Ärzte verdienen überdurchschnittlich gut, fahren teure Autos, bereichern sich mittels Privatarzthonoraren an ihren Patienten und schlagen in Nachtdiensten die Zeit tot - so ist die weitverbreitete Meinung über die "Götter in Weiß".
Die Realität sieht jedoch für die meisten Mediziner anders aus: Sie tragen immense Verantwortung, absolvieren extrem lange Schichten und stehen unter enormem Druck. Vor allem für Spitalsärzte gehören endlose Dienste, niedrige Stundenlöhne, unbezahlte Arbeitsstunden und Arbeitsberge, die schwer zu bewältigen sind zum Alltag. Eine adäquate Patientenversorgung ist dabei oft kaum mehr möglich. „Fakt ist, dass man seiner medizinischen Tätigkeit im Spital heutzutage nicht so nachgehen kann, wie es nötig wäre“, erläutert eine Wiener Medizinerin, die nicht genannt werden möchte: „Es geht im Grunde genommen nur mehr darum, zu versorgen und alles Anfallende irgendwie abzuarbeiten. Das Personal wird immer weniger, während die Arbeitsbelastung ansteigt.“
Nicht selten sind für die Ärzte ernsthafte gesundheitliche Probleme die Folge dieser Belastungen. Eine Studie der Universität Innsbruck aus dem Jahr 2014 zeigt, dass überlange Nachtdienste für Spitalsärzte sowohl psychisch als auch physisch enorme Belastungen darstellen. Reizbarkeit, Erschöpfung und ein hoher Stresspegel sind demnach die Folgen. Eine weitere Metastudie der Universität Gießen offenbarte vor einigen Jahren, dass die Suizidrate bei Medizinern höher ist als in der Allgemeinbevölkerung. Am gefährdetsten sind Anästhesisten und Psychiater.
Ausgleich zum stressigen Berufsalltag zu finden, Erdung und Entspannung ist daher für Ärzte besonders wichtig. Vier von ihnen erzählen, wie sie diesen finden.
Karate-Kid
Schlagkräftig und ausgeglichen

Thomas Hausner, Ärztlicher Leiter des Unfallkrankenhauses Lorenz Böhler in Wien
Der 50jährige Thomas Hausner hat Anfang 2015 die Leitung des Lorenz Böhler Unfallkrankenhauses übernommen. Schon als Teenager hat er seine Liebe zu Karate entdeckt und diese sportliche Betätigung in den letzten 36 Jahren perfektioniert. „Ich bin einerseits Trainer, betreibe eine eigene Karateschule und habe andererseits an nationalen und internationalen Wettkämpfen teilgenommen. Für Karate sind Koordination und Konzentration von enormer Wichtigkeit. Das ist der ideale Ausgleich zu meiner Tätigkeit als Manager und Unfallchirurg.“
Um seelisch und körperlich gesund zu bleiben, versucht er, sich zwei- bis dreimal pro Woche seinem Karatetraining zu widmen. „Wenn ich das nicht regelmäßig mache, werde ich unruhig und unglücklich."
Ausgleich findet er auch bei seiner Familie. „Sie ist für mich das Wichtigste. Mit meiner Frau kann ich auch über schwierige Momente sprechen, die der Beruf mit sich bringt. Die Zeit mit ihr und den Kindern empfinde ich als äußerst beglückend.“
Mit seiner jetzigen Tätigkeit hat er seinen Traumjob gefunden. „Ich war familiär vorbelastet, mein Großvater war Orthopäde, mein Vater Unfallchirurg, meine Mutter Röntgenassistentin auf einer Unfallchirurgie. Somit wurde mir das Medizinerdasein sozusagen in die Wiege gelegt", sagt er. Die Leitung des Unfallkrankenhauses Lorenz Böhler war sein berufliches Ziel und es erfüllt ihn mit Stolz, dieses erreicht zu haben: "Unser Haus ist eines von internationalem Ruf und soll sich unter meiner Leitung positiv weiterentwickeln. Wir sind zwar auch von Sparmaßnahmen betroffen, die verständlich und wichtig sind, haben aber dennoch großartige Möglichkeiten, Menschen zu helfen."
Draußen zuhause
International erfolgreich

Lisa Gfrerer, Plastische Chirurgin an der Harvard Medical School in Boston
Wie weit man es mit Fleiß, Ehrgeiz und einer medizinischen Ausbildung Made in Austria bringen kann, beweist die gebürtige Kärntnerin Lisa Gfrerer, die als Plastische Chirurgin an der Harvard Medical School in Boston forscht und als Ärztin tätig ist.
Die junge Medizinerin ist Ende 20 und hat an der Medizinischen Universität Wien studiert. Die Berufung nach Boston ist für sie wie ein Ritterschlag: „Ich habe großen Respekt vor Ärzten, die aus Leidenschaft ihr Leben lang hart arbeiten, um medizinische Standards zu verbessern. Boston ist das Epizentrum für klinische Exzellenz, akademische Forschung und Innovation. Nirgendwo gibt es mehr Menschen, die ihr Leben dem medizinischen Fortschritt widmen und nirgendwo kann ich bessere Mentoren finden und lernen, was es heißt, sowohl klinisch, als auch in der Forschung und durch Innovation einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.“
Ihr Arbeitsausgleich besteht aus Outdoor-Aktivitäten im Sommer und Winter in Boston und Umgebung und im Reisen. „Die USA sind ein guter Ausgangspunkt für viele Destinationen, die ich aus Kärnten oder Wien nicht so einfach erreichen könnte.“ Das Thema Work-Life-Balance ist für sie ein subjektives. Man müsse sich bewusst machen, wo im Spektrum man sich befinde und sein Leben dementsprechend gestalten.
Der berufliche Alltag gestaltet sich für Gfrerer einerseits spannend, andererseits extrem fordernd. Zwölfstundenschichten seien keine Seltenheit, was aber nötig sei, um alles Wichtige zu lernen und die Patienten bestmöglich zu versorgen: „Unsere Mentoren sagen immer, sie bilden uns nicht aus, um gut sein, sondern um die besten Ärzte zu werden und zu bleiben. Und in meinen Augen ist harte Arbeit das, was man braucht, um unter den Besten zu sein.“
Mit Wind und Wetter
Sportlich und familiär

