Franz C. Bauer: Was wir von Corona gelernt haben
Ja, was haben wir von Corona gelernt? Nichts. Zumindest nicht viel. Das ist einerseits ein wenig betrüblich, hat aber doch auch gute Seiten.
Franz C. Bauer, trend-Redakteur
Es war ein wertvoller Beitrag zur Herdenimmunität, den einige prominente Marken des Einzelhandels da eilig vor dem absehbaren Lockdown lieferten: Geschäftseröffnungen und Ausverkaufspreise als Trost in den schweren Zeiten einer Pandemie mit obrigkeitlichen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit - eine gute Idee. Menschen aus dem vierten Quartil der geistigen Fähigkeiten (etwa der Fähigkeit, ihren Verstand zu benutzen) griffen diese Chance, sich noch rasch zu infizieren, begeistert in Tausendschaften auf.
An den Zahlen der Neuinfektionen lässt sich der Erfolg solcher und ähnlicher Aktionen leicht ablesen. Dieser Tage schafften wir endlich den Rekord: In keinem anderen Land der Erde gab es, bezogen auf die Bevölkerung, so viele Neuinfektionen wie in Österreich. Wär doch gelacht, wenn wir die Zehntausendermarke nicht auch noch schafften!
Schwer ist das Leben von Oppositionspolitikern in solchen Zeiten. Die Regierung sonnt sich fast täglich bei der Verkündigung neuer, nicht immer perfekt durchkonstruierter Corona-Regeln in den Blitzlichtern der MNS-bewehrten Medienvertreter. Stimmt man den von den Mehrheitsfraktionen vorgelegten legistischen Eindämmungsversuchen zu, interessiert das keinen Menschen. Versucht man, mit Gegenargumenten irgendwie ein Zipfelchen der öffentlichen Aufmerksamkeit zu erhaschen, läuft man Gefahr, das Geschäft von Verschwörungstheoretikern, Realitätsverweigerern oder gar rechten Umstürzlern zu besorgen. Opposition ist in Corona-Zeiten ein undankbares Geschäft.
Es gibt auch gute Nachrichten. Die Pharmaindustrie will Vakzine in der Pipeline haben, deren Wirksamkeiten jene von Grippeimpfungen deutlich übertreffen. Die Auswirkungen dieser Meldung sind aufschlussreich und lassen sich am augenscheinlichsten an den Börsen ablesen. Aktienkurse legten auf breiter Front zu, Gold hingegen, seit Menschengedenken Fluchtwährung in Zeiten des Umsturzes und der Krise, wurde billiger.
Ob jemandem die seltsame Diskrepanz aufgefallen ist? Auf der einen Seite: weltweit bisher mehr als 55 Millionen Covid-Infektionen, mehr als 1,3 Millionen Tote, weiter steigende Infektionszahlen in den wichtigsten Industrieländern, massive Arbeitslosigkeit, abermaliger Lockdown samt Lähmung der wirtschaftlichen Aktivitäten in zahlreichen Branchen und die Aussicht auf eine Pleitewelle 2021. Auf der andere Seite: Jubelmeldungen zum bevorstehenden Sieg über das Virus, Euphorie und Millionengewinne an den Börsen, leichtsinnige Menschenscharen im ungebremsten Konsumrausch.
Verräterisch ist das Geschehen an der Börse. Welche Aktien kaufen Anleger im Schatten der Krise? Wohl nur solche von Unternehmen, deren Geschäftsmodell man nachvollziehen kann, deren Dienste man in absehbarer Zeit in Anspruch nehmen will. Genau: Erdölfirmen, Fluglinien und Reisekonzerne legten zu. So weit zu den Prophezeiungen, das Virus werde zu einer Umkehr führen, werde die Konsumgewohnheiten nachhaltig ändern.
Das wird es offenbar nicht. Zumindest nicht in wesentlichen Bereichen. Vielleicht wird die eine oder andere Konferenz als Videomeeting stattfinden, wird der eine oder andere Tag im Homeoffice verbracht. Auf längere Sicht dürfte das aber kaum zu einer spürbaren Entlastung der Umwelt führen, zu weniger Straßen- oder Flugverkehr. Auf längere Sicht haben wir mit größter Wahrscheinlichkeit aus der Krise nichts gelernt. Zumindest nicht viel. Das ist natürlich betrüblich.
Andererseits - gerade die spontane Reaktion der Anleger zeigt: Das Virus konnte den Glauben an die "Zeit danach" samt "Normalität von davor" nicht auslöschen. Das kommende Jahr wird einiges an Scherben bringen, einige Unternehmen ihre Existenz kosten. Bisweilen schlägt der Optimismus auch in Leichtsinn um - siehe Einkaufswahnsinn im Vorfeld des "harten" Lockdowns.
Doch dies ist nur die Kehrseite jener Medaille, auf deren Vorderseite Risikobereitschaft, Wagemut und Unternehmergeist stehen - jene Eigenschaften, die noch aus jeder Krise geführt haben und die auch aus dieser Krise führen werden. Das ist die gute Nachricht in dieser so mühsamen Zeit. Aber damit das möglichst alle erleben, ist nicht nur der "harte Lockdown" nötig, sondern mehr Konsequenz als bisher bei dessen Durchsetzung.