Brexit und Boris Johnson: Mit Vollgas in die Sackgasse

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson steht vor einem Chaos, das er selbst verursacht hat. Letztlich bleibt nur eine Lösung. Welche das ist erklärt Franz C. Bauer in seinem Kommentar.

Franz C. Bauer, trend-Redakteur

Franz C. Bauer, trend-Redakteur

Bestsellerautor Tom Hodgkinson, international bekannt durch seinen Buch "How to be idle", auf Deutsch erschienen unter dem Titel "Anleitung zum Müßiggang", hat zum neuen britischen Premierminister seinen eigenen Zugang gefunden. "Is Boris idle?" (Ist Boris faul?), fragt er in seinem periodisch erscheinenden Rundbrief, mit dem der Prophet des Müßigganges regelmäßigen Kontakt zu seiner weltweit verbreiteten Fangemeinde hält. Weit über die Grenzen des Vereinigten Königreichs hinaus ist die Befindlichkeit des neuen britischen Premiers zum Thema geworden. Ein unberechenbarer Boris Johnson, ein ungeregelter Brexit - Gefahr für Großbritanniens Wirtschaft, Bedrohung für Europas Wohlstand?

Die Antwort Hodgkinsons auf seine provokante Frage klingt aus dessen Sicht verheerend, aus "resteuropäischer" Perspektive aber zunächst beruhigend: Zwar heiße es von Boris Johnson, er sei faul, doch die konservative Partei predige nachdrücklich das hohe Lied der Arbeit, und vor allem von einzelnen Regierungsmitgliedern sei zu erwarten, dass sie die Zügel eher anziehen, als diese zu lockern. So zitiert Hodgkinson die neue britische Innenministerin Priti Patel mit dem Ausspruch "Die Briten zählen zu den übelsten Faulpelzen der Welt". An sich wäre es nach dieser mäßig schmeichelhaften Diagnose logisch, zur Stärkung der britischen Wirtschaft einen möglichst engen Kontakt zur EU zu suchen. Doch Patel zählt wie praktisch alle neuen Regierungsmitglieder zu den Unterstützern Johnsons bedingungsloser "Austritt bis 31. Oktober ohne Wenn und Aber"-Politik.

Dickköpfe hier und da

Eine Wortmeldung des ebenfalls neuen britischen Außenministers Dominic Raab lässt ahnen, was in den kommenden Wochen zu erwarten ist. Raab warnte die EU davor, auf ihrer "dickköpfigen Haltung zum Brexit" zu beharren.

Worum es geht, ist vor allem die bisher nur von EU-Seite unterschriebene "Backstop"-Klausel im Austrittsvertrag: Um wirtschaftlichen und politischen Schaden für das EU-Mitglied Republik Irland zu verhindern (die Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland wäre plötzlich EU-Außengrenze, jedoch laufen 85 Prozent der irischen Exporte über nordirische Transitrouten, auch das Waffenstillstandsabkommen mit der IRA sieht offene Grenzen vor) soll bis 31. Dezember 2020 eine Lösung gefunden werden, andernfalls bliebe Großbritannien den Binnenmarkts- und Zollregeln der EU unterworfen.

Da die Regierung Johnson genau das strikt ablehnt, auf EU-Seite aber wenig Neigung besteht, neu zu verhandeln, rückt ein "ungeregelter" Austritt immer näher. Johnson hätte vermutlich wenig dagegen, doch ohne Parlament wird das kaum funktionieren. Dieses hat nämlich in seltener Einmütigkeit beschlossen, hier auch noch mitreden zu wollen.

Ein möglicher Trick Johnsons, die jährliche Parlamentspause vor das Austrittsdatum zu verlegen, wurde damit vereitelt. Allerdings hat das Parlament, in dem die Regierung nur noch über eine hauchdünne Mehrheit verfügt, bereits in der Vergangenheit gegen einen "No deal"-Brexit votiert.

Drei Möglichkeiten, eine Option

Insgesamt bleiben Johnson nur drei Möglichkeiten: Er versucht Nachverhandlungen mit der EU. Die Chance auf ein substanzielles Entgegenkommen ist aber klein. Frankreichs Premier Macron hat zwar Gesprächsbereitschaft signalisiert, was allerdings keineswegs Verhandlungsbereitschaft bedeutet. Frankreich vertritt eine zentralistische und protektionistische Haltung, England eine liberale, föderalistische.

Schon um die Briten in die EU zu bekommen, musste der deutsche Kanzler Konrad Adenauer in mehreren zähen Gesprächen Charles De Gaulle überreden. Und ob die neue EU-Parlamentspräsidentin Ursula von der Leyen dem zweifelhaften Charme des britischen Polit-Clowns erliegt, darf bezweifelt werden.

Johnson versucht, den mehrfach abgelehnten Deal ein weiteres Mal dem Parlament vorzulegen.

Letzte, demokratisch sauberste und vielleicht einzige realistische Möglichkeit: Johnson lässt eine (von ihm mehrfach abgelehnte) Volksabstimmung durchführen mit den Fragen: Brexit auf Basis des von Theresa May ausgehandelten Deals oder Verbleib in der Union. Der Volkswille müsste dann auch für das Parlament bindend sein.

Mit seiner Kampagne für den Austritt Großbritanniens aus der EU hat sich Johnson in eine Sackgasse manövriert. Und aus manchen Sackgassen kommt man eben nur im Rückwärtsgang wieder heraus.



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