Franz C. Bauer: "Die große Bevormundung"

Facebook-Skandal, Datenschutz-Grundverordnung - jetzt sollen Gesetze Missbrauch verhindern. Mehr Bildung wäre besser, meint trend-Redakteur Franz C. Bauer.

Franz C. Bauer, trend-Redakteur

Franz C. Bauer, trend-Redakteur

Wer dieser Tage seinen Facebook-Account öffnet, den erwartet eine Überraschung: Statt der neuesten Postings komplimentiert ein Link den User zu einer Datenschutzerklärung weiter. In schlanken 5.041 Anschlägen (unzählige weiterführende Links nicht gerechnet) erfährt der solcherart Umgeleitete zunächst einmal, warum er sich ausgerechnet jetzt mit dem sperrigen Text auseinandersetzen sollte: "In der EU tritt in Kürze eine neue Datenschutzverordnung in Kraft. Wir machen es dir jetzt noch leichter, deine Dateneinstellungen zu überprüfen", heißt es gleich im ersten Satz.

Und den misstrauischen Besucher beschleicht sogleich der Verdacht, es könnte vielleicht nicht nur die erwähnte Datenschutz-Grundverordnung, sondern vielleicht doch auch ein wenig der jüngste Skandal um den Missbrauch von Facebook-Daten durch die Beratungsfirma Cambridge Analytica sein, der die Betreiber des sozialen Netzwerks zu dieser Kommunikationsoffensive motiviert hat.

Immerhin erwartet Facebook-Boss Mark Zuckerberg nach seinem mäßig angenehmen Auftritt vor einem Untersuchungsausschuss des US-Senats ja vielleicht auch noch die entsprechende Parallelveranstaltung der EU. Wirklich erhellend war es zwar nicht, was der theatralisch-zerknirschte Start-up- Veteran zu bieten hatte, aber immerhin weiß die Welt jetzt: Auch Zuckerberg besitzt eine Krawatte.

Doch: Was sollte der Facebook-Gründer uns denn eigentlich erklären? Stimmt, Datenmissbrauch ist ein Skandal und ein Verbrechen. Wenn ein Spitalsträger Daten an ein Unternehmen weitergibt, das wissen möchte, ob ein bestimmter Mitarbeiter an Diabetes leidet, wenn eine Handelskette Informationen über Konsumgewohnheiten - beispielsweise den Kauf von Alkoholika - einem Arbeitgeber offenlegt, dann können die Strafen dafür nicht hoch genug sein.

Du bist die Ware

Aber wenn mir Facebook oder Google Werbung schickt? Hätte ich Trump gewählt, selbst wenn man mich täglich mit Botschaften aus seiner originellen Gedankenwelt konfrontiert hätte? Als mich vor einiger Zeit ein Gratisangebot aus dem Internet erfreute, kommentierte meine Tochter (sie betreibt eine kleine Werbeagentur mit dem beziehungsvollen Nahmen behave in Hamburg) das folgendermaßen: "Wenn du etwas geschenkt bekommst, bist du die Ware." Glaubt wirklich irgendjemand, Facebook, Gmail, Twitter, Instagram & Co seien gratis?

Daten sind das Gold des Computerzeitalters, und wir bezahlen die IT-Multis eben nicht mir Barem, sondern liefern ihnen stattdessen etwas viel Wertvolleres, nämlich unsere Daten. Die wiederum nutzen diese, um Werbung zu verkaufen, bisweilen offenbar auch, um Wahlen zu beeinflussen.

Ich beispielsweise empfinde es keineswegs als Datenmissbrauch, wenn mein Gmail-Account mir, nachdem ich einen Flug nach London gebucht habe, Vorschläge macht, wo passende Nächtigungsmöglichkeiten für meinen Ausflug zu finden sind. Ich kann die freundliche Einladung ja ignorieren. Es stimmt mich zwar ein wenig nachdenklich, dass Gmail von meinen Reiseplänen Wind bekommen hat, wo ich ja eigentlich über meinen Hotmail-Account und keinen Google-Browser gebucht habe. Ein wenig beruhigt und amüsiert es mich dann aber doch, dass dem Big-Brother-Algorithmus offenbar entgangen ist, dass ich mein Hotel längst gebucht habe.

Verbote sind trügerisch, denn sie wiegen uns in scheinbarer Sicherheit und belohnen jene, die sich nicht an sie halten. Jedes Verbot, sei es noch so sinnvoll, schränkt den Handlungsspielraum mündiger Bürger ein. Wenn Behörden - wie etwa bei der neuen Datenschutz-Grundverordnung - den Versuch unternehmen, Informationsflüsse zu kanalisieren oder zu unterbinden, dann geht dadurch immer auch ein Stückchen Freiheit verloren und wird immer auch einiges viel komplizierter.

Heißt "Computer Literacy" wirklich nur, dass man ohne größere Suchaktionen den Einschaltknopf an seinem Desktop findet und Word auf Anhieb starten kann? Ist es nicht vielmehr Aufgabe eines Bildungssystems, schon Kindern den kritischen und selbstbewussten Umgang mit jedem Medium, auch dem Internet, beizubringen? Die gleichen Instanzen - also staatliche Institutionen -, die das zunächst verabsäumt haben, schlagen nun den Weg ein, Bürger mit immer schärferen Regulativen zu bevormunden.

Erfreulich ist das nicht.


Der Leitartikel ist der trend-Ausgabe 17/2018 vom 27. April 2018 entnommen.

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