Zukunft der EU: Mehr Europa, weniger Union

Die Diskussion über die Zukunft der EU nimmt Fahrt auf. Im französischen Versailles trafen sich Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien zu einem Strategiegespräch, während in Brüssel die Europäische Volkspartei ihre Vorschläge präsentierte. Aus Österreich kommt Kritik.

Zukunft der EU: Mehr Europa, weniger Union

"Wer mehr will, tut mehr“, nannte die Kommission in ihrem „Weißbuch zur Zukunft Europas“ jenes Szenario, das bisher als EU der verschiedenen Geschwindigkeiten bekannt war. Die grundlegende Idee ist damit auch schon erklärt. Anstatt stets auf die Einigkeit aller 27 Mitgliedsstaaten (Großbritannien wird aus dieser Debatte bereits ausgeklammert) zu warten, sollen kooperationswillige Länder in kleineren Gruppen verstärkt zusammenarbeiten können – während die Unwilligen zurückbleiben.

Genau das forderten nun die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Francois Hollande und die Regierungschefs aus Italien und Spanien, Paolo Gentiloni und Mariano Rajoy nach ihrem Treffen im geschichtsträchtigen Versaille. „Wir müssen den Mut haben, dass einige Länder vorangehen“, sagte Merkel: „Ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten ist notwendig, sonst werden wir steckenbleiben.“

Tatsächlich ist dieses Szenario längst Realität, etwa bei Schengen oder der gemeinsamen Währung. Doch während eine solche Zersplitterung in der Vergangenheit noch als Ausnahme dargestellt oder dazu genutzt wurde, unliebsame Themen in die Warteschleife zu verschieben (man denke an die Finanztransaktionssteuer), könnte sie nun zur Regel werden. Das nächste Projekt steckt bereits in der Pipeline, erst am Montag stellten die Verteidigungsminister der Mitgliedsstaaten die Weichen für entsprechende Koalitionen in der Verteidigungszusammenarbeit. Unter dem Kürzel PESCO (Permanent Structured Cooperation) sollen „Projekte“ wie eine gemeinsame Beschaffungspolitik entwickelt werden, bei denen eben nur die willigen Länder kooperieren. Auf die Verteidigungspolitik verwiesen auch Merkel und Hollande als Beispiel.

Kritik aus Österreich

In Österreich führte das Strategietreffen der großen Vier vor allem zu Kritik. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka sah eine „Spaltung der EU“ und forderte, dass Österreich „bei wichtigen Entscheidungen nicht ausgesperrt werden“ dürfe.

Außenminister Sebastian Kurz kritisierte hingegen die Forderung nach einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten als „keine Wunschlösung.“ Er will stattdessen eine verstärkte Zusammenarbeit in wichtigen Bereichen bei gleichzeitiger Zurückhaltung in unwichtigen Fragen. Solange nicht klar ist, welche konkreten Bereiche Kurz als wichtig oder unwichtig einstuft, wird ihm dabei auch kaum jemand widersprechen.

Das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten ist längst Realität. In Zukunft könnte diese Grafik aber noch wesentlich komplizierter werden.

Das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten ist längst Realität. In Zukunft könnte diese Grafik aber noch wesentlich komplizierter werden.

Das zeigte sich auch in Brüssel, wo die Europäische Volkspartei (EVP) beinahe zeitgleich zum Treffen in Versaille ihre Vorschläge für die Zukunft Europas vorstellte. Präsentiert wurde der Plan der europäischen Parteienfamilie der ÖVP vom früheren belgischen Premierminister und ersten ständigen Ratspräsidenten Herman Van Rompuy sowie dem deutschen EU-Parlamentarier Elmar Brok.

Ihre Vorschläge verbinden die verschiedenen Geschwindigkeiten mit Kurz Forderung nach einer Konzentration auf wichtige Themen. Das Vorpreschen besonders engagierter Mitgliedsstaaten soll eine Vorbildfunktion auf alle anderen ausüben. Allerdings sei das stets nur „zweite Wahl“, so Van Rompuy: „ Ziel muss sein, Europa so vereint wie möglich zu halten.“

Grundsätzlich fordert die EVP „mehr Europa“, aber eben nicht überall. „In Schlüsselbereichen ist eine stärkere Zusammenarbeit notwendig, um den Acquis (das gemeinsame EU-Recht, Amn.) zu erhalten“, sagte Van Rompuy und sprach nüchtern von einem „Europa der Notwendigkeit“. Dafür solle aber bei jedem Politikziel genau geprüft werden, auf welcher Ebene –europäisch, national oder regional – es am Besten gelöst werden könne. Hier trifft man sich mit Kurz, obwohl auch dieses „Subsidiaritätsprinzip“ ohnehin längst im EU-Recht verankert ist.

Gipfel in Brüssel

Die nächste Chance die Zukunft der EU in ganz großer Runde zu besprechen, bietet sich den Staats- und Regierungschefs bereits Ende der Woche. Da treffen sie sich zum Gipfel in Brüssel, am Donnerstag mit und am Freitag ohne Großbritannien.

Wichtigstes Thema ist die Wahl des ständigen Präsidenten des Europäischen Rats. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten will den derzeitigen Amtsinhaber, den Polen Donald Tusk, bestätigen. Doch ausgerechnet dessen Heimatland stellt sich nun quer und hat einen Gegenkandidaten nominiert. Blockieren können sie die Bestätigung Tusks allerdings nicht, es gilt das Prinzip der qualifizierten Mehrheit (55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren). Außerdem ist der ständige Ratspräsident ein dezidiert europäisches Amt, er darf etwa kein nationales Regierungsamt innehaben.

Die Entscheidung über den Ratspräsidenten sollte bereits am Donnerstag fallen, am Freitag stehen dann die Vorbereitungen für den 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge im Mittelpunkt. Bei den Feierlichkeiten am 25. März soll eine offizielle Erklärung über die Zukunft der EU unterzeichnet werden. Idealerweise in einer Geschwindigkeit – also von allen.


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Weißbuch zur Zukunft Europas
Die EU der 27 im Jahr 2025 - Überlegungen und Szenarien
EU Kommission; 1. März 2017 (32 Seiten)
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