Globetrottel und Kosmoproleten

Essay. Sind heutige Reisende wirklich solche Koffer, wie man sagt? Oder entwickelt sich auch hier Neues?

Helmut A. Gansterer

Helmut A. Gansterer

Meine klugen Leserinnen und schönen Leser werden schön schauen. Seit Jahrzehnten kennen sie den trend-Premium-Essay als Hochburg der Höflichkeit, als Atoll der Achtsamkeit und als Textlandschaft, deren spitzeste Gipfel höchstens die Wolken der Ironie, aber nicht des Zynismus streifen.

Jetzt aber, aus einem heiteren Himmel heraus, plötzlich diese artfremde Überschrift. Darin locken zwei Schimpfwörter, die Langzeitleser gar nicht in meinem Wortschatz vermuten wie auch die eigenen Kinder nicht, die aber, im Gegensatz zu den Lesern, entzückt sein dürften. Ihre Hoffnung, der Gentleman-Vater habe sich endlich zu einer gruseligen Gangart entschlossen, muss ich aber im Keim ersticken.

Die grobe Headline dieses Essays ist rein handwerklich zu verstehen. Als Profischreiber ist man verpflichtet, von Zeit zu Zeit zu überraschen. Am besten durch inhaltliche Abwechslung. Eine thematische Vielfalt wird immer gern gesehen, doch mögen zuweilen auch äußere Signale erfrischen.

Es ist bei Essayisten wie in der Liebe, wo ein Mann viele Gutpunkte sammelt, wenn er der Holden statt der üblichen, langstieligen Roten mal eine selbstgepflückte Schafgarbe vom Wegesrand heimbringt oder einen Brüller (für unsere Auslands-Abonnenten: Brillanten) in feiner Fassung.

Eigentlich hatte ich als optischen Kick einen Essay in Füllfeder-Handschrift vorgesehen. Im heurigen Extremsommer wäre diese Mühe aber tödlich gewesen.

Es war leichter, mit "Globetrottel" und "Kosmoprolet" (Copyright: Alex Kristan) zu überraschen.

Dass ich in diesen Wörtern ungeübt bin, erkannte ich darin, dass ich in der Mehrzahlbildung von "Trottel" unsicher war. Mit "n" am Ende oder nicht? Spielt aber keine Rolle. Die glänzenden Korrektoren unseres Verlags wissen das. Weshalb das angenehme Vorurteil, Journalisten könnten jederzeit eine fehlerfreie Ansichtskarte schicken, voreilig ist. Selbst Nobelpreisträger Gabriel García Márquez ("Hundert Jahre Einsamkeit"), dessen Magischer Realismus den doppelten Wortschatz des Minimalistischen Existenzialismus des Nobelpreisträgers Albert Camus verlangte, war bis an sein selig Ende eine orthografische Null.

So viel aus dem Nähkästchen eines schönen Berufs. Nun also steht die Überschrift (Titelzeile, Headline) so da, wie sie ist, untergriffig, gefühlskalt, gemein. Doch siehe: Das Infame erwies sich als inhaltliche Hilfe. Es führt gleich mitten hinein in das Thema. Im wesentlichen geht es um Entwicklungen der Kultur und Unkultur des Reisens.

Meine erste Beobachtung zum Thema ging dahin, dass ich, im Flughafen auf einen meiner tausend Delayed Charterflights wartend, zum ersten Mal erkannte, dass vor allem Globetrottel und Kosmoproleten über Globetrottel und Kosmoproleten schimpfen.

Das war mir im Zusammenhang mit Reisen früher nicht aufgefallen. Die Reisen waren immer auch Arbeit und die Gedanken woanders. Als Phänomen freilich ist die Sache wohlvertraut.

"Der Mensch in seinem dunklen Drang ist sich des rechten Weges wohl bewusst", lehrte schon der oberg'scheite Goethe. Weshalb wir nichts so hassen wie Spiegelbilder unseres eigenen, schlechteren Selbst. Ein gänzlich Anderer ist uns zehnmal lieber. Der dänische Philosoph Kierkegaard schrieb: "Wehmütig grüßt der, der ich bin, den, der ich sein könnte."

Auch André Heller weiß heute alles darüber, mit der Weisheit der reifen Jahre. Dennoch denke ich gern an einen Satz seiner Rotzlöffel-Jahre zurück, als ihm der Witz noch wichtiger war als die Wahrheit: "Wien ist die einzige Stadt, wo die Langhaarigen den Langhaarigen nachschauen." Sein Wien, das sind wir alle.

Alle Versuche, ein Fehlverhalten der heutigen Globetrottel verständnisvoll abzufedern und auf ein natürliches Menschsein zu reduzieren, darf freilich nicht so weit gehen, eine Klimax der heutigen Reise-Unkultur zu verschweigen.

Niemand, der je die Grenzen Europas überschritt und die meisten weltweiten Reiseziele kennt, kann die Zeichen einer primitiven Verklumpung übersehen, die mit dem Motto "Billig, aber viel" einherging. Das ging lange gut, wird aber wie jede überdehnte Blase platzen, egal, ob Wall Street oder Sun-Resort de luxe.