Florian Wolf, Radiologe, AKH Wien
„Wir haben im AKH sogenannte 48-Stunden-Dienste. Das heißt, wir gehen am Samstagmorgen ins Spital und verlassen es am Montag in der Früh. Viele meiner Patienten in solch einer Schicht sind akute Fälle, wo schnelles Handeln gefragt ist", sagt Florian Wolf, stellvertretender Leiter der Abteilung für Kardiovaskuläre Bildgebung und Interventionelle Radiologie am Wiener AKH.
Der Vater von drei Söhnen ist sehr aktiv und findet innerhalb seiner sportlichen Betätigungen die Ruhe, die nach einem anstrengenden Dienst nötig ist. „Für mich ist es undenkbar, mich nach einem Wochenenddienst ins Bett zu legen und zu schlafen. Ich benötige den körperlichen Ausgleich, gehe radeln, kitesurfen am Neusiedlersee, auf Skitouren oder laufen. Man hat zwar die Möglichkeit, im Dienst ein wenig zu schlafen, wird aber meist dann geweckt, wenn ein Patient in einem kritischen Zustand ist. Die Unterbrechungen, das Arbeiten in klimatisierten Räumen und das künstliche Licht beanspruchen den Körper über alle Maßen. Danach ist man erst einmal fertig.“
Dank seiner sehr verständnisvollen Ehefrau könne er neben Beruf und Familie regelmäßig beim Sport abschalten. „Selbstverständlich treiben wir auch alle gemeinsam Sport. Für die Kinder ist es normal, dass ich viel arbeite. Wenn wir aber Zeit miteinander verbringen, dann im besten Sinne. Meine Familie bedeutet mir alles.“, so der Mediziner.
Family Business
Selbstständig glücklich

Shirin Milani-Helletzgruber, Plastische Chirurgin
Dass Medizinerinnen es häufig schwerer haben als ihre männlichen Kollegen, ist kein Geheimnis. Wenn sie sich Kinder wünschen, gibt es kaum einen richtigen Zeitpunkt, wenn sie schwanger sind, legt man ihnen häufig ans Herz, kürzer zu treten oder bezahlten Urlaub zu nehmen und wenn sie Kinder haben, lässt sich der Beruf nur schwer damit vereinbaren.
Die Plastische Chirurgin Shirin Milani-Helletzgruber ist Mutter von drei Töchtern, ehemalige Spitalsärztin, Unternehmerin und Ärztin aus Leidenschaft. „Ich habe immer gern im Spital gearbeitet, aber irgendwann gemerkt, dass man den Patienten nicht mehr die Aufmerksamkeit schenken kann, die sie eigentlich benötigen. Es fehlt an allem – Personal, Zeit, Möglichkeiten. Für uns war es früher normal, die Hälfte unserer Wochenstunden gratis zu arbeiten.
Wer der Ansicht ist, dass Spitalsärzte zu viel verdienen, sollte sich vor Augen führen, dass der Stundenlohn meist bei unter acht Euro liegt. Dafür findet man nicht einmal eine Reinigungskraft.“ Häufig könne man als Arzt sein Gehalt nur mit Wochenenddiensten aufbessern und erhalte einen verschwindend geringen Nachtdienstzuschlag. „Das System würde ja nicht funktionieren, wenn Spitalsärzte wie andere Berufsgruppen für alles horrende Zuschläge verlangten.“, gibt die Medizinerin zu bedenken.
Nachdem sie sich jahrelang gänzlich ihrem Job verschrieben und ausschließlich gearbeitet hat, gehört heute ihre gesamte Freizeit ihrem Mann und ihren drei Mädchen. „Es gibt nichts Schöneres, als am Wochenende Zeit mit meinen Lieben zu verbringen. Unsere Wochenenden gehören ganz den Kindern, schließlich habe ich mich fürs Muttersein entschieden, da wäre es sinnlos, ihnen unsere freie Zeit vorzuenthalten.“
Den Schritt ins Unternehmertum hat sie nie bereut. „Ich bin ein Mensch, der an Visionen und Ziele glaubt. Wir haben mit unserem Medical Spa eine kleine Klinik und ein interdisziplinäres Ärztezentrum, das funktioniert. Alle sind aufeinander eingespielt und alles läuft perfekt. Mein Mann ist kein Mediziner und ist somit der perfekte Ruhepol, weil er mit der Medizin nichts zu tun hat und sehr auf mich achtet.“