Rumänien hat ein Hunde-Problem: 65.000 Vierbeiner entzweien die Nation
Allein in Bukarest wurden im vergangenen Jahr mehr als 16.000 Menschen von diesen Hunden gebissen. Tödlich ging dies Anfang September für den vierjährigen Ionut aus. Er war beim Spielen in einem Park auf eine benachbarte Brachfläche gelaufen, wo eine Hundemeute hauste. Er starb nach Angaben von Gerichtsmedizinern an den Folgen von mehr als 100 Hundebissen.

Die Staatsanwaltschaft bereitet nun eine Anklage gegen Verwaltungsstellen und gegen den Eigentümer der Brachfläche vor, wegen fahrlässiger Tötung. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen - auch weil der völlig verstörte sechsjährige Bruder des Opfers noch nicht verhört werden konnte, sagte Virgil Papuc, Rechtsanwalt der betroffenen Familie. Er habe die zerfleischte Leiche seines Bruders am Ort des Geschehens sehen müssen. Dieses Horror-Erlebnis habe das Kind nicht verarbeitet.
Seit dem Fall Ionut haben sich die Fronten zwischen Tierschützern und Hundegegnern in Rumänien verhärtet. Das Parlament erlaubte umgehend die Tötung von Straßenhunden. Angewendet wird dieses neue Gesetz aber noch nicht, weil die Ausführungsbestimmungen fehlen. Nach massiven Protesten von Hundefreunden im In- und Ausland arbeiten nun Tierschützer und Regierung gemeinsam an diesen Bestimmungen. Die Tierschützer wollen so das neue Gesetz zugunsten der Hunde abmildern.
Tiere sollten eigentlich "aussterben"
Rumäniens bisherige Strategie bestand darin, die eingefangenen Straßenhunde zu kastrieren oder zu sterilisieren und danach wieder freizulassen - in der Annahme, dass die Tiere allmählich aussterben würden. "Re-Territorialisierung" nennen dies die Tierschützer. Angesichts der etwa 65.000 Straßenhunde, die es inzwischen schon in Bukarest gibt, sagte Bürgermeister Sorin Oprescu jetzt: "Die Re-Territorialisierung war wohl der größte Blödsinn." Ionut wurde nach Angaben von Rechtsanwalt Papuc von sieben Hunden angegriffen. Von diesen seien drei vorher sterilisiert worden.
Der rumänische Tierschutzbund FNPA wiederum hält dagegen, dass es mit dieser Strategie gelungen sei, in rumänischen Kleinstädten wie Oradea und Lugoj im Westen des Landes die Zahl der Streuner von mehreren Tausend auf ein paar Hundert zu reduzieren. Die Welt-Organisation für Tiergesundheit (OIE) schließt die Re-Territorialisierung nicht aus, empfiehlt sie aber auch nicht vorbehaltlos. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht die Lösung des Problems in einem komplexen Maßnahmenpaket, zu dem auch die Tötung der Hunde gehöre, sagte ein WHO-Sprecher. OIE und die Europäische Konvention zum Schutz der Haustiere verlangen aber ausdrücklich, dass das Töten der Hunde nur mit Methoden geschehen möge, die den Tieren keine Qual bereiten.
Brutale Tierfänger
Der Tierschutzbund FNPA beklagt, dass in Rumänien immer wieder Straßenhunde von Tierfängern brutal umgebracht würden: erschlagen, vergiftet, bei lebendigem Leib verbrannt. Der Grund: Die von den Kommunen bezahlten privaten Tierfänger wendeten billige Tötungsmethoden an, um die Differenz des Geldes einzustecken.
Für den Umgang mit den Hunden haben Rumäniens Kommunen nun sehr unterschiedliche Pläne. Plakate der Bukarester Stadtverwaltung werben seit kurzem für die Adoption herrenloser Hunde. In der Donau-Stadt Drobeta Turnu Severin sollen alle 570 Hunde im städtischen Tierheim eingeschläfert werden, weil die Kosten für deren Unterhalt das Doppelte des monatlichen Kindergelds ausmachten, wie es aus dem Rathaus hieß. Hingegen rief im Karpaten-Ort Ramnicu Valcea das Rathaus die Bürger auf, für die Tierheim-Hunde zu spenden.
Rumäniens Hundeproblem ist uralt. Schon anno 1839 erwähnte der französische Reisende Raoul Perrin die Bukarester Streuner in seinem Buch "Coup doeil sur la Valachie et la Moldavie" ("Blick auf die Walachei und die Moldau"). Rumäniens romantischer Nationaldichter Mihai Eminescu verlangte 1876 die "Ausrottung" der Straßenhunde in seiner Heimatstadt Iasi im Nordosten des Landes, weil diese "als kleine Reisegesellschaften konstituiert", sich "einer ungestörten und doch so störenden Existenz erfreuen".