Frauen an der Spitze: Das Ende des Patriarchats? [Kommentar]

Angela Merkel, Ursula von der Leyen, Annegret Kramp-Karrenbauer, Christine Lagarde: Brigitte Ederer über den weiblichen Machtzuwachs in Deutschland und Europa.

Frauen an der Spitze: Das Ende des Patriarchats? [Kommentar]

So haben wir uns das Ende des Patriarchats nicht vorgestellt", schrieb die Berliner "taz" als Überschrift zu dem Foto, das Kanzlerin Angela Merkel mit der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der neuen deutschen Verteidigungsministerium Annegret Kramp-Karrenbauer zeigt.

Am anderen Ende des politischen Spektrums schrieb "Bild"-Kolumnist Franz Josef Wagner: "Die Frauen haben das Sagen übernommen. Sie sprechen anders als Adam. Sie lächeln, sie umarmen dich, obwohl ihre Süße Salz ist. Sie sind die Superfrauen. Sie sind das härteste Geschlecht. Sie sind Rosen mit Stacheln."

Die Kommentare der letzten Wochen zu den Besetzungen von Führungspositionen in Deutschland und Europa verfolgend, bin ich zum einen belustigt und zum anderen nachdenklich.

Zuerst zum Amüsement: Die Angst der Männer vor dieser "Frauenpower" trieft aus fast allen Kommentaren. Es gibt nicht nur eine mächtige deutsche Kanzlerin, die die kränkende Bemerkung Helmut Kohls "mein Mädchen" längst vergessen gemacht hat. In Brüssel bildet sich eine Gruppe willensstarker, erfahrener Politikerinnen namens Von der Leyen, Vestager und Lagarde heraus. Die jugendliche Greta Thunberg dominiert die politische Agendasetzung beim Klimawandel. In Italien nimmt eine mutige, in sich ruhende Kapitänin namens Carola Rackete den Kampf gegen den Innenminister auf, der sie beleidigt und verachtet.

In den USA lassen sich vier weibliche demokratische Abgeordnete nicht von den rassistischen Äußerungen Donald Trumps unterkriegen. So bedrückend dieses Verhalten eines Trumps oder eines Salvini ist, so erfreulich ist das Selbstbewusstsein und die Standhaftigkeit der Angegriffenen.

Weiblicher Konservativismus

Nun zu dem Teil der Geschichte, der mich nachdenklich stimmt: Es handelt sich bei den jüngsten Karriereschritten ausschließlich um Frauen aus dem konservativen Lager. Sicherlich sind solche Ernennungen zu einem Teil zufällig. Aber es ist doch überraschend, dass zum fast selben Zeitpunkt Andrea Nahles an den Parteistrukturen gescheitert ist. Und in Österreich muss sich eine SPÖ-Vorsitzende, die vom Werdegang und von ihren Wertvorstellungen ein sozialdemokratisches Role Model ist, immer wieder mit Männern ihrer Partei, die alles besser wissen (und glauben, sie könnten es auch besser), herumschlagen.

Offensichtlich hat die Sozialdemokratie noch eine große Aufgabe vor sich: die Lücke zwischen programmatischem Anspruch und politischer Umsetzung in den eigenen Reihen zu schließen.

Angesichts dieser jüngsten Besetzung mit Frauen aus dem konservativen Lager stellt sich die Frage: Schlägt Geschlecht Inhalte? Für mich sicher nicht. Margaret Thatcher war eine Frau, aber mit einer desaströsen Politik.

Die Kraft der Mitte

Eine Erklärung für den weiblichen Machtzuwachs ist sicher, dass Merkel längst nicht mehr nur konservative Werte vertritt. Sie ist im Laufe ihrer Kanzlerschaft in die politische Mitte gerückt - in der Flüchtlingsfrage würde ich ihr sogar sozialdemokratische Grundwerte unterstellen. Von der Leyen hat mit ihrer Rede im Europaparlament eine Hochrisikostrategie gefahren und gewonnen. Sie hat sich vom konservativen Gedankengut teilweise verabschiedet und Positionen der Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten übernommen.

Christine Lagarde hat in vielen Reden die Auswüchse des globalen Kapitalismus kritisiert, und konservative Medien haben sogar von einem Linksruck des IWF unter ihrer Führung gesprochen.

Aber bei aller Anerkennung vergangener Verdienste dieser Frauen warten enorme politische, wirtschaftliche und ökonomische Herausforderungen auf sie. Es bleibt zu hoffen, dass auch jene Männer sie unterstützen werden, die diesen Herausforderungen oftmals ausgewichen sind. Hinzu kommt, dass insbesondere von extrem konservativen Kreisen wieder ein Frauenbild verbreitet wird, das nicht nur ich als längst überholt angesehen habe. Mit Recht erwarten sich viele Frauen, die durch diese "Gegenrevolution" bedroht sind, eine klare Unterstützung durch die Frauen an der Spitze europäischer Politik.

Ich weiß nicht, wie die Geschichte ausgehen wird, gestehe allerdings, dass ich mich beim Anblick der Bilder aus Brüssel und aus dem Berliner Schloss Bellevue, das die drei deutschen Politikerinnen entspannt zeigt, ein wenig gefreut habe.


Die Autorin

Brigitte Ederer

Brigitte Ederer

Brigitte Ederer war in ihrer aktiven Zeit Politikerin und Managerin. Unter anderem bekleidete sie die Funktionen der EU-Staatssekretärin, der Wiener Finanzstadträtin, der Siemens-Österreich-Chefin und der Personalchefin Siemens weltweit. Privat investiert sie in Start-ups.


Der Gastkommentar ist der trend-Ausgabe 31-32/2019 vom 2. August 2019 entnommen.


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