Hannes Androsch: Die Welt nach Corona [ESSAY]

Ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist klar: Die Folgen werden uns noch lange beschäftigen. Dabei wurden schon bisher längst überfällige Aufgaben vernachlässigt. Umso mehr gilt es, nun die richtigen Schritte im Bereich von Forschung, Bildung, Digitalisierung und Klimaschutz zu setzen.

Hannes Androsch: Die Welt nach Corona [ESSAY]

Hannes Androsch ist Industrieller, ehemaliger SPÖ-Finanzminister sowie Vizekanzler der Ära Kreisky.

Die Folgen der Pandemie werden uns noch lange beschäftigen. Dabei wurden schon bisher längst überfällige Aufgaben vernachlässigt. Umso mehr gilt es, nun die richtigen Schritte im Bereich von Forschung, Bildung, Digitalisierung und Klimaschutz zu setzen.

Die Covid-19-Plage hat uns unsere Abhängigkeiten und Verwundbarkeit vor Augen geführt. Nachdem Ende 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan ein neues Virus entdeckt worden war, verbreiteten sich bald Meldungen, dass es sich dabei um einen gefährlichen Krankheitserreger handelt, der eine globale Pandemie auslösen könnte. Doch die Warnungen wurden nicht ernst genommen, und so verbreitete sich Sars-CoV-2 rasch über den Globus.

Die Staatengemeinschaft war darauf nicht vorbereitet, obwohl es seit Längerem Mahnrufe vor einer drohenden Pandemie gegeben hatte. Es war Leichtfertigkeit, diese Gefahr zu ignorieren, zu verharmlosen oder zu vertuschen. Zu lange hat man die Zeichen an der Wand ignoriert -mit inzwischen dramatischen Folgen: überfordertes Krisenmanagement, überlastete Gesundheitssysteme, massive Übersterblichkeit, radikale Shutdowns, rigorose Schulschließungen und dramatische wirtschaftliche Einbrüche.

Derzeit kämpfen wir mit der inzwischen durch Mutationen verschärften zweiten Welle, ohne zu wissen, wann diese überwunden sein wird. Zudem kann selbst bei schnellerer Durchimpfung eine dritte Welle im Herbst nicht ausgeschlossen werden. Vor allem aber ist künftig mit einer "Ära der Pandemien" zu rechnen. Darauf müssen wir uns vorbereiten, um die Gefahr zu bannen, dass dies "unser letztes Jahrhundert" (Martin Rees) sein könnte.


Eine Rückkehr zur 'alten Normalität' wird es nicht geben. Gefragt sind daher Ideen für eine ,neue Normalität'.

Angesichts dessen wird auch die wirtschaftliche Erholung nicht so rasch erfolgen wie nötig, um die Unterbeschäftigung durch Kurzarbeit zu überwinden und die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen. Dazu sind schnelle und wirksame Hilfsmaßnahmen und ein kräftiges Wiederbelebungsprogramm in Verbindung mit einer überlegten Zukunftsstrategie notwendig, um Aufträge für die Wirtschaft zu schaffen und durch Überwindung der Kaufunlust und Kaufunmöglichkeit die Nachfrage zu steigern.

Dazu sind aber bestehende Existenzängste und Zukunftssorgen zu überwinden. "Bidenomics" können dabei helfen, die Hausaufgaben müssen wir aber selbst machen, um ökonomische Stagnation oder gar Stagflation, d. h. Arbeitslosigkeit verbunden mit Inflation, zu verhindern.

Sicher scheint, dass die Krise nicht einfach verschwinden wird. Die Beseitigung der Kollateralschäden wird viel Zeit brauchen, wobei die Folgen im Bildungsbereich längerfristigere Konsequenzen haben werden als jene in der Wirtschaft, bei der jedoch aufgrund von Flurbereinigungen mit Geschäftsschließungen und Insolvenzen ebenfalls gravierende Effekte zu erwarten sind. Und auch die Folgen der "hidden Pandemie", also etwa mentaler Gesundheitsschäden aufgrund von Isolierung, Mangel an sozialen Kontakten und Vereinsamung, werden uns weiter beschäftigen.

Die überfälligen Maßnahmen

Eine verheerende Konsequenz der Pandemie ist, dass längst überfällige Aufgaben, vor allem Maßnahmen für Klimaschutz, Energiewende, Bildungsmodernisierung oder Digitalisierung, vernachlässigt wurden. Auch die Entwicklung von Antworten auf die drängenden Fragen des demografischen Wandels - Stichwort: " Altersbeben" - wurde vernachlässigt. Die Überalterung ist schon heute eine Herausforderung bei der Anwerbung von Mitarbeitern, der Finanzierung der Altersversorgung und des Gesundheitswesens, vor allem aber in der Pflege.

Diese Probleme werden zunehmen, wie auch die Herausforderung des Klimawandels. Das abgelaufene Jahr zählte zu den wärmsten seit Beginn der Messgeschichte. Die erforderliche Dekarbonisierung unserer Gesellschaften bedarf daher größerer Anstrengungen, vor allem für eine Energiewende. Auch im Steuerbereich ist es notwendig, wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz zu setzen, wie die Beseitigung von Speckgürtelpauschale, Dieselprivilegien und zu geringer Besteuerung der Treibstoffe zur Förderung des Tanktourismus. Es bedarf einer lenkenden Treibhausgassteuer, wobei die damit generierten Einnahmen aufkommensneutral genutzt werden müssten, um die hohen wettbewerbsschädigenden Lohnnebenkosten zu senken und mehr Netto vom Brutto zu erzielen.

