Michael Hirschbrich: Feuer am Dach des Silicon Valley
Donald Trumps Wahlversprechen bedrohen den Lebensnerv der Hightech-Enklave. Die Stimmung schwankt von Schock zu Zweckoptimismus und wieder zurück zu Schock. Ein Bericht aus Kalifornien.
Michael Hirschbrich, Mitbegründer Updatemi
Zwischen 70 und 85 Prozent der Menschen, die im Silicon Valley leben, wählten Hillary Clinton. Die sogenannte Bay- Area mit ihren vielen kleinen Orten zwischen San José und San Francisco gilt als demokratische Hochburg. Im Start-up-Mekka saß der Schock nach der Präsidentenwahl deshalb besonders tief. Der wich nur kurz, als einige Journalisten und Pragmatiker spekulierten, womöglich seien Donald Trumps Wahlkampfversprechen reine Taktik gewesen. Es würde schon nicht so heiß gegessen wie gekocht.
Inzwischen ist dieser Zweckoptimismus nach den bisherigen Bestellungen von Mitstreitern Trumps dramatisch gedämpft. Das liegt etwa an Mike Pompeo (Kansas), ehemaligem Offizier und ultrakonservativem Tea-Party-Anhänger, der dem mächtigen CIA vorstehen wird. Pompeo hielt schon zu Beginn des Jahres mit Bemerkungen zum Thema Datenverschlüsselung nicht hinter dem Berg, dass so etwas nämlich nur jemand verwenden würde, der etwas zu verbergen hat.
Die Spitzen des Valleys waren ohnehin schon unglücklich mit der Politik in Washington, denn Skandale rund um die NSA und Zwänge, Daten von Privaten in den elektronischen Medien gegenüber dem Staat offenzulegen, fügten den global führenden Online-Netzwerken enormen Schaden und Vertrauensverluste zu. Und Pompeo gehört zu den radikalen Verfechtern der NSA-Überwachung.
Pompeo war es auch, der Apple-CEO Tim Cook heftig kritisierte, als dieser im Rahmen von Ermittlungen nicht ohne Weiteres Daten von iPhone-Nutzern an das FBI übermitteln wollte.
Das Silicon Valley ist bekannt dafür, extrem schnell auf Veränderungen und Bedrohungen zu reagieren. Als 2008 die Wirtschaftskrise mit dem Crash von Lehman Brothers ausbrach, kamen die Reaktionen schnell und radikal. Eine der bekanntesten Investmentfirmen, Sequoia Venture Capital, schlussfolgerte trocken: "Get Real Or Go Home". Alle Beteiligungen wurden aufgefordert, aggressiv Kosten zu senken, profitabel zu werden und Cash zu bunkern. Bewertungen wurden gedrückt und die eigenen Investitionen massiv zurückgefahren.
So gut wie alle folgten dem Beispiel Sequoias, und binnen weniger Monate leerten sich Büros und Wohnungen in Orten wie Mountain View, Palo Alto oder Sunnyvale. Geradezu gespenstisch muteten damals die sonst so belebten Plätze rund um die Stadtzentren an. Die Mieten sanken auf ein Rekordtief. So bezahlte man in dieser Phase für ein Haus nahe Downtown mit vier Schlafzimmern und vier Bädern nur noch 2.800 Dollar pro Monat, heute blättert man ohne Weiteres 5.000 bis 7.000 dafür hin.
Der Lebensnerv des Valley
Man muss das Silicon Valley verstehen, um seine Panik nach dem Trump-Sieg richtig einordnen zu können. Es ist der global erfolgreichste Cluster aus Universitäten, Gründern und Investoren, und es hat vor allem geschafft, die klügsten Köpfe aus allen Regionen der Welt wie ein riesiger Magnet anzuziehen und durch ein gnadenloses Sieb zu pressen, um an die Allerbesten zu kommen. Gewaltige 800 Milliarden US-Dollar beträgt das BIP der Bay Area, das ist doppelt so viel, wie der gesamte Staat Österreich erwirtschaftet. Das Wagniskapital, das im Silicon Valley in junge Start-ups gepumpt wird, ist etwa um ein Viertel höher als jenes im gesamten Rest der USA. Tech-Giganten wie Apple, Google und Facebook sowie aggressive "Unicorns" wie Uber, Airbnb oder Tesla dominieren deshalb seit Jahren die globalen Schlagzeilen.
