Hannes Androsch: Das Wesen und die Kunst der Besteuerung

Gastkommentar von Hannes Androsch: Die neue digitale Welt erfordert auch einen Wandel bei der Besteuerung. Mit wenig durchdachten neuen Steuern in engen nationalstaatlichen Grenzen wird dies nicht zu erreichen sein.

Hannes Androsch, Industrieller und Ex-Politiker (Finanzminister sowie Vizekanzler der Ära Kreisky).

Hannes Androsch, Industrieller und Ex-Politiker (Finanzminister sowie Vizekanzler der Ära Kreisky).

Nichts ist sicher außer der Tod und die Steuern. Letztere begleiten den Menschen seit rund 10.000 Jahren. Mit der Sesshaftigkeit entstand das Bedürfnis nach innerer und äußerer Sicherheit. Daraus entwickelte sich eine wesentliche Säule staatlicher Gemeinwesen: das Gewaltmonopol. Eine zweite Säule war die Beschaffung der dafür notwendigen Mittel durch Zwangsabgaben, also Steuern. Bei deren Einhebung kennt die Fantasie bis heute keine Grenzen. Steuern sind daher ein wichtiger Teil unserer Zivilisationsgeschichte.

So wie sich die Menschheit von der Agrargemeinschaft zur industriellen und heute zunehmend zur digitalen Gesellschaft gewandelt hat, haben sich auch Form und Höhe der Besteuerung laufend verändert. Aus den Naturalabgaben und Besitzsteuern ist ein kompliziertes System entstanden, bei dem primär Einkommen und Konsum besteuert werden. Die Steuerlast ist vom antiken und mittelalterlichen Zehent auf das Vierfache oder sogar deutlich höher gestiegen.

Österreich liegt dabei im Spitzenfeld. Die Abgabenquote von 45 Prozent reicht aber immer noch nicht aus, die öffentlichen Ausgaben von über 50 Prozent der Wirtschaftsleistung zu decken. Dies führt zu einem wachsenden Schuldenberg, weil man die Ausgabenseite, die sich nach den Einnahmen richten müsste, nicht im Griff hat oder haben will.

Ein Drittel der Steuerlast entfällt auf Sozialabgaben. Diese sollten im Umlageverfahren mit 30,2 Prozent der Wirtschaftsleistung eine der weltweit höchsten Sozialquoten finanzieren, was immer weniger gelingt. Daher muss ein steigender Teil der normalen Steuereinnahmen zur Finanzierung von Pensionen, Krankenversicherung, Spitälern oder Pflege beigeschossen werden.

Die Folge: Für zukunftsrelevante Aufgaben wie Bildung, Universitäten oder Infrastruktur (zum Beispiel Ausbau des Breitbandnetzes) stehen nicht genügend Mittel zur Verfügung.

Notwendigkeit und Moral

Natürlich zahlt niemand gerne Steuern. Man sieht aber vernünftigerweise die Notwendigkeit der Finanzierung relevanter öffentlicher Aufgaben ein. Diese Einsicht führt zu Steuerakzeptanz und einer entsprechenden Steuermoral, sofern die Steuereinhebung gleichmäßig, verständlich, möglichst schonend und einfach erfolgt.

Auch hier gilt Paracelsus' Erkenntnis, dass die Dosis über die Wirkung als Heilmittel oder als Gift entscheidet. Doch von solchen Grundsätzen haben wir uns heute weit entfernt. Das Steuerrecht ist laufend komplizierter geworden und von unzähligen Ausnahmen durchlöchert. Allein das Einkommenssteuergesetz kennt 558 Begünstigungen und wurde seit dem Jahr 2000 420 Mal geändert, also im Schnitt alle 14 Tage. Damit wird es immer kasuistischer und die Einhebung immer kleinlicher bis schikanös, wie überlange Betriebsprüfungen oder überfallsartige Razzien der Finanzpolizei zeigen.


Das Einkommenssteuergesetz wurde seit dem Jahr 2000 im Schnitt alle 14 Tage geändert. Das ist schikanös.

Bei der Einkommenssteuer kommt noch die überzogene Progression dazu, die zu einer jährlichen heimlichen Steuererhöhung führt, was nur gelegentlich geringfügig geändert wird. Bei den meisten Einkommen aber fällt keine Lohnsteuer an, die den Bruttoverdienst mindert, weil diese erst ab 1.050 Euro einsetzt, während die Sozialabgaben vom ersten Euro an eingehoben werden und bei einem Bruttoverdienst von 1.050 Euro bereits 159 Euro betragen.

Dazu kommen noch beträchtliche Dienstgeberabgaben, sodass Arbeitskosten, Bruttolohn und Nettolohn immer weiter auseinanderklaffen. Ein Bruttolohn von 1.050 Euro bringt dem Arbeitnehmer 891 Euro netto, kostet aber den Arbeitgeber 1.371 Euro. Richtig "gemolken" wird in der breiten Masse: Vom österreichischen Durchschnittsgehalt von 2.272 Euro brutto kommen 1.627 Euro netto beim Arbeitnehmer an, den Arbeitgeber kostet er aber 2.966 Euro.

Im Zuge des Wandels der Besteuerung haben Vermögenssteuern an Bedeutung verloren oder sind wie bei uns beseitigt worden. Einzig die Grundsteuer ist geblieben. Sie wurde aber seit Langem nicht abgepasst und ist damit verschwindend gering. Dies steht im offenen Widerspruch zur Wiedereinführung einer Vermögenssteuer. Abgesehen davon machen Steuern auf Äcker oder Investitionen wenig Sinn. Sinnvoller ist, das Ergebnis, den Nutzen, den Erfolg, die Ernte beziehungsweise den Konsum zu besteuern.