Überfällige Offenheit für Technologien

Diese Maßnahmen dürfen jedoch keine Deindustrialisierung auslösen. Ein einziger emissionsintensiver Industriebetrieb benötigt 80 Windräder zur Erzeugung grünen Wasserstoffs. Wir werden folglich mehr und vor allem grünen Strom benötigen, um industrielle Produktion und E-Mobilität zu gewährleisten. Zudem ist die Umstellung von 1,5 Millionen österreichischen Einfamilienhaushalten auf klimafreundliche Heizungen notwendig, was neben Wärmedämmung ebenfalls mehr Ökostrom erfordert. Und schließlich erhöht auch die notwendige Digitalisierung den Stromverbrauch, womit die Gefahr von Stromknappheit, Versorgungslücken und Stromausfall steigt.

Zudem braucht es einen Digitalisierungsschub für Industrie 4.0 bzw. 5.0, womit die kreative Zusammenarbeit von Mensch und Maschine angepeilt wird. Es gilt, E-Government voranzutreiben, damit man keine Meldezettel oder Firmenbuchauszüge in Papierform braucht oder bereits digital erstellte Architekturpläne zur Einreichung wieder auf Papier vorgelegt werden müssen, um dann von der Behörde erneut eingescannt zu werden. All dies wird mit großen Datenmengen verbunden sein. Diese benötigen ebenso wie Blockchain, Algorithmen und künstliche Intelligenz entsprechende (Super-) Computer und flächendeckende Netzwerke (Stromleitungen, Glasfaser, 5G, bald schon 6G). Diesbezüglich herrscht hierzulande Nach- und Aufholbedarf. Ebenso bedürfen Biotechnologie, Neuround Computerwissenschaften und Superintelligenz massiver Förderung, die Gefahr von Cyber- und Bioterror sowie jene von Black-outs größerer Aufmerksamkeit.

Die Arbeitswelt und berufliche Anforderungsprofile werden sich aufgrund der Digitalisierung markant verändern. Bildungs- und Ausbildungswesen müssen daher enger mit lebenslangem Lernen verknüpft werden, z. B. Weiterbildung für Lehrerinnen und Lehrer, um digital lehrfähig zu sein. Dazu gehören - wie seinerzeit die Gratisschulbücher - freie, digitale und pädagogisch ausgerichtete Lehr- und Lernprogramme, nicht zuletzt, um die Spaltung der Gesellschaft in Plattformökonomie mit sicheren, gut bezahlten Arbeitsplätzen und Gig-Ökonomie mit schlecht bezahlten, unsicheren Jobs zu vermeiden.

Und endlich braucht es auch die Umsetzung der Staats- und Verwaltungsreform. Es gilt, den Regulierungswahn abzuschaffen und Vorschriftendschungel zu durchforsten. Dazu braucht es politische Bereitschaft bzw. den Willen, das Notwendige zu tun, wofür die bestehende Reformverweigerung und die Veränderungsresistenz überwunden werden müssen. Mit der Einstellung, "es soll sich alles ändern, aber alles muss gleich bleiben", wird es nicht gehen. Nur der Wandel ist beständig; dies gilt insbesondere für Wissenschaft und Forschung, die politischen Stiefkinder in Österreich.

Gerade in der Krise haben die rasch erfolgreichen Bemühungen zur Entwicklung von Impfstoffen gezeigt, wie wichtig Forschungsförderung und Stärkung der Innovationskraft für alle sind. Dies sollte die Politik nach langjährigen Versäumnissen hierzulande endlich verstehen und dementsprechend handeln, um diesbezüglich goldene Zwanzigerjahre zu schaffen. So könnten die milliardenschweren Einsparungen bei den Zinsausgaben sinnvoll verwendet werden.

Trotz der Hoffnung gebenden Impfungen wird viel zu tun sein, um eine neue Welt zu gestalten und ein sicheres und besseres Leben zu ermöglichen. Fest steht auch, dass wir nicht in Verhältnisse wie vor der Corona-Krise zurückkehren werden. Eine Rückkehr zur "alten Normalität" wird es nur teilweise geben können. Gefragt sind daher Ideen für eine vielfach "neue Normalität". Und wenn es gelingen soll, diese erfolgreich und zum Wohle der Menschheit zu gestalten, braucht es verstärkte Anstrengungen in Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Innovation.

Bei allen Bemühungen müssen zudem Grund-und Freiheitsrechte eingehalten werden. Die von den Feinden der Demokratie ausgehende Gefahr muss von Anfang an abgewehrt werden. Jede Krise ist ebenso Gefahr wie Chance. Letztere müssen wir im europäischen Kontext und mit internationaler Kooperation ergreifen sowie unsere vernachlässigten Hausaufgaben erfüllen. "Österreich über alles, wann es nur will."


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