Es gibt Ideen, Kalifornien von den USA abzuspalten oder auf Inseln im Pazifik auszuweichen.
Der Grund für den Erfolg liegt vor allem in der Diversität seiner Bewohner und in der statistischen Wahrscheinlichkeit, dass bei so vielen internationalen und hochtalentierten Nerds der eine oder andere neue "Steve Jobs" darunter ist. Etwa ein Drittel der im Valley Beschäftigten wurden im Ausland geboren, vor allem in China und Lateinamerika. Aus Europa und Indien kommen etwa je zehn Prozent der Menschen. Rund drei Viertel der supererfolgreichen Valley-Firmen wurden von Immigranten gegründet. Von den 1,2 Millionen Arbeitnehmern sind fast eine halbe Million bei Hightech-Firmen beschäftigt.
Zwei Drittel der Menschen mit akademischem Grad kommen davon aus dem Ausland. Um die besten Manager und Developer ist ein gewaltiger Konkurrenzkampf entbrannt. Die Gehälter sind bei Entwicklern der untersten und mittleren Ebene etwa zwei-bis dreimal so hoch wie bei uns, Google bietet gratis Massagen und Essen, Twitter ein exklusives Fitnesscenter.
H-1B heißt eines der begehrtesten Visa, um das sich Ausländer reißen. Die rund 70.000 zur Verfügung gestandenen Visa waren zuletzt in nur einer Woche vergeben und wurden kurzerhand per Lotterie verlost. Trump warnte bereits im Wahlkampf vor "Missbrauch" dieses Einreiseinstruments. Aber die hoch gebildeten, ausländischen Arbeitskräfte sind die Lebensader des Silicon Valleys. Ohne sie könnten Facebook, Google &Co. nicht die Welt dominieren.
Facebook-Boss Mark Zuckerberg rief deshalb den Branchenverband FWD.us ins Leben, der sich genau darum kümmern soll. Ziel ist unter anderem eine große Reform der Immigrations-Gesetze bis 2017. Microsoft-Gründer Bill Gates unterstützt diese Reform ebenso wie Yahoo- Ceo Marissa Mayer. Auch mittelgroße Start-ups sponsern nicht selten die Visa von Immigranten, um an Talente zu kommen. Wer seinen Job verlor, musste schon bisher binnen kürzester Zeit das Land verlassen -weil Aufenthalts-und Beschäftigungsgenehmigungen mit dem Arbeitgeber verknüpft waren. Unter Trump könnten sich die Bedingungen weiter verschärfen und zu einer Abwärtsspirale der Verunsicherung im Arbeitsmarkt führen.
Trump-Sieg dank Produkten aus dem Valley
Ausgerechnet Social Media sollen dem exzentrischen Milliardär die Stimmen der Wutbürger gegen das Establishment in Washington D.C. gebracht haben. "Ich sage nicht, dass ich das Internet liebe. Aber es verbreitet die Botschaft erfolgreich", analysierte Trump gewohnt provokant seinen Überraschungserfolg. Rund 28 Millionen Nutzer erreichte der Außenseiter über Kanäle wie Facebook und Twitter, und viele Kommentatoren machen die sogenannte Filter-Bubble bei Facebook dafür verantwortlich.
Diese Algorithmen zeigen dem User vor allem Inhalte, die er selbst mag. Das ist der Monetarisierung förderlich, denn User, die sich in ihrer Meinung bestärkt fühlen, verbleiben länger auf der Seite und konsumieren damit auch mehr Werbung. Für Meinungsbildung und Demokratien sei dies aber sehr bedenklich, warnen Experten. Zuckerberg bestreitet indes vehement, dass sein Produkt Trump zum Erfolg verholfen haben könnte.