Hauptaufgabe von Steuern ist die notwendige Mittelbeschaffung, was in einer Gesellschaft der Masseneinkommen nur durch Massensteuern erreicht werden kann. Die mit Steuern verbundenen Effekte sollten jedenfalls beachtet werden anstatt sie zur Erzielung anderer politischer Ziele heranzuziehen, was zu immer mehr Steuerlöchern, größerer Kompliziertheit und verstärkter Unsicherheit führt.

Wettbewerb und Schlupflöcher

Ein Dilemma ist, dass Steuergesetzgebung und -einhebung im Rahmen der etwa 200 Nationalstaaten unseres Planeten erfolgt. Da einzelne Staaten unterschiedliche Steuerniveaus haben, entsteht Steuerwettbewerb.

Daraus ergeben sich durchaus legale Möglichkeiten für die Nutzung von Schlupflöchern, also Steuerarbitrage, Steuervermeidung oder Steuerflucht, insbesondere, wenn es dafür besonders attraktive Steueroasen gibt. Die damit erzielte Steuervermeidung ist empörend, auch wenn sie zumeist legal ist, wenn man sich nicht durch Erfüllung des Untreuetatbestandes strafrechtlich verfolgbar macht. Daher grenzt die Aufregung hierzulande an Heuchelei, besonders, weil sich Österreich beim Versuch der EU, Steueroasen einzudämmen, als Bremsklotz erweist.

Ein weiteres Dilemma ergibt sich aus der digital vernetzten Welt der Big Data, in der Riesenunternehmungen entstanden sind, die nach dem Motto "Made in China, designed in California" gewaltige Gewinne machen, aber unter Ausnutzung nationalstaatlich gegebener Möglichkeiten dafür nur ein Minimum an Steuern zahlen.

Diese Firmen verfügen zudem über kaum nennenswertes Sachvermögen. In einem Fall beträgt dies 50 Milliarden Dollar -bei einem Firmenwert von fast 1.000 Milliarden Dollar. In der digitalen Welt sind Daten eben der wichtigste Rohstoff und die Quelle von Einkünften, Gewinnen und Wohlstand.

Wandel der Besteuerung

Diesem Wandel wird auch die Besteuerung Rechnung tragen müssen. Dafür bietet sich eine Transaktions- oder Datensteuer an. Diese wird aber nur möglich sein, wenn sich viele Länder daran beteiligen. Das mussten selbst die am schwersten belehrbaren EU Mitgliedstaaten (darunter Österreich) in Zusammenhang mit der Finanztransaktionssteuer einsehen. Eine weitere Lösung wäre eine Cashflow-Steuer (Destination-based Cash-Flow Tax oder Grenzausgleichsbesteuerung). Das Dilemma zwischen globaler Wirtschaft und nationalstaatlicher Besteuerung könnte damit gemildert, aber nicht überwunden werden.

Ein anderer Versuch ist der von der OECD entwickelte Plan, die Erosion der Bemessungsgrundlage und die Verschiebung der Gewinne einzudämmen (Base Erosion and Profit Shifting). Auch dieser Plan lässt sich nicht nationalstaatlich lösen, sondern bedarf der internationalen Zusammenarbeit. Allerdings hat gerade der nach wie vor wichtigste "Player" in der internationalen Steuerpolitik, die USA, BEPS nicht unterschrieben.

Sie wappnen sich damit für den Kampf der Nationalstaaten um den zu verteilenden Steuerkuchen. Hat BEPS somit von vornherein Konstruktionsfehler? Aus Sicht der Steuerzahler droht es jedenfalls in einen "Base Expansion and Profit Stealing"- Stellungskrieg der Nationalstaaten um das globale Steueraufkommen auszuarten.

Aus allen diesen Gründen ist es notwendig, dem Wandel der Zeit mit einem Wandel der Besteuerung zu begegnen. Mit wenig durchdachten neuen Steuern oder weiteren Ausnahmen in den engen nationalstaatlichen Grenzen ist dies nicht zu erreichen. So bleibt auch unter den heutigen globalen und digitalen Gegebenheiten die Cicero zugeschriebene Zielsetzung weiterhin aufrecht, der zufolge "der Staatshaushalt ausgeglichen sein ( ) (und) die Steuerkasse wieder aufgefüllt werden (muss). Die öffentlichen Schulden müssen verringert, die Arroganz der Bürokratie gemäßigt und kontrolliert werden. () Die Leute sollen wieder lernen, zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben."

Mit steueralchemistischen Vorstellungen, dass man die Steuern senkt und zugleich die Steuereinnahmen vergrößert, wird dies sicher nicht gelingen.


Der Autor

HANNES ANDROSCH, Ökonom und Industrieller, war von 1967 bis 1981 Abgeordneter zum Nationalrat, von 1970 bis 1981 Finanzminister sowie von 1976 bis 1981 Vizekanzler unter Bruno Kreisky. Heute ist er geschäftsführender Gesellschafter der AIC-Androsch International Consulting, Miteigentümer der Salinen Beteiligungs GmbH und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Salinen Austria AG sowie Miteigentümer und Aufsichtsratsvorsitzender von Europas größtem Leiterplattenhersteller AT & S. Androsch ist weiters Vorsitzender des Universitätsrates der Montanuniversität Leoben, Aufsichtsratsvorsitzender der Finanzmarktbeteiligung AG und Vorsitzender des Rates für Forschung und Technologieentwicklung gewählt.


Der Kommentar ist der trend-Ausgabe 50-52/2017 vom 15. Dezember 2017 entnommen.

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