Da geht es nicht mehr darum, ob die sparsam buchenden Globetrottel und Kosmoproleten (also viele von uns) einander spinnefeind sind, weil sie die Sitzreihen in den Billigairlines weiter verengen und manche Bordverpflegung schon zur dünnsuppigen Armenausspeisung machen, sondern um einen objektiven, in groben Sprüngen erreichten Horror, der ab jetzt an die Substanz greift und bald implodieren wird.


Das jäh beschleunigte Null-Service-Racing lockte kalte Kalkulanten an allen Ecken und Enden, die dafür auch noch die richtigen Kunden finden.

Er umfasst nun alle Dienstleistungsstufen, von der Selbstbuchung ohne Rat &Tat über die automatisierten, entmenschlichten Airports, die einst Vorboten des Urlaubsglücks waren, bis zu den Zielhotels, wo Rezeptionisten, die schlechte Zimmer ohne Liftnähe und Meerblick zuteilen, einen schönen Bonus ihres erbärmlichen Gehalts erwarten.

Dieses jäh beschleunigte Null-Service-Racing lockte kalte Kalkulanten an allen Ecken und Enden. Die momentan daran gehen, alles noch halbwegs Erträgliche zu übersteigen. Und dafür auch noch die richtigen Kunden finden.

Ich liebte das stille, elegante Cap Formentor auf Mallorca, auch die Wirkstätten von George Sands und ihres Geliebten, Frédéric Chopin. Bald darauf, Thomas Bernhard nachspürend, traf ich in Las Palmas auf meinen ersten "Ballermann". So nennt man jene, die in Sonne, Meer und Komasaufen den idealen Urlaub sehen. Man wird sie bald schon spöttisch verehren. Als Ekel, die ein Umdenken der jungen Tourismusunternehmer erleichterten: Weg von der grausigen Sangriamenge, hin zur Qualität.

Wirklich leicht ist dieser Weg nicht. Er hängt auch vom Standort ab. An einem Strand der Karibik, wo ich einst glücklich nach dem einzigen Originalwrack tauchte, liegen jetzt fünf Wracks. Und Teile Asiens werden immer auf billig setzen.

Kein Unglück für Europa. So wie bei Industrieprodukten die Marken "Made in Austria" und "Made in Germany" als geldwerte Auszeichnungen gelten, wird es für Österreich auch im Tourismus wichtig sein, niemals ein Billigland zu sein. Eine Idee, auf die Österreichs Wintertouristen ohnehin nie gekommen wären.

Man darf sagen, man sei im Wintertourismus in Qualität und Preis stramm vorausgegangen, mit einer genetisch günstigen Mischung aus alten bäuerlichen Tugenden wie "geiziger Freude an Geld und Fläche" und einer kreativen jungen Generation, die den Eltern viel Neues abgerungen hat. Dies zum Wohl der Bilanzen - so ähnlich wie bei den Weinbauern im Süden und Osten Österreichs.

Das einstige Stiefkind Sommertourismus zieht jetzt flott nach. Einerseits begünstigt durch die jetzt gefürchteten Süd- und Ostküsten des Mittelmeers, aber auch durch kreative SommersportOfferte. Man bietet germanische Zuverlässigkeit mit österreichischer Heiterkeit, die nichts zu ernst nimmt.

Schon vor der heutigen Umbruch-Zeit bewunderte ich zwei Häuser an der Grenze Kärntens zur Steiermark, die in allen Jahreszeiten brillierten und niemals billig waren: Das "Ronacher" der Simone Ronacher in Bad Kleinkirchheim, das "Hochschober" der Karin Klein (geb. Leeb) auf der Turracher Höhe. Beider Gründerväter, Günther und Peter, waren meine Freunde. Sie werden stolz auf ihre Prinzessinnen blicken.

Sie sind uns vorausgegangen, machen jetzt auf Wolke sieben Quartier. Das heißt: die beste Bar der Welt. Feinspitze werden dort Champagner kriegen. Mir wird Einfaches genügen, ein Wachauer Federspiel, ein DAC-Veltliner des Weinviertels.

Allen Ernstes glaube ich, Österreich sei grosso modo das beste Tourismusland der Welt, mit Einschluss der Sicherheitsaspekte, die speziell japanische Unternehmer als Liebhaber klassischer Musik schätzen. Nur in Wien wagen ihre Frauen, die echten Juwelen vom Hotel Imperial zur Oper zu tragen, immerhin 300 Meter.

Dieses Kompliment genügt mir nicht. Ich möchte Österreich auch als geistigen Urheber einer liberalen, unternehmerfreundlichen Wettbewerbswirtschaft "mit Hausverstand und Augenmaß" gelobt sehen. Leider gibt es darin die Konkurrenz eines anderen kleinen Landes: Schottland. Weshalb wir diese Diskussion in eine Scotch Distillery der Highlands vertagen müssen, mit dem üblichen Abschiedsgruß: Next time, same station.


Der Essay ist der trend.PREMIUM-Ausgabe 35/2018 vom 31. August 2018 entnommen.

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