Aufstand gegen die Bedrohung
Das Wettern Trumps gegen Immigranten hat Feuer am Dach des Silicon Valleys entfacht. 140 führende Persönlichkeiten aus der Tech-Industrie haben bereits im Juli einen offenen Brief an Trump verfasst, in dem sie ihn als "Desaster für Innovation" bezeichneten. So brachte es Apple-Mitgründer Steve Wozniak auf den Punkt: "Seine Ideen richten sich gegen den offenen Austausch von Ideen, den freien Zuzug von Menschen und den aktiven Austausch mit der Welt da draußen, was kritisch ist für unsere Wirtschaft."
Einzig Enfant terrible Peter Thiel setzte auf Trump. Der libertäre Investor bei Facebook sieht in Trump den ersehnten Wandel, der zudem als einziger den "wirtschaftlichen Abschwung" ehrlich beim Namen genannt und Rezepte dagegen entwickelt habe. Dass Trump generell Computern mit "gemischten Gefühlen" begegnet und den Leuten rät, sich das Internet wieder abzugewöhnen, stört den Tech-Milliardär anscheinend nicht.
Trump weiß: Das Valley ist Hassobjekt der Wutbürger. Ganz wenige verdienten dort ein Vermögen und ersetzen mit ihren disruptiven Ideen Arbeitsplätze des kleinen Mannes. Die unterdurchschnittlich gebildeten weißen Männer des Mittleren Westens sind Gegenpol zu den hochbegabten Immigranten. In seiner Botschaft "Make America Great Again" schwingt ein neuer Protektionismus mit. Er will Produktionen aus Asien und Lateinamerika zurück in die USA holen und Amerikanern Arbeitsplätze geben anstatt Ausländern und Immigranten. Da passt perfekt ins Bild, dass Trumps Chef-Stratege Steve Bannon "die zu vielen CEOs aus (Süd-)Asien" verächtlich macht. Damit trifft er den Nerv der Globalisierungsgegner, die ihren weiteren sozialen Abstieg fürchten und das Establishment dafür verantwortlich machen.
Stimmen aus dem Valley
Promi-Investor Shervin Pishevar würde am liebsten eine Initiative starten, um aus Kalifornien eine eigene Nation zu machen. Diese Idee ist nicht ganz neu, schon früher dachten einige Prominente darüber nach, zumindest das Silicon Valley unabhängig(er) zu machen. Auch Überlegungen, ausländische Arbeitskräfte auf künstlich errichteten Inseln oder umgebauten Tankern im Pazifik arbeiten zu lassen, wurden diskutiert.
Dave McClure, Gründer des bekannten Inkubators 500 Startup, machte seinem Ärger nach der Wahl öffentlichkeitswirksam Luft: "If you're not f...... pissed right now, what is wrong with you?" wurde per Video im Valley verbreitet, gefolgt von einer minutenlangen Schimpftirade und dem Aufruf, Trump doch noch zu verhindern. Und Amazon-Boss Jeff Bezos schlug vor, Trump am besten ins All zu schießen.
Auch die Österreicher im Valley sind angespannt. Max Schnödl, Spitzenmanager beim Vorzeige-Venture Accela, hofft, dass pragmatischere Republikaner wie Paul Ryan Trump in eine vernünftigere Richtung bewegen. Die Bedrohung, nämlich Immigranten zu erschweren, ins Valley zu gehen, nimmt aber auch er ernst. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz initiierte erst vor Kurzem Open Austria -mit einem gemeinsamen Büro mit der Wirtschaftskammer in San Francisco, um Unternehmen den Zugang zum Valley zu erleichtern - und freut sich über die bislang große Nachfrage. Die Frage ist, wie lange noch?
Zur Person
Michael Hirschbrich ist Co-Gründer des Mediendienstleisters updatemi.
Der Oberösterreicher studierte in Linz, Sevilla und Hongkong und lebt vornehmlich im Silicon Valley. Hirschbrich ist auch im Beratungsgremium der Politischen Akademie von Außenminister Sebastian Kurz.