zum jüngsten TV-Auftritt des Tiroler Wirtschaftskammerpräsidenten Christoph "Die werden uns richtig kennenlernen" Walser ein No-Go der Krisenkommunikation nach dem anderen: Es wird abgestritten, gemauert, die Schuld auf andere geschoben, ausgeteilt, statt Einsicht in das unleugbar Geschehene zu zeigen und der Öffentlichkeit im In-und Ausland zu demonstrieren: Wir haben dazugelernt, so etwas wird sich hier nicht wiederholen, ihr seid gut aufgehoben, wenn ihr wieder zu uns kommt.
Mit dieser unbelehrbaren Linie wird sicher Tirol, aber wahrscheinlich auch ganz Österreich einen spürbaren Imageschaden erleiden. Denn die Öffentlichkeit in Deutschland, Holland, England, den USA usw. beobachtet nach dem bisher konsequenzenlos gebliebenen Sündenfall Ischgl das Geschehen in der Alpenrepublik genau. Und die Sorge vor eine Ausbreitung der südafrikanischen Mutation, gegen die möglicherweise bereits einer der brandneuen Impfstoffe unwirksam sein könnte, ist in Europa und der ganzen Welt riesengroß. Daher können diese Piefke-Saga-artigen Auftritte nur Schaden anrichten.
Kommunikation, die sich die einleitenden Fragen stellt, müsste ganz anders aussehen:
- Ziel muss sein, möglichst viele Menschen im Land dafür zu gewinnen, an der Eindämmung des Virus mitzuwirken. Dazu muss sich die Bevölkerung aber der Gefahren bewusst sein. Die Mutation ist in Tirol angekommen. Das müssen möglichst schnell alle Bürger begreifen. Daher: Alarm schlagen!
- Es macht keinen Sinn - ja, es kann lebensgefährlich werden - eine in ihren Auswirkungen noch nicht gänzlich begreifbare, aber reale neue Gefahr herunterzuspielen. Daher: intensiv warnen!
- An wen richtet sich diese berserkerhafte Kommunikation? Die Urlaubsgäste aus dem In-und Ausland können es wohl nicht sein. Denn die erleben Verantwortliche, die alles abstreiten und damit zum Ausdruck bringen, dass ihnen das Wohl ihrer Gäste weniger wichtig ist als der Profit. Daher: Einsicht und Bedauern für das Geschehene zeigen! Nur das bringt Vertrauen zurück.
- Wenn ich mir die Frage "Wie werde ich gesehen?" nicht ehrlich beantworte, sondern Medien, Wissenschaft und Kritiker als Nestbeschmutzer oder Ans-Bein-Pinkler abstemple, werde ich auch keine probate Antwort für Verbesserungen beim "Wie will ich gesehen werden?" finden. Daher: offener Umgang mit Kritik, Zuhören statt Angreifen und dann substanziell und parallel kommunikativ Verbesserungen und Haltungsänderungen umsetzen.
Zur Person
Josef "Joe" Kalina ist mit seiner Unique Relations einer der gefragtesten Krisen- und PR-Profis des Landes.