Alois Czipin: Angst ist ein schlechter Berater

Alois Czipin: Außerhalb der Komfortzone war für mich immer die Gewinnzone. [trend-Serie "BusinessCLASS"]

Alois Czipin, Gründer "Czipin Produktivitätssteigerungs-GmbH"

Alois Czipin, Gründer "Czipin Produktivitätssteigerungs-GmbH"

Baumkrone. "Alois, du brauchst nur noch den Fuß hinaufstellen, und dann hast du es geschafft!" Ich befinde mich in diesem Augenblick ca. 15 Meter über dem Boden auf der Spitze eines abgesägten Baumes und habe nur eines: unsägliche Angst, hinunterzufallen und mich zu verletzen. Ich mache den großen Fehler und schaue hinunter, ich sehe, wie tief es ist, das macht alles noch schlimmer. Meine Knie werden noch zittriger. Meine Hände sind nass, und ich überlege ernsthaft, ob ich nicht den Baum so genauso wieder verlasse, wie ich hinauf gekommen bin: über die Leiter wieder hinunter.

Ich werde vom Trainer, der mich natürlich fest am Seil hat, ermutigt, es doch ernsthaft zu versuchen. Ich spreche mir auch selbst Mut zu und traue mich endlich doch noch, den letzten Schritt zu gehen und auf dem kleinen Plateau ganz oben am Baum zu stehen. Das Gefühl ist überwältigend. Vor mir die freie Aussicht auf die wunderschöne Herbstlandschaft im Südburgenland. Und dann der nächste Schritt aus der Komfortzone: der Sprung ins Leere! Kurz bin ich im freien Fall und schon fängt mich das Sicherungsseil. Am Boden angekommen schnaufe ich kurz durch und fühle mich gut. Ich habe es geschafft! Ich fühle mich "on top of the world".

40 Jahre vorher bin ich in einer ähnlichen Situation. Ich sitze im Foyer eines Hotels und warte auf ein Bewerbungsgespräch. Ich bin frisch gebackener Magister und auf der Suche nach meinen ersten Job. Eine Stunde muss ich warten. Hände und Achselhöhlen sind nass geschwitzt. Plötzlich höre ich: "Herr Czipin?" Ich stelle mich vor. Meine Angst steigert sich weiter: Was wird er mich fragen? Ich habe doch keine Erfahrung für ein Beratungsunternehmen. Da kommt sie, die Frage: "Do you speak English?" In dieser Sekunde fällt meine Nervosität ab, denn ich weiß: Ich bin auf sicherem Territorium. Schon kurz darauf wird mir der Job angeboten, ich fühle mich "on top of the world".

Als Berater habe ich Jahre später ein großes Sanierungsmandat in Österreich. Meine Leute und ich arbeiten wie die Wilden. Aber unsere Vorschläge für Verbesserungen werden zwar zur Kenntnis genommen, jedoch nicht umgesetzt. Ich spreche den Eigentümer des Unternehmens darauf an. Er verspricht Besserung, aber in der Praxis ändert sich nichts.

Nach weiteren Gesprächen muss ich feststellen, dass offensichtlich kein Wille vorhanden ist, unsere Ratschläge zu beherzigen. Ich fasse also einen schweren Entschluss, nämlich etwas zu tun, was ich bis dahin noch nie gemacht habe: ein Mandat selbst zu kündigen. Der Gedanke ist mir in verschiedenen Situationen immer wieder gekommen, aber den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und tatsächlich die Kündigung auszusprechen und dies auch noch schriftlich zu bestätigen, das erfordert wieder einmal meinen ganzen Mut. Nach getaner Tat fühle ich mich wieder "on top of the world".

Fristloses Ende

Noch einmal zehn Jahre später bin ich in London. Meine Firma habe ich ein Jahr vorher verkauft. Seit dem Verkauf hat sich meine Stimmung von überglücklich zu sehr unglücklich verändert. Warum? Meine Aufgaben werden mehr und mehr beschnitten -bis zu dem Punkt, dass ich mit Teilen meiner angestammten Kunden nicht mehr sprechen darf.

Über meinen Kopf hinweg werden alle möglichen Entscheidungen getroffen, die mir zeigen, dass auf meine Erfahrung kein Wert mehr gelegt wird. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden meines Stiftungsvorstands fahre ich zu einem letzten Schlichtungsgespräch zum CEO, der meine Firma gekauft hat, nach London. Ich will jemanden dabei haben, der die Sache besser objektivieren kann.


Zwar ein paar Millionen ärmer: Aber ich konnte wieder ich selbst sein.

Nach zwei Stunden zäher Verhandlungen liegt ein "hatscherter" Kompromiss am Tisch. Ich bitte um eine Auszeit und verlasse mit meinem Begleiter das Büro. Wir tauschen auf der Straße alle möglichen Argumente aus, denn es geht unter anderem um sehr viel Geld - mehrere Millionen Euro, die ich nur bekomme, wenn ich weitere zwei Jahre bei der Firma arbeite. Da wird mir klar: Wenn ich wieder eine positive Perspektive auf mein Leben gewinnen will, dann muss ich jetzt aus der finanziellen Komfortzone raus und mein Arbeitsverhältnis fristlos beenden - mit allen Unsicherheiten.

Ich nehme mir also ein Herz und nehme das Gespräch mit dem CEO wieder auf. Nicht wirklich ein Gespräch, sondern ich gebe nur ein kurzes Statement ab. Mein Herz klopft bis zum Hals, als ich sage: "Kevin, ich habe mich entschlossen, mein Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung aufzulösen!" Die überraschte Reaktion: "Was heißt das?" Ich: "Dass ich ab genau jetzt nicht mehr für dich arbeite!"

Das war's! Wir verabschieden uns, und draußen sind wir! Ich habe schlottrige Knie, fühle mich aber wieder "on top of the world": um ein paar Millionen "ärmer" zwar, aber ich kann wieder ich selbst sein und mein Leben gestalten, wie ich es will. Bis heute habe ich diesen Schritt nicht bereut!

Der Autor

Alois Czipin, Consulter mit dem Schwerpunkt Produktivität, teilt in der trend-Serie "BusinessCLASS" seine Erfahrungen. Sie können daraus schlauer werden!


Der Gastbeitrag ist der trend.PREMIUM-Ausgabe 48/2018 vom 30. November 2018 entnommen.

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